BILANZ: Bill Gates, Sie sind der erfolg-reichste Unternehmer des 20. Jahrhunderts. Von welchen Unternehmen lernen Sie?
Bill Gates: Wir haben immer versucht zu lernen. Wir konnten mit Intel zusammenarbeiten, als die noch ein Start-up waren. Von IBM haben wir durch unsere enge Beziehung eine Menge guter und schlechter Dinge gelernt. Japanische Unternehmen haben uns sehr beeinflusst, was Qualitätssicherung betrifft und wie man seine Ingenieure organisiert. Heute schauen wir uns Unternehmen an wie GE: Was passiert dort? Wie organisieren sie ihr Personal? Wie führen sie? Das hilft uns, denn es gibt Ähnlichkeiten. Und ich habe viele einst blühende Unternehmen verschwinden sehen, Firmen, an die man sich heute gar nicht mehr erinnert.
Ist es das, was Sie antreibt? Die Angst, dass Microsoft das Gleiche passiert wie NCR, Burroughs oder Wang?
Nein, Angst ist nicht hilfreich. Die Realität ist: Wenn unsere nächste Software keinen Durchbruch darstellt, wird sie keiner kaufen. Die Kunden benutzen einfach die alte Version weiter und zahlen uns keinen Cent. Unser grösster Konkurrent sind wir selber. Wir verkaufen ein Produkt, das sich nie abnützt. Also müssen wir den Kunden mit jeder neuen Version überraschen, ihm neue Features liefern, damit er sagt: Wow! Immer und immer wieder.
Lesen Sie Managementliteratur?
Die Zeit, die ich mit Leuten wie meinem Freund Warren Buffett verbringe, beeinflusst mich mehr. Wir diskutieren viel, wie Geschäftsmodelle funktionieren. Es ist nicht so, dass ich jede Ausgabe der «Harvard Business Review» lese, aber ich interessiere mich für Bücher, die den Erfolg oder Misserfolg von Unternehmen behandeln.
Welches hat Sie am meisten beeinflusst?
Wenn ich ein Einziges empfehlen müsste: «Meine Jahre bei General Motors» (von Alfred Sloan, CEO des Autokonzerns von 1923 bis 1946; gilt als erstes Standardwerk der Managementliteratur, Red.). Hervorragend!
Ist andersherum das Erfolgsmodell Microsoft übertragbar auf andere Industrien?
Jede Industrie ist einzigartig, und Microsoft ist organisiert, wie sie ist, mit dem Ziel, das weltbeste Softwareunternehmen zu sein. Wenn überhaupt, dann wäre uns die Pharmabranche noch am nächsten.
Weil es eine wissensbasierte Industrie ist?
Exakt, es geht nur um Erfindungen. Nur die Durchbrüche bringen Geld, also brauchen Sie ständig Durchbrüche. Und sehr clevere Leute, die Sie richtig organisieren müssen.
Das amerikanische «Fortune» hat Sie – nach Warren Buffett – zum zweitmächtigsten amerikanischen Manager ernannt. Was bedeutet Macht für Sie?
Die behaupten etwas Idiotisches.
Warum?
Schauen Sie, ich gehe jeden Morgen zur Arbeit im Wissen, dass wir technologische Durchbrüche schaffen müssen. Wir sind Sklaven des Marktes. Wenn die Leute unsere Durchbrüche mögen, behandelt uns der Markt gut. Das ist uns viele Jahre gelungen, aber es ist sehr hart. Man wird nicht einfach wie ein Politiker gewählt und kann dann vier Jahre tun und lassen, was man will. Die Leute stimmen jeden Tag über uns ab. Deswegen ist der Imperativ jeder meiner Entscheidungen, dass wir mit dem Unternehmen so schnell wie möglich vorwärts kommen. Ich habe kaum Freiheiten, dass ich machen kann, was ich will.
Und bei Ihrer Stiftung: Ist da der Freiraum grösser?
Da habe ich mehr Spielraum. Ich wähle die Anliegen aus, die mir am Herzen liegen, und ich treffe dabei richtige oder falsche Entscheidungen. Aber es gibt kein tägliches Messsystem, das mir sagt, ob ich es gut oder schlecht mache.
Wofür wollen Sie eher in Erinnerung bleiben: für Ihren Einfluss auf die Entwicklung der PC-Industrie oder für Ihr humanitäres Engagement, das Sie über Ihre Stiftung eingehen?
Ich messe nicht in diesen Kategorien. Ich hatte das Glück, die aufregendste Karriere zu haben, die man sich vorstellen kann. Ich habe noch ein Jahrzehnt Arbeit vor mir, um meine ursprünglichen Träume zu verwirklichen. Aber wenn ich um die Welt reise, ist es fantastisch zu sehen, welchen Einfluss unsere Arbeit auf das tägliche Leben aller Menschen hat. Meine Philanthropie ist ebenso spannend. Es gibt ein gewaltiges Vakuum, wo die industrialisierte Welt den Rest der Welt einfach ignoriert hat. Aber in den so genannten Entwicklungsländern leben nun mal die meisten Menschen, und der Tod von über zehn Millionen Kindern pro Jahr ist einfach eine schreckliche Tatsache, die man verhindern könnte.
Hat sich Ihre Lebensphilosophie verändert, seitdem Sie Vater geworden sind?
Die Idee, dass ich den besten Weg finden muss, um meinen Reichtum der Gesellschaft zurückzugeben, hatte ich seit langer Zeit. Eigentlich wollte ich mit Philanthropie warten, bis ich sechzig bin und meine Zeit ganz ihr widmen kann. Dann haben Melinda und ich geheiratet, Kinder bekommen, und festgestellt, dass wir deren medizinische Versorgung für selbstverständlich hinnahmen. Das war der Anlass, dass wir uns mehr mit dem Thema beschäftigt haben. Die Aids-Krise, die fehlenden Impfungen für Kinder sind dringende Probleme, die von der Wissenschaft ignoriert werden. Deshalb habe ich entschieden, mich sofort zu engagieren, auch wenn ich der Stiftung nicht meine ganze Zeit widmen kann.
Sie haben in den letzten fünf Jahren 22,9 Milliarden Dollar gespendet, mehr als die Hälfte ihres gegenwärtigen Vermögens …
Es wäre nicht gut, das Vermögen meinen drei Kindern zu geben.
Warum nicht?
Sie bekommen schon etwas Geld (zehn Millionen Dollar pro Kind, Red.). Aber es ist doch verrückt, wenn ein Kind aufwächst und weiss, es hat zehn Milliarden Dollar. Ich meine, das verzerrt doch sein ganzes Bild, wer es ist und was es im Leben leisten muss! Wenn mir das passiert wäre – es hätte mein Leben ruiniert.
Wie viel Taschengeld geben Sie Ihren Kindern?
Phoebe und Rory sind noch zu jung für Taschengeld (ein beziehungsweise vier Jahre, Red.). Jennifer ist sieben Jahre alt, und wenn sie alle ihre Hausaufgaben gemacht hat, bekommt sie 50 Cent pro Woche. Es gibt immer etwas, das sie kaufen will, und dann braucht es ein paar Monate, bis sie es zusammengespart hat (lacht).