«Einen guten Geschäftsbericht zu machen, erfordert die Qualitäten eines Ironman-Athleten.» Diese Aussage von Olaf Leu, Professor an der Fachhochschule Mainz, mag pointiert erscheinen, trifft jedoch den Nagel auf den Kopf. Denn ein guter Geschäftsbericht gibt nicht nur die betriebswirtschaftlichen Kennziffern des vergangenen Geschäftsjahres wieder (das auch). Er präsentiert nicht nur das branchenspezifische und gesamtwirtschaftliche Umfeld, in dem sich das Unternehmen bewegt (das auch). Er erläutert nicht nur die Perspektiven für die kommenden Monate und Jahre (das auch).

Ein guter Geschäftsbericht stellt den Zustand und die Aussichten des Unternehmens umfassend dar. Überdies sollte er Ausdruck der Unternehmenskultur sein, das Zusammenspiel von Mitarbeitern, Kunden, Aktionären, Lieferanten und gesellschaftlichem Umfeld widerspiegeln. Dazu braucht es nicht nur die richtige Zusammensetzung von Informationen, sondern auch deren adäquate Darstellung. Mit welchen Bildern stellt sich das Unternehmen dar? Wie werden Grafiken aufbereitet? Welche Tonalität herrscht im Layout vor? Wie lesbar ist die Typografie?

Wie den Schweizer Unternehmen diese Selbstdarstellung gelingt, das ist Gegenstand des Geschäftsberichteratings, das wir in dieser Form heuer zum vierten Mal durchführen. Irgendwann in den Achtzigerjahren begannen wir mit einer Bewertung der Gestaltung von Geschäftsberichten. Zum einen schien in diesem Bereich damals viel mehr im Argen zu liegen – Geschäftsberichte waren in der Regel ein Sammelsurium von Zahlen und Fakten, die Gestaltung war zweitrangig. Zum anderen führte damals die Vereinigung der Finanzanalysten eine inhaltliche Bewertung der Geschäftsberichte durch, die wir jeweils zitierten und die sich im Wesentlichen an der Dichte und der Qualität der finanztechnischen Kennziffern orientierte.

Mittlerweile haben die Finanzanalysten ihre Übung abgebrochen – nicht weil sie müde geworden waren, sondern ganz einfach weil jene Bewertungskriterien, die sie anlegten, so weit gehend erfüllt wurden, dass sich gar keine sinnvolle Rangliste mehr ergab. Und einen erneuerten und erweiterten Kriterienkatalog zu entwerfen, erwies sich als derart anspruchsvoll, dass sich das nicht als Nebenbeschäftigung bewerkstelligen liess.

In diese Lücke ist die BILANZ gesprungen – nicht allein natürlich. Das Swiss Banking Institute unter der Leitung von Professor Rudolf Volkart nimmt sich seit vielen Jahren des Problems an und hat Mitte der Neunzigerjahre einen Kriterienkatalog «Value-Reporting» zusammengestellt, der nicht nur die inhaltliche Aussagekraft von Geschäfts- berichten verlässlich misst. Value-Reporting ist vielmehr ein neuer betriebswirtschaftlicher Ansatz, um den Prozess der Wertschöpfung im Unternehmen besser verstehen und steuern zu können. Der Kriterienkatalog für das Geschäftsberichterating ist also sozusagen ein Nebenprodukt dieser Entwicklung.

Und er ist entsprechend ausbaufähig. Das zeigt sich auch in diesem Jahr. Zum ersten Mal haben wir sechs Kriterien der Nachhaltigkeit (drei zur ökologischen, drei zur sozialen Nachhaltigkeit) in das Bewertungsschema aufgenommen, aber noch nicht in die Rangliste integriert. Bereits zum zweiten Mal haben wir neben den Geschäftsberichten auch den Auftritt der Unternehmen im Internet untersucht. Auf das Zusammenfügen der beiden Gesamtranglisten haben wir entgegen unserer ursprünglichen und im letzten Jahr angekündigten Absicht verzichtet. Zum einen sind die Differenzen zwischen den beiden Bewertungen derart enorm, dass das gleich gewichtete Zusammenfügen eine hochgradig zufällige Rangliste ergeben hätte (von den top 20 im Netz sind nur 7 auch unter den top 20 der Informativsten – und nur 5 unter den top 20 der Gesamtrangliste). Und zum anderen ist es eben, bei aller Begeisterung für die neuen Technologien, immer noch der gute alte Geschäftsbericht, der von Aktionären und Öffentlichkeit am wichtigsten genommen wird.

