Voraussichtlich am Dienstag, 24. Mai 2011, werden an der London Stock Exchange erstmals Glencore-Aktien gehandelt. Am Tag darauf feiern die neuen Titel des Rohstoffkonzerns ihren Einstand in Hongkong. Für die Firma ist der Börsengang ein grosser Schritt: Seit der Gründung 1974 gab sich das Unternehmen äusserst verschwiegen, nun müssen die Bücher geöffnet werden. Dafür gewinnt Glencore-Chef Ivan Glasenberg leichten Zugang zu frischem Kapital und kann seine seit Jahren verfolgte Vision eines voll integrierten Rohstoffkonzerns vorantreiben. Mit weiteren Akquisitionen soll sichergestellt werden, dass die Firma immer genügend Rohstoffe im Angebot hat. Quasi als angenehmen Nebeneffekt «können wir so die Erlöse eines Teils der Wertschöpfungskette selbst einnehmen», erläuterte Glasenberg gegenüber BILANZ.
Bei den meisten Börsenneulingen ist der erste Handelstag ein Feiertag. Oft werden in der Firma Bildschirme aufgestellt, und wenn die ersten Kurse positiv ausfallen, knallen die Champagnerkorken. Bei Glencore dagegen ist der 24. Mai «ein ganz normaler Arbeitstag», wie Mediensprecher Simon Buerk nüchtern sagt. Dennoch werden mindestens 485 Augenpaare in Baar ZG mit Spannung die ersten Kursnotierungen verfolgen. Denn der Rohstoffmulti befand sich bisher vollständig im Besitz von insgesamt 485 Mitarbeitenden, nach dem Börsengang werden immerhin noch 80 Prozent aller Aktien in den eigenen Reihen gehalten. Der Grossteil dieser Mitarbeiteraktionäre werden dank dem IPO – wenn auch vorderhand nur auf dem Papier – zu Millionären, eine gute Handvoll gar zu Milliardären.
Unmut bei den Kollegen
Im 1636 Seiten dicken Emmissionsprospekt musste auch das am besten gehütete Geheimnis gelüftet werden: die Höhe der Beteiligung von CEO Glasenberg. Diese war, so erläuterte der CEO, jahrelang nur zwei Leuten bekannt: ihm selber und dem Präsidenten Willy Strothotte.
Nun stellt sich heraus, dass Glasenberg weitaus mehr Aktien hält, als die meisten Glencore-Mitarbeiter vermuteten. Bis vor kurzem belief sich sein Anteil auf 18,1 Prozent, nach der im Vorfeld des Börsengangs erfolgten Kapitalerhöhung sind es noch 15,8 Prozent. Geht man von einer im Emissionsprospekt aufgeführten Schätzung der Börsenkapitalisierung von 61 Milliarden Dollar aus, besitzt Ivan Glasenberg Glencore-Aktien im Wert von rund 9,6 Milliarden Dollar. Damit stösst der gebürtige Südafrikaner, seit Dezember 2010 in seiner langjährigen Wohngemeinde Rüschlikon ZH eingebürgert, in der BILANZ-Liste der 300 Reichsten in die Top Ten vor.
Weitaus mehr Verwunderung als die Höhe von Glasenbergs Beteiligung, ja «Unverständnis, teilweise Unmut», so ein Glencore-Mitarbeiter, lösten die Aktienpakete anderer Topmanager aus. Denn der Glencore-Börsengang bringt noch weitere in der Schweiz wohnhafte Milliardäre hervor. Je sechs Prozent halten der Spanier Daniel Maté und der mit einem britischen Pass versehene gebürtige Grieche Aristotelis Mistakidis, die zusammen den Bereich Zink, Kupfer und Blei leiten. Ihre Positionen haben einen voraussichtlichen Wert von je 3,7 Milliarden Dollar. Der Amerikaner Tor Peterson, der 2002 das Kohlendepartement von Glasenberg übernommen hat, besitzt 5,3 Prozent der Aktien, Wert: 3,2 Milliarden. Auch der Chefhändler für Öl, der Brite Alex Beard, kann sich mit seinem 4,6-Prozent-Paket im Wert von 2,8 Milliarden nicht beklagen.
