Was der damals 32-jährige Klaus Schwab 1971 gründete, darf als visionär bezeichnet werden. Das World Economic Forum (WEF) zählt heute zu den weltweit einflussreichsten Foren und Think Tanks. Das Einzigartige am WEF ist das globale Netzwerk: Ihm gehören die wichtigsten politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Meinungsführer an.

André Schneider, Direktor des WEF, gibt sich ob der Superlativen vorsichtig. «Das Forum ist primär ein Hub, der die verschiedensten Menschen, Ideen und Institutionen zusammenbringt. Erst in zweiter Linie ist das WEF auch ein Think Tank», sagt Schneider und verweist auf die Reports of Global Competetivness.

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Wer sich mit der Herkunft des Worts «Think Tank» befasst, merkt, dass das WEF ein solcher par excellence ist. Im Zweiten Weltkrieg trafen sich die alliierten Offiziere in Panzern, in «tanks», besprachen komplexe Kampfsituationen und fällten Entscheide. Der Grundgedanke ist geblieben, das Militärische rückte in den Hintergrund. Das, obwohl 1946 die erste Organisation mit dem Beinamen Think Tank von der Rand Corporation ins Leben gerufen wurde, die ein US-Kind des Weltkriegs ist.

Radikal und konsistent

Heutzutage bringen Think Tanks Denker, Experten verschiedenster Disziplinen sowie Medienschaffende mit dem Ziel zusammen, die öffentliche Meinung unabhängig von staatlichen, politischen und industriellen Interessen (so jedenfalls das Ideal) aufzurütteln und zu beeinflussen. In den Augen von Robert Nef, dem Gründer des Liberalen Instituts, einer Denkfabrik, müssen die Dinge in den Think Tanks zu Ende gedacht werden. Er fordert radikale, konsistente und konsequente Argumente, was unorthodoxe und unkonventionelle Thesen und Meinungen einschliesst. Zurückbuchstabieren kann dann die Politik.

Das WEF hat in diesem Punkt eine Vorreiterrolle zu spielen versucht und Diskussionen in Gang gebracht. WEF-Direktor Schneider erinnert an das Thema Globalisierung: Das Forum wies mitten in der neoliberalen Euphorie auch auf die Schattenseiten hin und stellte die Frage nach der Verantwortlichkeit. Im letzten Jahr stand «Frieden und Sicherheit» zuoberst auf der WEF-Agenda, zwei Themen, welche die Welt noch lange beschäftigen werden.

Dieses Jahr geht es gleich um einen bunten Strauss von Herausforderungen, denn «schwierige Zeiten erfordern schwierige Entscheide», wie der übergeordnete Gedanke lautet. Das WEF will zeigen, dass die Probleme, welche die Welt überschatten, komplex und drängend sind und nur von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam gelöst werden können. Schneider nennt als Beispiel die «Klimaerwärmung».

Bernhard Ruetz, Think-Tank-Forscher, stellt fest, dass die Zahl der Think Tanks weltweit am Steigen ist. Das ist seiner Meinung nach ein Ausdruck dafür, dass die pluralistischen Zivilgesellschaften vermehrt auf Wissen und Information setzen. «Ideen können die Welt verändern», ist Ruetz überzeugt. Je intensiver der Austausch zwischen Politik, Hochschulen, Unternehmen und Medien stattfindet, desto eher kann ein Think Tank entscheidend auf eine offene und freie Zivilgesellschaft hinwirken.

Die meisten einflussreichen Think Tanks entstanden im angelsächsischen Raum und wurden in den 70er und 80er Jahren gegründet, als die USA mit der Inflation, der hohen Arbeitslosenquote und sozialen Unruhen zu kämpfen hatten. Primär konservativ denkende Persönlichkeiten, Stiftungen und Wirtschaftsführer investierten in Think Tanks, damit sie sich Gedanken machten über den freien Markt, die Selbstverantwortung, die Eigeninitiative und die Eindämmung des Staats. Illustre Institutionen, die dieser Geisteshaltung entstammen, sind The Heritage Foundation, das Cato Institute oder die Atlas Economic Research Foundation.

Ins europäische Bewusstsein katapultiert wurde vor drei Jahren das Project for the New American Century (PNAC), dem Dick Cheney, Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz angehörten, bevor sie von Präsident Bush in die Regierung berufen wurden. Der konservative Think Tank befürwortete einen Feldzug gegen Irak was indes nicht heisst, dass alle US-Denkfabriken ins gleich Horn stiessen. Im Winter 2002/03 warnten einige liberale Think Tanks vor dem Irak-Krieg und deckten vor den Abklärungen des Senats Fehler der Geheimdienste auf.

Steigende Nachfrage

Die Think-Tank-Kultur ist in der Schweiz bei weitem noch nicht so ausgeprägt wie in den USA oder in Grossbritannien. Nef, der 1979 zusammen mit anderen Jungfreisinnigen das Liberale Institut gründete, um die freiheitlichen Ideen weiterzuentwickeln und zu verbreiten, gibt unumwunden zu: «Die Think Tanks fristeten in der Schweiz lange Zeit ein Nischendasein.» Nefs Schicksal ist es, dass er im Ausland stärker wahrgenommen wird als im eigenen Land. Seine grundsätzlichen, gelegentlich unbequemen Ansichten stiessen in den 90er Jahren vor allem bei der FDP auf weit gehend taube Ohren.

In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach den Denkfabriken in der Schweiz allerdings gestiegen, nicht zuletzt wegen der 1999 von 14 Schweizer Grossfirmen ins Leben gerufenen Avenir Suisse. Dieser Think Tank unter der Leitung von Thomas Held will frühzeitig relevante Themen definieren und zukünftigen Handlungsbedarf, aber auch Lösungsvorschläge und Denkanstösse aufzeigen. Die Thesen zum Sozialstaat, zur Hochschullandschaft und zur demographischen Entwicklung stossen nicht überall auf Gegenliebe. Die Linke denkt laut über einen eigenen Think Tank nach.

Eine der bekanntesten Denkfabriken, als solche aber kaum wahrgenommen, ist das Gottlieb Duttweiler Insitut (GDI). Seit 1962 setzt es sich mit Konsum, Handel, Gesellschaft, Trends und Gegentrends auseinander. Nicht minder bedeutungsvoll, aber wesentlich diskreter ist die 1947 vom österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek gegründete Mont Pèlerin Society oberhalb von Vevey, die sich mit Liberalismus beschäftigt. Mit der Wahl von Ronald Reagan in den 80er Jahren erlebte die Society ihren (welt)politischen Höhepunkt. Reagan berief über 20 Berater aus den Reihen den Mont Pèlerin Society.

Die steigende Nachfrage und das wachsende Intereresse nach grundsätzlicheren Positionen, welche die Tagespolitik überdauern, erklärt Nef mit der Ressourcenknappheit der Parteien. Da diese mit Personalmanagement, Abstimmungen, Wahlen und Vernehmlassungen voll ausgelastet sind, bleibt ihnen kaum Zeit für die Langfristperspektive, für neue Ideen und Strategien. «Diese Lücken können die Parteien nicht mehr füllen», sagt Nef. «Dafür aber die Think Tanks. Deswegen sind sie mehr als nur «Modeerscheinungen», wie gelegentlich von Skeptikern zu hören ist. Sie können in einer zusehends vernetzten Welt und Gesellschaft Fragen stellen und Impulse geben wie das WEF im ganz grossen Stil.