Und so haben wir die Gesamtrangliste dieses Jahres nach den gleichen Kriterien wie im Vorjahr berechnet, die Vergleichbarkeit ist also gewährleistet. Neuheiten wie die Bewertung mit Nachhaltigkeitskriterien weisen wir separat aus und haben nur ein paar Versuchsberechnungen angestellt, die in der Tabelle «Die Nachhaltigsten» präsentiert werden.

Bewertet wurden insgesamt 148 Geschäftsberichte, darunter jene der rund 70 Unternehmen mit der höchsten Börsenkapitalisierung, eine Auswahl von rund 50 mittelgrossen kotierten Unternehmen und fast 30 nicht kotierte Unternehmen, die aber von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, so etwa etliche Kantonalbanken, Migros und Coop, aber auch Medienunternehmen wie Berner Tagblatt Medien, AZ Medien, LZ Medien oder Ringier. Von diesen 148 Geschäftsberichten präsentieren wir in dieser Ausgabe die 100 besten. Das heisst: Nicht in dieser Liste vorzukommen, ist keine Schande – das ist ein paar Tausend anderen Unternehmen auch passiert. Wer aber, wenn auch «nur» im Rang 99, in dieser Liste vorkommt, ist schon Teil einer Positivauswahl, Ärger über die «schlechte» Rangierung ist also nicht angebracht. Was nicht heissen will, dass sich die Qualität der Geschäftsberichte nicht verbessern liesse; das ist immer möglich und in den letzten Jahren auch geschehen, wie unsere Gestaltungsjury positiv überrascht feststellen durfte: «Wir hatten mehr gute Sachen auf dem Tisch als früher.»

Der insgesamt beste Geschäftsbericht des Jahres ist jener der UBS, ein mehrbändiges Werk, das in einem Schuber abgegeben wird. Die Spitzenposition ergibt sich aus einem 2. Rang beim Value-Reporting und einem 16. Rang in der Gestaltung; von unserer Gestaltungsjury wird er als der schönste Geschäftsbericht im Bereich Finanzdienstleistungen bezeichnet, solide und «konventionell, aber gut gestaltet». Damit hat sich die UBS gegenüber dem Vorjahr um drei Ränge verbessert und den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche an der Spitze abgelöst, der zwar nach wie vor den informativsten Bericht abliefert, in der Gestaltung aber auf Rang 39 unter «ferner liefen» rangiert. Und die Nummer 3 in der Gesamtrangliste ist die Migros, deren zweibändiges Werk aus dem eigentlichen Jahresbericht und einem Fotoband besteht. Es erreicht mit dem Informationsgehalt lediglich Rang 27; in der Gestaltung stellt es aber alle anderen Geschäftsberichte in den Schatten und kommt mit der Note 8,09 der Idealnote schon ziemlich nahe – was die Jury zur geradezu euphorischen Beurteilung veranlasst: «Hat das bewährte, brillante Konzept weiterentwickelt.» Der Fotoband ist übrigens so schön, dass er sozusagen als Kunstband im Buchhandel erhältlich ist. Insgesamt zeichnet sich die Gesamtrangliste durch Kontinuität aus: Von den top 10 waren schon im Vorjahr 4 Geschäftsberichte in der Spitzengruppe dabei, von den top 20 sind es gar 14. Keiner der besten 20 Berichte des Vorjahres ist aus der Rangliste herausgefallen, und wirklich markante Abstürze hat es kaum gegeben. Die Swisscom rauschte auf Rang 28 (Vorjahr 2) zurück, was vor allem mit einem Qualitätseinbruch in der Gestaltung zu tun hat. Rentenanstalt / Swiss Life, im Vorjahr noch auf Platz 9 rangiert, findet sich heuer auf Rang 67, wobei zu diesem Absturz beide Bewertungskategorien beigetragen haben. Und die SAirGroup verlor im Vergleich zum Vorjahr 45 Ränge und ist nun an 60. Stelle platziert – ein deutlicher Reflex auf die Schwierigkeiten, in der sich die nationale Airline derzeit befindet; man hat offenbar Dringenderes zu tun, als schöne Geschäftsberichte zu produzieren. Umgekehrt gibt es auch ein paar Aufsteiger unter den Geschäftsberichten. Allen voran die Bâloise, die sich um 38 Ränge auf Platz 5 verbesserte, in erster Linie, weil die inhaltliche Berichterstattung deutlich zulegte (um 117 Ränge). Bei Zellweger Luwa wiederum war es eher die Gestaltung (plus 80 Ränge), die zur markanten Verbesserung in der Gesamtrangliste um 55 Plätze führte. Auch der Aufstieg von Saurer und Serono in die Elite der besten Geschäftsberichte hat vor allem gestalterische Gründe. Saurer hat sich zwar auch im Value-Reporting um ein paar Ränge verbessern können, den Ausschlag gab aber das Urteil der Gestaltungsjury, die den Geschäftsbericht der Gruppe auf Rang drei unter den Schönsten hievte – und zwar zum Teil aus der Begeisterung heraus, dass hier ein als eher schwerfällig geltendes Unternehmen ganz neue Wege geht und nicht in erster Linie das abgelaufene Geschäftsjahr zum Thema macht, sondern die Zukunft.

