BILANZ: Herr Panke, wie viele Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretungen haben Sie schon bekommen?
Helmut Panke (hebt die Hand und streckt alle fünf Finger): Eine Hand voll!

Das ist aber undynamisch!
Das würde ich so nicht stehen lassen. Das ist eher ein Zeichen eines verantwortungsbewussten Fahrens. Andererseits fahre ich auf der Autobahn in der Früh, wenn die Strasse frei ist, auch mal bis zur Abregelgeschwindigkeit unserer Fahrzeuge (bei 250 km/h, Anm. d. Red.).

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Mit Höchstgeschwindigkeit bringen Sie auch neue Modellreihen auf den Markt. In fünf Jahren soll BMW stückzahlenmässig um 40 Prozent wachsen. Übernehmen Sie sich nicht?
Nein. Es geht nicht um Wachstum an sich, sondern darum, Schritt für Schritt eine neue Marktposition zu erreichen. Natürlich wollen wir in unseren grossen Märkten mit den bestehenden Produktreihen zulegen. Gleichzeitig aber gehen wir in neue Märkte: In China gibt es ein Marktwachstum, an dem wir heute noch nicht in vollem Umfang partizipieren. Und wenn wir dieses Jahr die 6er-Reihe als Coupé und Cabrio, den X3 als Off-roader und nächstes Jahr die 1er-Reihe als Kompaktwagen vorstellen, sprechen wir damit ein Publikum an, das bei uns bisher vielleicht noch kein geeignetes Fahrzeug gefunden hat. Mini und Rolls-Royce haben wir ja bereits lanciert.

Haben Sie überhaupt die Managementkapazität für all die neuen Projekte und Produkte?
Wenn wir zurückblicken: Die Marke BMW ist bereits in den letzten fünf Jahren um mehr als 40 Prozent gewachsen. Jetzt gehen wir über die Millionengrenze und wollen in den kommenden Jahren ein Volumen von etwa 1,3 Millionen Fahrzeugen erreichen.

Gleichzeitig, so heisst es, soll die Mitarbeiterzahl nur um sieben Prozent steigen.
Wir selber haben keine Zahlen für das Personalwachstum genannt. Aber der springende Punkt ist ja der: Wir steigern ständig die Produktivität. Gleichzeitig gehen wir in neue Netzwerke: So lassen wir, um schnell den stark wachsenden Markt bedienen zu können, den X3 bei Magma Steyr in Österreich bauen, statt selber erst ein komplettes Werk hochzuziehen. Und der neue Dieselmotor für den Mini stammt aus einer Kooperation mit Toyota, ein neuer kleiner Benzinmotor aus einem gemeinsamen Projekt mit Peugeot. Man vergleicht also Äpfel mit Birnen, wenn man das Wachstum bei den Stückzahlen zum Personalwachstum in Bezug setzt.

Zur Person
Helmut Panke


Seit Mai letzten Jahres ist Helmut Panke (56) Vorstandsvorsitzender der BMW Group. Doch eigentlich ist der aus Brandenburg stammende «Icehead» («Financial Times») promovierter Kernphysiker: 1976 bis 1978 arbeitete er am Schweizer Institut für Nuklearforschung in Villigen (dem heutigen Paul Scherrer Institut). Dort forschte er nicht nur, sondern koordinierte auch die Arbeit der übrigen Physiker und sammelte dabei so viel Erfahrung mit Projektmanagement, dass er sich bei McKinsey bewarb. Bei BMW begann Panke 1990 als Leiter des Bereichs Konzernplanung. Später leitete er das USA-Geschäft, war Personalchef und schliesslich CFO bei BMW. Damit kannte Panke alle wichtigen Bereiche des Unternehmens: Als Joachim Milberg, der das Unternehmen nach der missglückten Rover-Akquisition wieder auf Kurs gebracht hatte, aus gesundheitlichen Gründen vom CEO-Posten zurücktrat, war er der logische Nachfolger. Seither treibt Panke das Wachstum von BMW mit Höchstgeschwindigkeit voran und schreibt damit Rekordzahlen. Seine Liebe zur Schweiz blieb ihm erhalten: Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr fährt er mit der Familie zum Skifahren nach Graubünden.

Trotzdem: Führen Sie jetzt McKinsey-Speed bei BMW ein?
Ich habe klar gesagt, dass wir die Geschwindigkeit dauerhaft steigern müssen. Es geht nicht darum, in einer Einmalaktion im Jahr 2003 viele neue Produkte einzuführen, sich danach zurückzulehnen und zu sagen: So, jetzt haben wir einmal was getan. Sondern es ist vom Markt ein schnellerer Takt vorgegeben.

