Bilanz: Herr Berger, seit 1967 sind Sie als Unternehmensberater tätig. Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als Sie Ihr Unternehmen gründeten?
Roland Berger: Als ich vor 36 Jahren anfing, gab es in Deutschland die erste Rezession mit schrumpfendem Bruttosozialprodukt seit dem Zweiten Weltkrieg, was die Arbeitslosigkeit von 0,7 auf 2,1 Prozent ansteigen liess. Gleichzeitig fand die 68er Bewegung statt, und man ging an der Seite von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit auf die Strasse und demonstrierte gegen das Establishment.
Sind Sie da mitmarschiert?
Nein. Auch ich habe zwar selbst heute noch meine Zweifel am reinen Wert des materiellen Erfolges. Aber ich war und bin ein liberaler und unabhängiger Mensch. Und 1968 war ich meinen Altersgenossen schon ein Stück voraus – nicht zuletzt dank der vielen Diskussionen über Marxismus und Kommunismus, die ich schon zuvor kontrovers geführt hatte. «Das Kapital» von Marx kannte ich aus dem Effeff, und seine politischen Schlussfolgerungen hatte ich bereits als irreal abgehakt.
Sie schlugen sich auf die andere Seite und hatten seither mit Politik nicht mehr viel zu tun.
Ich war und bin ein «political animal». Aber in den Siebzigern klaffte zwischen Politik und Wirtschaft tatsächlich eine beträchtliche Verständnislücke. Die grossen Unternehmen waren unpolitisch. Sie diversifizierten und versuchten, ihren Export voranzutreiben. Und sie begannen erstmals, international zu investieren. 1982 kam die politische Wende zu Gunsten von Union und FDP. Dies hat hier zu Lande zu einem wirtschaftsfreundlicheren Klima geführt, Ende der Achtziger waren die Kassen von Staat und Unternehmen gut gefüllt. Die Distanz zwischen Politik und Wirtschaft blieb indes auch unter Kohl bestehen. Dann fiel 1989 die Mauer, 1991 zerfiel die Sowjetunion, und schliesslich begann eine Phase, die wahrscheinlich als «die goldenen Neunziger» in die Wirtschaftsgeschichte eingehen wird. Leider war sie 2001 zu Ende.
Vom Boom der Wirtschaft profitierte ja insbesondere Ihre Branche
Ja sicher, man hat Berater gebraucht. Die Unternehmen waren plötzlich mit neuen, komplexen Herausforderungen konfrontiert und benötigten Lösungen für die Zukunft. Zudem hatten sie in der Rezession Anfang der Neunzigerjahre Personal abgebaut und daher praktisch keine Stäbe mehr. Es musste also zu einer erheblichen Nachfrage nach Unternehmensberatern kommen, denn diese Aufgaben waren nur durch zusätzliche Kapazitäten und Know-how zu bewältigen. Die Branche wuchs in jedem Jahr um bis zu zwanzig Prozent. Wir Berater haben neue und langfristig gültige Managementmethoden entwickelt wie Portfoliomanagement, Lean-Management, Reengineering und das Shareholder-Value-Konzept.
Jetzt scheint den Consultants allerdings nichts Neues mehr einzufallen. Die Branche darbt.
Letztes Jahr ist sie um sechs Prozent geschrumpft. Zwischenzeitlich weiss jedes Unternehmen selbst, wie etwa Portfoliomanagement funktioniert. Wenn die Berater aber wieder innovative Konzepte zur Lösung von Managementproblemen anbieten, wird das Geschäft auch wieder boomen. Andernfalls wird es schwieriger.
Wo könnten Unternehmensberater denn neue Impulse setzen?
Bei der Virtualisierung von Unternehmen und den damit verbundenen Anforderungen an die Führung beispielsweise. Aus meiner Sicht braucht es auch Innovationen im Marketing. Und wir benötigen Instrumente, um neue Technologien nicht nur frühzeitig zu erkennen, sondern auch ihre Bedeutung für die Wirtschaft zu erfassen und umzusetzen. Das sind drei wichtige Themen…
…die bis anhin noch ziemlich diffus klingen. Wann werden die Berater diesbezüglich konkret?
Das ist schwer zu sagen. Häufig ist der Zufall im Spiel. Alle Berater arbeiten derzeit an neuen Ideen. Oft sind es einzelne Personen, die auf Innovationen stossen.
Nun leiden die Unternehmensberater ja nicht nur in puncto Auftragslage und Ideenpause. Auch beim Image hat die Beraterbranche ein Problem.
In Deutschland ist das nicht so ausgeprägt wie in der Schweiz, und auch dort bezieht es sich ja stärker auf eine einzelne Beratungsfirma. Aber sicher, alle leiden, wenn der Marktführer ein Problem hat. Allerdings hat nicht nur das Image der Berater gelitten, sondern auch das der Analysten, Wirtschaftsprüfer, Investmentbanker und Manager, also der Wirtschaft als Ganzes.
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Was prophezeien Sie Ihren Kollegen?
Die Unternehmensberatung ist und bleibt das Spannendste überhaupt. Unsere Branche wird neue Höhepunkte in Wachstum, Kreativität und Ansehen erleben. Garantiert!
Sie und Ihre Firma sind ohnehin obenauf, wohl auch weil Sie in den vergangenen Jahrzehnten Erfolg um Erfolg verbuchten. Welches waren Ihre grössten Erfolge?
1992 haben wir die Star-Alliance im Rahmen des Lufthansa-Turnarounds beraten, und zwar vom ersten Tag an. Sodann war es vor über dreissig Jahren meine Idee, aus vier Touristikunternehmen einen Konzern zu formen. Die TUI ist heute das grösste Touristikunternehmen der Welt.
