Wenn Amerika das Unternehmertum feiert, wird nicht gespart. Daran hielt sich auch die international tätige Treuhand- und Unternehmensberatungsfirma Ernst & Young, die den Entrepreneur of the year award mittlerweile in 15 Ländern ausschreibt. Sie liess es den 600 geladenen Unternehmern an nichts fehlen. Auch Dieter Beer, Olivier Burger und Reto Gurtner, die als erste Schweizer zu Unternehmern des Jahres gewählt wurden, erlebten eine hollywoodreife Preisverleihung.
Verdient hatten sie sich die Auszeichnung wie Dieter Beer, Mitgründer und Geschäftsführer der Carbogen, mit aussergewöhnlichen Leistungen. Die Kunden seines Unternehmens sind weltweit tätige Pharmaunternehmen. Die Firma aus der Aarauer Schachenallee ist für sie ein wichtiger Partner. Der Grund: Die Carbogen ist in der Lage, aus wenigen Molekülen exakt die Wirkstoffmengen herzustellen, die es für die medizinischen Tests braucht. «Dank uns ersparen sich die Pharmariesen die Frühphase einer Medikamentenentwicklung. Sie können sich voll auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren», kommentiert Dieter Beer. Durch die Zusammenarbeit mit Beer brauchen sich die Firmen auch nicht mehr selbst um die Auslastung ihrer Early-development-Labors zu kümmern, ein Vorteil, der stark ins Gewicht fällt, denn die Wirkstoffentwicklung ist kein kontinuierlicher Prozess und lässt sich nur schwer planen.
Beer hat eine echte Marktnische entdeckt, und man sollte meinen, die Schweizer Pharmahersteller wären schon lange auf den cleveren Wahlschweizer mit Kölner Wurzeln aufmerksam geworden. Doch weit gefehlt: Roche und Novartis zählen noch nicht zu den Carbogen-Kunden. Diese sitzen vorwiegend in den amerikanischen Neuengland-Staaten und in Südkalifornien. Doch Beer, Schweizer Entrepreneur of the year in der Kategorie Industrie, nimmt das nicht persönlich: «Das ist eine Frage der Mentalität. Die Amerikaner sind viel offener:
Für die Amerikaner ist diese unternehmerfreundliche Kultur selbstverständlich. Der Entrepreneur ist ein bewunderter Leistungsträger, dem mitunter mehr zugetraut wird als grossen Konzernen. So sind 70 Prozent der einflussreichen US-Amerikaner aus Politik, Wirtschaft und Kultur der Überzeugung, dass ihre risikofreudigen Einzelunternehmer die Globalisierung besser meistern als die grossen Konzerne mit ihren starren Hierarchien und komplizierten Kapitalstrukturen.
Entsprechendes Gewicht hat die Verleihung der Entrepreneur of the year awards. Und entsprechend nobel war der Veranstaltungsort: das Kongresshotel Marriott’s Desert Springs in Palm Springs. Während des Gala-Dinners standen 350 Personen im Einsatz, von denen 90 den 1700 Gästen innerhalb einer knappen Stunde ein Viergangmenü servierten. Die Eile war begründet, denn noch sollten die Entrepreneurs of the year des Gastgeberlandes erkoren werden. 492 Unternehmer aus 51 Bundesstaaten - davon knapp 20 Frauen - standen zur Wahl für die Awards in elf Kategorien, vom besten Jungunternehmen über die besten Computerfirmen bis zu den besten Förderern des Unternehmergeistes. Die feierliche Show - bis in die Details einer Oscar-Verleihung nachempfunden - dauerte drei Stunden und gipfelte in der Wahl des «Best entrepreneur under the sun», wie die Amerikaner ihren Landesmeister nicht unbescheiden nennen. Gesucht war der Nachfolger von Vater und Sohn Jack und Andy Taylor, die in den letzten vierzig Jahren mit Enterprise Rent-a-car eine Autovermietungsfirma aufgebaut hatten, die heute 400 000 Wagen anbietet und allein im Finanzjahr 1997/98 einen Gewinn von drei Milliarden Franken erwirtschaftet hat.