Insgesamt ist die Qualität der Geschäftsberichte eindeutig besser geworden. Das drückt sich einerseits in der leicht gestiegenen Durchschnittsnote beim Value-Reporting aus (der Spitzenreiter Roche liegt bei 7,50 gegenüber 6,61 im Vorjahr; die Nummer 19 kommt auf 5,536 gegenüber 5,00 im Vorjahr). Andererseits war auch die Gestaltungsjury zufriedener als in den vergangenen Jahren: «Bei vielen Berichten fehlt nur ganz wenig, um in die top 20 vorzustossen.» Als besonders erfreulich wertete die Jury, dass es insbesondere die Industrieunternehmen sind, die Neues versuchen. Als optisch entwicklungsfähig stuft die Jury den Geschäftsbericht von Calida ein, der schmuck daherkomme und sich nicht einfach mit nackter Haut verkaufe, der aber im Layout noch erhebliche Mängel aufweise.

Kein gutes Haar lässt die Gestaltungsjury an den Berichten der Kantonalbanken. Mit Ausnahme der Graubündner Kantonalbank, die eigene Wege gehe und ihre Region optisch darstelle, litten alle anderen untersuchten Kantonalbanken unter der offenbar gescheiterten Vereinheitlichung des Auftritts aller Kantonalbanken.

Ihr Fett weg bekommen auch die Top-Companys des Landes, jedenfalls was die Gestaltung angeht. «Die zeichnen sich durch gähnende Langeweile aus», meinte die Jury, «und das kommt vom schlechten angelsächsischen Layout.» Zu dieser Kategorie zählen insbesondere die Novartis, die ABB und die CS Group. Was schade ist, denn der Informationsgehalt dieser Berichte gehört eher ins oberste Drittel. Die Novartis zum Beispiel liefert informationsmässig den fünftbesten Geschäftsbericht (unter Einbezug der Nachhaltigkeitskriterien wäre es sogar der beste), kommt allerdings in einer Aufmachung daher, die von der Jury mit Rang 84 bestraft wird. Noch schlimmer die CS Group, die vom Informationsgehalt her Platz zwei besetzt, in der Gestaltung aber auf Rang 124 absackt, was ihr den 50. Gesamtrang einträgt.

Aus unserer Sonderauswertung zum Internetauftritt ergibt sich zweierlei. Was im Internet abgeht, hat in der Qualität nur sehr bedingt etwas mit der Qualität im Printauftritt zu tun. Nur fünf der Top-20-Geschäftsberichte finden sich auch im Netz unter den top 20. Aber von den fünf «Besten im Netz» gehören vier auch im Printbereich entweder bei der Gestaltung oder beim Informationsgehalt zu den top 10. Das heisst, nur die Allerbesten präsentieren sich in beiden Medien gut.

Der gedruckte Geschäftsbericht ist nicht das einzige, aber doch ein sehr wichtiges Mittel zur Selbstdarstellung eines Unternehmens. Die Bedeutung des Internets als Transportmittel fürs Image ist wohl in der ersten Euphorie überschätzt worden. Zwar nehmen die Möglichkeiten der Aktionäre, der Mitarbeiter, der Kunden und der Öffentlichkeit, sich Informationen über «ihr» Unternehmen zu verschaffen, rasant zu. Und sicherlich nimmt auch die Bereitschaft zu, die neuen Techniken anzuwenden. Aber das ist im Grunde genommen alles Software. Der Geschäftsbericht hingegen ist Hardware, mit der ein Selbstbildnis über den Tag hinaus vermittelt wird, das kontrollierbar und verbindlich ist. Und deshalb lohnt sich der ganze Aufwand auch – für die Unternehmen und für die Geschäftsberichtemacher mit ihren Ironman-Qualitäten.

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