Und Misserfolge…?
Danach werde ich oft gefragt, aber mir fällt keiner ein. Sicher ist ab und zu ein Projekt weniger gut gelaufen, aber meistens haperte es dann an der Kommunikation, manchmal an der Umsetzung.
Ist Erfolgswille Ihre treibende Kraft?
Ja, und der Spass an meinen Aufgaben. Ich habe laufend Neues kennen gelernt: Firmen, Länder, Methoden, und vor allem immer neue Menschen, die zudem Gestaltungsmacht und -willen besassen. Es hat auch sehr viel Spass gemacht, Roland Berger Strategy Consultants erfolgreich auf- und auszubauen. Wir haben in der Zwischenzeit Büros in 23 Ländern; ich habe also 23-mal von vorne angefangen. Es hat mich stets mehr gereizt, die Ärmel hochzukrempeln und mit jungen Menschen etwas neu aufzubauen, als hier im Büro zu sitzen und ein bereits grosses Unternehmen zu managen.
Sie sind also eher ein Schöpfer als ein Manager?
Sicher, ein Berater darf nicht nur analytisch sein. Unternehmen, die Berater
engagieren, brauchen innovative Perspektiven. Das sind übrigens auch eindeutig die spannendsten Projekte: Weichen stellen, die Zukunft mitgestalten, etwas bewegen.
Und das tun Sie auch am liebsten
Ja, Neues lernen, Neues schaffen. Als Berater konnte ich das ständig tun, denn unser Berufsleben besteht ja primär aus Projekten für Klienten.
Hatten Sie Vorbilder?
Wozu Vorbilder? Wenn man in irgendwessen Fussstapfen tritt, kann man ihn nie überholen.
Ist das Ihr Rat an die Jungen?
Nein, dazu gibt es natürlich mehr zu sagen. Erstens sollte ein Mensch das tun, was er am liebsten tut. Das Wichtigste ist, dass ein junger Mensch sich selbst und seine objektiven Fähigkeiten erkennt. Er sollte aber auch wissen, was er subjektiv gerne tut, möglichst schon bei der Studien- oder Berufswahl. Und sich dann die Freiheit nehmen, diesen seinen Weg einzuschlagen. Zweitens hart arbeiten. Das Genie besteht zu neunzig Prozent aus Transpiration und zu zehn Prozent aus Inspiration. Drittens sollte er sich ein Umfeld suchen, in dem er das Gefühl hat, gefördert zu werden und sich entfalten zu können. Denn so erhält er schnell grössere Freiräume und kann mehr Freude an der Arbeit wie am Leben entwickeln.
Und was macht dann aus einem Berater einen guten Berater?
Sehen Sie, das kann man nur in begrenz-tem Mass lernen. Es ist meiner Meinung nach grösstenteils angeboren, ob einer unternehmerisch fähig ist, kreativ, führungsstark und in der Lage, sich zu engagieren. Ich hatte Gott sei Dank immer genügend Eigendynamik, um aus meinen Anlagen etwas zu machen. Das ist auch Glück…
…und Arbeit.
Ja sicher, ich habe immer sehr viel gearbeitet. Aber ich gehe auch auf die Menschen zu. Das hat im Lauf der Jahre viele tragfähige berufliche, aber auch persönliche Verbindungen und Freundschaften entstehen lassen.
Nun ziehen Sie sich auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden zurück. Was wird sich ändern?
Ich habe stets vermieden zu sagen, mit 65 ändere ich mein Leben. Ich gehe nicht in Rente, sondern bleibe dem Unternehmen als aktiver Chairman erhalten, solange ich gesund bin.
Dann ist Ihr Rückzug reine Formsache?
Nein, ich kümmere mich nicht mehr um interne Dinge wie Personal- oder Finanzfragen. Aber ich begleite die Führung und leite noch einzelne Projekte. Diesen Spass gönne ich mir – und manche Kunden bitten mich auch darum.
Und dann werden Sie sicher das tun, wofür Sie bisher keine Zeit hatten.
Klar, auch mein Leben war ein Trade-off, und manche Dinge kamen zu kurz. Aber ich habe nie unter meiner Arbeit gelitten. Meine Frau gelegentlich schon. Nun kann ich meiner Familie und meinen Freunden mehr Zeit widmen. Auch kulturellen und politischen «Belangen» und der Natur.
Will Sie die Familie denn noch, nach so vielen Jahren der Entbehrung?
Wir haben uns ja durchaus nicht verloren! Und vielleicht gibt es einmal Enkel, die die Welt und mich wieder etwas anders sehen, als dies die eigenen Kinder tun.
Sie sind mit sich im Reinen?
Ja, ich würde mir wohl mehr Zeit für meine Kinder nehmen, aber sonst würde ich alles wieder gleich machen. Sicher habe ich durch die viele Arbeit und das Reisen auch meiner Gesundheit manchmal einiges zugemutet. Aber Gott sei Dank habe ich ein körperlich vitales und emotional stabiles Naturell. Deshalb hatte ich weder eine ernste Krankheit noch ein Burnout-Syndrom.
Und wenn Sie Ferien machten, dann taten Sie dies Ihrer Familie zuliebe?
Und um auszuschlafen. Aber auch aus den Ferien rufe ich jeden zweiten Tag in der Firma an. In wichtigen Funktionen wird man ja primär mit wichtigen Problemen konfrontiert oder mit schönen Erfolgen. Und wichtige Probleme gilt es immer sofort zu lösen.
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