Wie treibt man eine Belegschaft von 100 000 Mann zu einer höheren Geschwindigkeit an?
Es ist ja nicht einer, der da 100 000 Mitarbeiter allein direkt ansprechen muss, sondern es sind gemeinsame Grundwerte vorhanden. Und dann haben alle Führungskräfte auf allen Ebenen die Aufgabe, diese umzusetzen und vorzuleben. Das merken Sie sowohl hier im «Vierzylinder» (BMW-Hauptsitz, Anm. d. Red.) als auch drüben im Werk: Die Mitarbeiter bewegen sich alle irgendwie schneller als bei anderen Organisationen. Wir bauen Hochleistungsprodukte in einer Hochleistungsorganisation.

Mit ständig steigendem Tempo steigt auch die Fehlerrate. Wie wollen Sie da die Qualität halten?
Es muss wesentlich mehr als in der Vergangenheit bereits in den Konzeptions- und Vorentwicklungsphasen festgelegt werden, damit man nachher, wenn man das Rohmodell hat oder gar vor Beginn der Serienfertigung steht, nicht wieder alles über den Haufen werfen muss. Das verlangt auch wesentlich stärkeres Simulieren und Testen im Computer. Heute kann man beispielsweise genau berechnen, wie ein Unfall ausgehen wird. Die physischen Crashtests machen wir eigentlich nur zur Bestätigung der Messwerte und weil sie die Behörden verlangen.

In einem Interview haben Sie kürzlich gesagt: «Den zweiten Platz im Luxussegment akzeptieren wir nicht!» Dient die ganze Übung in Wahrheit also nur dem Zweck, grösser zu sein als Mercedes?
Der Erste zu sein, misst sich doch nicht nur in Stückzahlen. Es sind Reputation, Markenstärke, die Klarheit des Profils und das Produktprogramm, was den Marktführer auszeichnet. Und der kann für ein Produkt im Vergleich zu anderen Herstellern einen höheren Preis verlangen. Die Stückzahl ist ein Kriterium. Aber die Stückzahl ist nicht alles.

Ist Mercedes für Sie heute noch Vorbild?
Mercedes war kein Vorbild und ist kein Vorbild. Die deutsche Automobilindustrie lebt davon, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was Mercedes macht, und dem, was BMW macht: Sie finden keinen Mercedes, der die gleichen Eigenschaften hat wie ein BMW, und umgekehrt. Es wäre für jeden von uns kritisch, das zu verwässern – Markenschärfe verlangt diese Polarisierung der Inhalte. Klar, Mercedes ist nach wie vor unser härtester Wettbewerber, und wir messen uns an ihnen. Aber Vorbild? Nein! Das wäre eine Me-too-Strategie.

Was haben Sie aus dem Rover-Debakel gelernt?
Als wir die Rover Group in England 1994 akquiriert haben, war das ein Schritt zu Verbreiterung im Markt. Aber wir haben erkennen müssen, dass Premium- und Massenmarkt nicht zusammenpassen. Und es war ein Zeichen der Stärke des Unternehmens, dass wir gehandelt haben, als dies erkannt worden ist. Nachdem die Turnaround-Versuche fehlgeschlagen waren, haben wir verkauft, um die Marke BMW nicht zu gefährden.

Das heisst, ein Hersteller kann nicht gleichzeitig Premium- und Massenmarkthersteller sein?
Das ist die Lektion, die wir gelernt haben. Es ist ja auch die Basis unserer Strategie, dass wir in allen Segmenten, in denen wir auftreten, eine Premiumlösung anbieten. Ob das nun ein kleines Fahrzeug ist wie der Mini oder die Kernmarke BMW in allen Facetten oder aber Rolls-Royce in der absoluten Oberklasse.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die neue Strategie der Swiss, die ja in der Business-Class ein Premium-produkt anbieten will und in der Economy-Class ein möglichst billiges Massenprodukt? Kann so etwas funktionieren?
Es steht mir nicht an, andere Unternehmen oder gar andere Branchen inhaltlich zu beurteilen. Aber ganz allgemein kann ich sagen: Eine Unternehmensstrategie baut ja auch auf eine durchgehende Unternehmenskultur. Man kann, das hat die Erfahrung gezeigt, nicht einen Teil der Organisation so denken lassen und einen Teil anders – das würde eine Organisation auseinander reissen. Jedes Unternehmen, egal wo, in welcher Industrie und in welchem Wettbewerb, muss wissen, wofür es steht, welche Stärken es hat und was es nicht kann. Wer ein bisschen was für jeden zu bieten versucht, der bietet keinem wirklich das, was dieser erwartet.

Die deutschen Gewerkschaften haben soeben mit ihren Streiks, die auch BMW trafen, eine historische Niederlage einstecken müssen …
Die endgültige Bewertung der Streikfolgen ist jetzt noch nicht möglich. Aber es wurde klar ein Signal gegeben für die gesamte industrielle Welt: dass innerhalb der deutschen Gesellschaft ein Umdenken angefangen hat. Die von den Gewerkschaften so stark propagierte Arbeitszeitverkürzung wird von den Arbeitnehmern nicht mehr als Ziel Nummer eins gesehen. Viel wichtiger sind Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen und vor allem Bedingungen, die es auch im internationalen Vergleich attraktiv machen, in Deutschland und auch in den östlichen Bundesländern zu investieren. Das ist die Hauptbotschaft dieses Streiks und seines überraschenden Endes.

