Schätzungen über künftige Gewinne sind ein wichtiges Instrument zur Festlegung einer Portfoliostrategie. Sie verändern sich laufend aufgrund neuer Informationen zu makroökonomischen Entwicklungen und dem Geschäftsverlauf der Unternehmen. Im vergangenen Dezember beispielsweise wurde dem Schweizer Markt für das Jahr 2007 noch ein um 3,59% tieferes Gewinnwachstum zugetraut als in den aktuellen Gewinnschätzungen des Institutional Brokers Estimate System (IBES).



Das IBES verarbeitet Daten von weltweit über 18000 Firmen und Aktien. Damit leistet es einen wichtigen Beitrag zur Beurteilung einzelner Märkte und Sektoren.Die Erwartungen des IBES für das Jahr 2007 liegen verglichen mit den Werten vom vergangenen Dezember tiefer. Die Schweiz bildet unter den hoch entwickelten Regionen eine positive Ausnahme. Die Gewinnschätzungen für die gesamte Welt wurden um 1,31% nach unten revidiert. Vor allem für den nordamerikanischen Markt sind die Erwartungen in nahezu allen Bereichen kleiner geworden. Auch der europäische Markt wird weniger positiv bewertet als drei Monate zuvor.

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Optimismus für die Schweiz



Nicht nur bei den Gewinnrevisionen über die vergangenen drei Monate, auch beim Gewinnwachstum für das laufende Jahr steht die Schweiz mit 8,45% vor Nordamerika mit 6,22% und Europa mit 7,04%. Die dynamische Pazifikregion schlägt den Schweizer Markt mit einem prognostizierten Gewinnwachstum von 12,24% jedoch deutlich. Christoph Riniker, Analyst bei der Bank Julius Bär, sieht einen möglichen Grund für die Schweizer Stabilität in der defensiven Zusammensetzung des schweizerischen Aktienmarktes, die historisch gesehen für tiefere Schwankungen der Gewinnwachstumsraten als in Europa oder Nordamerika sorge.

Hoch bewertete Industrietitel



Auf Sektorebene fallen insbesondere die positiven Revisionen in den Bereichen Industrie und Finanzen auf. Der Telekomsektor hat zwar noch besser abgeschnitten (+8,31%), ist für die Schweiz aber von geringer Bedeutung. «Im Schweizer Industriesektor sind die erwarteten Gewinne nach oben revidiert worden, weil die Konjunktur in Europa besser läuft als erwartet, die Euro-Stärke zu höheren Gewinnen führt und viele Industrieunternehmen ihre Margen verbessern konnten», sagt der Leiter des ZKB-Aktienresearch, Sven Bucher. Die Schweizer Titel im Industriebereich seien aufgrund der positiven Aussichten aber bereits recht hoch bewertet. Bucher empfiehlt deshalb Unternehmen, die von strukturellen Anpassungen profitieren, wie Burckhardt Compression oder ABB. Julius-Bär-Mann Riniker sieht ebenfalls grosses Potenzial in ABB und auch Siemens.

Versicherungen bevorzugt



Die Erwartungen für den Finanzsektor liegen im Vergleich zum vergangenen Dezember um 5,84% höher. In diesem Bereich bevorzugt Riniker die Versicherungstitel, weil diese nach wie vor ein deutliches Potenzial für weitere Kostenreduktionen aufweisen würden. «Banken sind im direkten Vergleich weniger attraktiv bewertet», ist er überzeugt. Versicherungen hätten den Markt in den letzten Monaten geschlagen, während sich Banken seit längerer Zeit parallel zum Markt bewegten. Für Julius Bär sind deshalb beispielsweise die deutsche Allianz oder Swiss Re einen Kauf wert. Die Grossbanken UBS und Credit Suisse setzt Julius Bär auf «Kauf» beziehungsweise «Halten».

Die Gewinnrevisionen bei den zyklischen und defensiven Konsumgütern sind zwar weiterhin negativ für Nordamerika, Europa und die Schweiz, aber laut Riniker zeichnet sich bereits ein positiver Trend ab. «Die Konsumentenstimmung in Kontinentaleuropa ist sehr gut, die Arbeitslosigkeit nimmt ab und die Löhne zu. Damit fliesst wieder mehr Geld in den Konsum.» Die Konsumgütertitel seien aber im historischen Vergleich ziemlich hoch bewertet. Bei den zyklischen Konsumgütern empfiehlt Riniker Charles Vögele und Richemont. Als defensive Werte seien Nestlé und LOreal interessant.

Im Sektor der Grundstoffe sind die Gewinnerwartungen in der Schweiz im Unterschied zu Nordamerika und Europa gesunken um 1,02%. Laut dem ZKB-Analysten Bucher haben bei den Grundstoffen vor allem Ciba und Clariant mit strukturellen Problemen zu kämpfen. «Die Erdölpreisentwicklung kann in diesem Bereich zu Volatilitäten führen», fügt Bucher hinzu. Aus diesen Gründen ist die ZKB bei der Bewertung der Chemiebranche vorsichtig.

Negative Revisionen erwartet



Auf internationaler Ebene sind vor allem im Energiesektor die Gewinnerwartungen stark nach unten revidiert worden. «Der Trend sinkender Gewinnrevisionen ist aber vorläufig gestoppt – insbesondere in Nordamerika», sagt Anastassios Frangulidis, Leiter Volkswirtschaft International bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Er sieht allerdings bald wieder düstere Wolken am Horizont aufziehen, denn die derzeitigen Turbulenzen am US-Hypothekarmarkt und die damit verbundenen Wachstumsängste könnten in den nächsten Monaten zu tieferen Gewinnschätzungen führen. «Die erwarteten negativen Gewinnrevisionen werden den US-Aktienmarkt in den nächsten Wochen und Monaten weiter belasten», ist Frangulidis überzeugt.