Der Gewinner hiess schliesslich Edward E. Iacobucci, Gründer des Software-Unternehmens Citrix Systems. Iacobucci gilt als eigentlicher Erfinder des Thin client in Client-Server-Systemen. Für magere Client-Computer hat er gewissermassen den Weltstandard gesetzt; heute kooperiert er mit allen grossen Hardware-Herstellern. Entsprechend gross ist die Kundschaft: In den USA arbeiten bereits fünf Millionen Endnutzer in 10 000 Firmen mit Rechnern, die auf der Citrix-Technologie aufbauen. «Seven millions?» Der Küchenbursche kann nicht glauben, dass die Schweiz weniger Einwohner als Los Angeles hat und trotzdem mit eigenen Entrepreneurs of the year vor Ort ist. Verblüffung aber nicht nur bei den Amerikanern: Die Dimensionen, in denen die amerikanischen Top-Unternehmertypen denken und handeln, waren für die europäischen Besucher schwindelerregend. «Da können wir nicht mithalten», meinte beispielsweise Matthias Löhr, der deutsche Gewinner in der Kategorie Dienstleistung. Dabei beschäftigt der deutsche Logistikunternehmer - vor der Gründung seiner Firma jahrelang Topmanager bei Kühne & Nagel - 4000 Mitarbeiter, übrigens 100 davon in Nidau bei der WM Max Renz. Trotzdem: Matthias Löhr ist begeistert vom Wettbewerb des Entrepreneur of the year. Denn in Deutschland hatte er bereits bei der zweiten Auflage einen Namen. Matthias Löhr: «Wir hatten ein sehr grosses positives Echo von Kundenseite.»
In der Schweiz ist der Wettbewerb noch wenig verwurzelt. Doch für Jörg Güttinger, bei Atag Ernst & Young für den Schweizer Wettbewerb zuständig, ist klar: «Wir wollen den Entrepreneur of the year award auch in der Schweiz zur Institution machen.» Er sieht in der Veranstaltung eine optimale Verbindung zwischen Vergnügen und Geschäft. Nicht mehr vom Wettbewerb überzeugen muss Güttinger die drei Schweizer Gewinner. Für Olivier Burger, Preisträger in der Kategorie Handel und als Inhaber der Bekleidungskette PKZ seit dem Kauf der Feldpausch-Gruppe vor zwei Jahren auch auf dem grossen deutschen Bekleidungsmarkt aktiv, ist der US-Markt zwar kein Ziel, doch die Eindrücke in Palm Springs waren sehr lohnenswert: «Es ist erstaunlich zu sehen, wie man hier die Dinge anpackt.» Vor allem der mitunter unbedingte Wille zum Verkauf hat den Mann beeindruckt. Und dies, obwohl Burger nach Möglichkeit selbst jeden Samstag in einem seiner Läden an der Verkaufsfront steht. «There is no free lunch.» Der Bündner Tourismusunternehmer Reto Gurtner ist von der Effizienz und Konsequenz des amerikanischen Geschäftsstils beeindruckt, seit er in Los Angeles studiert hat. Und als der Mittvierziger nach dem Studium die Gelegenheit hatte, den kleinen väterlichen Liftbetrieb in Laax zu übernehmen, setzte er seine in Amerika gewonnenen Erfahrungen konsequent um. Er war beseelt von der Vision, aus dem Skigebiet um die Orte Flims, Laax und Falera eine Wintersportstation nach dem Vorbild von Aspen, Vail oder Wisthler Mountain zu machen: «Dort gehören alle Anlagen und Betriebe der gleichen Firma, und die kann entsprechend gezielt auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen.» Heute hat Gurtner, der Gewinner in der Kategorie Dienstleistung, sein Ziel beinahe erreicht: Als grösster Arbeitgeber der Surselva betreibt er sämtliche 29 Bergbahnen und Skilifte der Region und ist auch in der Hotellerie tätig. Der Vorteil liegt für Gurtner auf der Hand: «Die Region kann als Einheit auftreten.» Für Gurtner ist das Denken im Schweizer Bergtourismus oft zu kleinkariert. Jeder kleine Liftbetreiber beargwöhne den anderen. Dabei gehe es darum, gemeinsam Verbesserungen zu erzielen. «In einem Disneyland können wir Schweizer zum Beispiel lernen, wie man mit grossen Menschenmengen umgeht.»