Die Regierung Schröder will der Wirtschaft mit Arbeitsmarktreformen und Steuersenkungen neue Impulse geben. Reicht das, um die verkrusteten Strukturen in Deutschland aufzubrechen?
Die Schritte gehen in die richtige Richtung, und sie können der Beginn einer grundlegenden Reform sein. Es haben ja in den letzten Jahren viele Politiker von der Notwendigkeit von Reformen geredet. Nun ist ein klarer Wille da, etwas zu tun. Aber es muss jetzt auch etwas getan und nicht nur darüber geredet werden.

Was muss konkret noch geschehen?
Es gibt kein Allheilmittel. Aber die Überschrift «Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung» beschreibt am besten, was Not tut.

Wie kann man eine Staatsquote, die bei über 40 Prozent liegt und die innerhalb der letzten 27 Jahre kräftig gestiegen ist, wieder zurückführen?
Es gibt international ja eindeutige empirische Belege, dass dort, wo die Staatsquote reduziert worden ist, Arbeitsplätze geschaffen wurden und die Wirtschaft gewachsen ist. Bei uns ist das Gegenteil passiert.

In Deutschland wird diskutiert, ob ähnlich wie in der Schweiz die Topmanager von börsenkotierten Unternehmen ihre Gehälter offen legen sollen. Sie wehren sich dagegen. Warum?
Das deutsche Aktienrecht sagt, dass der Vorstand als Gremium gesamthaft verantwortlich ist. Nicht ein einzelnes Mitglied. Und deswegen sollen die Aktionäre wissen, wie viel die Mannschaft, in unserem Fall die sechs Vorstände, gesamthaft als Vergütung bekommt.

Und wie viel ist das?
Bei uns sind das 11,9 Millionen Euro. 82 Prozent davon sind erfolgsabhängig.

Das heisst, Ihre Boni sind ein Vielfaches höher als die Gehälter.
Oder aber unsere Grundgehälter sind relativ niedrig. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es darbt keiner bei uns. Aber wenn wir publizieren, dass jedes Vorstandsmitglied im Schnitt knapp zwei Millionen Euro bekommen hat und davon 82 Prozent variabel waren, glaube ich, ist die Öffentlichkeit ausreichend informiert.

Es heisst, Sie leiden unter dem Image, unemotional zu sein.
(Verwirft die Hände) Das können Sie selber beurteilen. Wirke ich auf Sie unemotional?

Kaum, aber das war nicht die Frage. Die Frage war, ob Sie unter dem Image leiden.
Ich lege Wert darauf, dass man erkennt, dass ich ein emotionaler Mensch bin, der rational und klar strukturiert denkt. Eher als jemand, der ab und zu mal emotionale Momente hat. Es ist wichtig, dass man die Balance hat zwischen Gefühlen, die man lebt und zeigt, und rationalen Fähigkeiten. Ich glaube nicht an ein Entweder-oder. Es ist immer beides. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Wer meint, ich sei ein trockener Klotz, der hat mich nicht genügend erlebt!

Zur Person Helmut Panke

Seit Mai letzten Jahres ist Helmut Panke (56) Vorstandsvorsitzender der BMW Group. Doch eigentlich ist der aus Brandenburg stammende «Icehead» («Financial Times») promovierter Kernphysiker: 1976 bis 1978 arbeitete er am Schweizer Institut für Nuklearforschung in Villigen (dem heutigen Paul Scherrer Institut). Dort forschte er nicht nur, sondern koordinierte auch die Arbeit der übrigen Physiker und sammelte dabei so viel Erfahrung mit Projektmanagement, dass er sich bei McKinsey bewarb. Bei BMW begann Panke 1990 als Leiter des Bereichs Konzernplanung. Später leitete er das USA-Geschäft, war Personalchef und schliesslich CFO bei BMW. Damit kannte Panke alle wichtigen Bereiche des Unternehmens: Als Joachim Milberg, der das Unternehmen nach der missglückten Rover-Akquisition wieder auf Kurs gebracht hatte, aus gesundheitlichen Gründen vom CEO-Posten zurücktrat, war er der logische Nachfolger. Seither treibt Panke das Wachstum von BMW mit Höchstgeschwindigkeit voran und schreibt damit Rekordzahlen. Seine Liebe zur Schweiz blieb ihm erhalten: Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr fährt er mit der Familie zum Skifahren nach Graubünden.

Marc Kowalsky
Ressortleiter Unternehmen & Märkte