Von anderen lernen: Das ist auch für Dieter Beer ein wichtiges Stichwort. «Wenn ich als Unternehmer ausschliesslich von eigenen Ideen leben müsste, könnte ich den Laden dichtmachen», bekennt der High-Tech-Unternehmer. Ein Geständnis, das in amerikanischen Ohren übrigens völlig selbstverständlich klingt: Unternehmertum wird in den USA nämlich weniger mit phantastischen Ideen als vielmehr mit «strength of character» und Lernbereitschaft in Verbindung gebracht. Deshalb ging es in Palm Springs auch um die unternehmerische Weiterbildung: So dokumentierte etwa der Publizist Harry Dent den Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf das Marktgeschehen, und Alfred R. Berkeley III., der Chef der amerikanischen Venture-Capital-Börse Nasdaq, zeigte auf, wie er seinen Aktienmarkt für Wachstumsfirmen mit Hilfe des Internets schon bald zum attraktivsten der Welt machen will: Im Jahr 2001 soll jeder zweite Deal online abgewickelt werden. Vor allem Berkeleys Referat fand grosse Beachtung, denn er brachte zwei Themen zusammen, die den Kongress beherrschten: Venture Capital und Internet. Risikokapital ist für Wachstumsfirmen ein wichtiges Thema, und das Internet hat die innovativen Köpfe schon früh fasziniert. Die Preisrichter des amerikanischen Wettbewerbs haben es schon gewürdigt, als es noch in den Anfängen steckte. So befinden sich unter den bisherigen Gewinnern zwei Unternehmer, die in der Ahnengalerie des Internets einen Stammplatz haben: der America-Online-Gründer Steve Case, dessen Unternehmen gerade die Browser-Firma Netscape übernimmt, und Michael Dell vom gleichnamigen Computerhersteller, dessen traumhaftes Wachstum weitgehend «web driven» ist. Das dritte Jahrtausend, so Nasdaq-Boss Berkeley, wird das Jahrtausend der Unternehmer. Namen wie Edward E. Iacobucci, Steve Case oder Michael Dell scheinen es zu belegen. Sie stehen für Unternehmerkarrieren, wie sie in den USA unter Bill Clinton förmlich aus dem Boden schiessen, Karrieren, die das «financial network» der CNN nun auch weltweit publik machen will. In Palm Springs lancierte der Sender, dessen Gründer Ted Turner selbst schon einmal Preisträger war, ein neues Gefäss, das sich ausschliesslich um Unternehmer dreht. «Entrepreneurs only» ist der Name der werktags ausgestrahlten Show.
Eine gute Sache, hat sich da mancher Europäer gesagt. Allerdings nur, bis er erfahren hat, dass die Sendung hierzulande zu nachtschlafener Stunde um 3.30 Uhr zu sehen ist. Dabei kann diese Terminierung gar nicht erstaunen. Denn sie bringt nur offen zum Ausdruck, was viele Amerikaner im stillen denken, dass nämlich die wirklich grossen Unternehmer nie aus Europa stammen werden. Und der Anlass in Palm Springs hat gezeigt, dass dieser Glaube durchaus nicht aus der Luft gegriffen ist: Vorläufig fehlt den Europäern schlicht und einfach der grosse Heimmarkt und deshalb auch oft die Kraft für eine weltweite Präsenz.
Wie sehr die Enge eines Marktes der Wertschöpfung und Expansion Grenzen setzen kann, erfährt Olivier Burger, der Gewinner in der Kategorie Handel, gerade wieder am eigenen Leib. Nach seiner Übernahme der Feldpausch-Gruppe kam es den neuen Mitarbeitern zwar vor, als seien sie von einem deutschen Bummler in einen Schweizer Schnellzug umgestiegen, doch Burger ist heute froh, wenn er die margenfressenden Overhead-Kosten pro verkauftes Kleidungsstück auf demselben Niveau wie die deutsche Konkurrenz halten kann. Der einzige Grund: Der deutsche Markt ist zehnmal grösser als der helvetische. Abhilfe kann hier die Einführung des Euro und der definitive Eintritt der Schweiz in den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum schaffen. Denn in einem Euro-Land mit 400 Millionen Konsumenten würden auch die Unternehmerkarrieren in neue Dimensionen wachsen. Dann müsste der Titel des besten Unternehmers unter der Sonne nicht mehr länger für Amerikaner reserviert werden. Und wenn der Meister aller Klassen einmal aus Europa oder - noch besser - aus der Schweiz kommt, spätestens dann wird Ted Turner auch einmal über die Fernsehgewohnheiten des hiesigen Publikums nachdenken.