Verborgene Milliardäre
Im Prospekt müssen nur jene Mitarbeiteraktionäre genannt werden, die mehr als drei Prozent halten. In dieser Aufstellung erscheint der Name Willy Strothotte nicht mehr. Der langjährige Präsident besass einst geschätzte sechs bis sieben Prozent. Er musste kürzlich wegen der britischen Börsenregeln seinen Stuhl räumen. Was mit seinem Paket geschehen ist, wollte bei Glencore niemand kommentieren.
Die restlichen Mitglieder im zwölfköpfigen Führungsgremium halten unter drei Prozent. Dennoch sind wohl auch in dieser Gruppe einige Milliardäre zu finden. Beispielsweise Stuart Cutler (51), Co-Chef für Eisenlegierung, Nickel, Kobalt. Der Südafrikaner arbeitet seit 1995 für Glencore. Mit gerade mal 40 Jahren steigt wohl auch Christian Wolfensberger zum Milliardär auf. Der Schweizer unterschrieb gleich nach dem HSG-Studium bei Glencore. Seine Familie war mit Strothotte befreundet. Die ersten Erfahrungen holte er sich mit Handelsfinanzierungen. Zwei Jahre später wechselte Wolfensberger auf die Händlerseite. Seit 2005 leitet er zusammen mit Cutler den Bereich Eisenlegierung, Nickel, Kobalt. Wolfensberger hält eine Beteiligung von mindestens einem Prozent an Glencore – und jedes Prozent ist 610 Millionen Dollar wert. Doch angesichts seiner langen Zugehörigkeit und seiner Position ist anzunehmen, dass er einen deutlich höheren Anteil besitzt.
Wolfensberger gibt sich zugeknöpft. Dabei sollte er sich längst an das Leben eines Promis gewöhnt haben. Denn im Sommer 2005 lernte er an der Silvesterparty des Verlegers Jürg Marquard in St. Moritz die einstige Miss Schweiz Fiona Hefti kennen. Zwei Jahre danach läuteten die Hochzeitsglocken. Seither ist das illustre Paar, das am Ortsrand von Zug wohnt, Lieblingsobjekt der Regenbogenpresse. Sehr zum Missfallen von Christian Wolfensberger. Seine ein Jahr ältere Schwester Barbara Bodmer-Wolfensberger arbeitet übrigens ebenfalls für Glencore, doch noch nicht so lange wie ihr Bruder und auch nicht im Topmanagement. Dennoch dürfte auch sie vom IPO-Segen reichlich abbekommen.
Nominalwert statt innerer Wert
Was im Emissionsprospekt nicht offengelegt wird: Die Glencore-Mitarbeiteraktionäre sind für einen Pappenstiel zu ihren teilweise milliardenschweren Beteiligungen gekommen. Seit Anfang der neunziger Jahre Firmengründer Marc Rich von seinem Vize Willy Strothotte aus dem Unternehmen gedrückt wurde, hat der Rohstoffkonzern ein spezielles Mitarbeiter-Beteiligungsmodell. Die Mitarbeitenden durften, je nach Position und Dauer der Firmenzugehörigkeit, laufend in einem bestimmten Ausmass Aktien kaufen. Und dies nicht zum inneren Wert, sondern zum Nominalwert. Ende des Jahres wurde ein Grossteil des Gewinns auf die einzelnen Aktien verteilt. Erst wenn jemand das Unternehmen verliess, erhielt er seinen Gewinnanteil ausbezahlt. Gleichzeitig musste er seine Aktien der Firma zurückverkaufen, wiederum zum Nominalwert.
Mit Blick auf den Börsengang des Rohstoffkonzerns wurde eine neue Firma aus der Taufe gehoben; die Glencore International Plc mit Sitz in Jersey schuf 6,89 Milliarden Aktien im Nennwert von je einem US-Cent, entsprechend einem Aktienkapital von 68,9 Millionen Dollar. Bis dahin bestanden 150 000 Aktien im Nominalwert von je 500 Franken. Die Glencore-Mitarbeiter tauschten diese Aktien anteilmässig um in neue Titel. Die bis vor kurzem aufgelaufenen Gewinne von 19,6 Milliarden Dollar wurden den Aktionären nicht ausbezahlt, sondern in Eigenkapital umgewandelt. Die Mitarbeiteraktionäre erhielten dafür anteilmässig ebenfalls neue Aktien.
So kam Ivan Glasenberg in den Besitz von nicht weniger als 1 086 881 843 Aktien der neuen Gesellschaft. Gemessen am alten Gesamtkapital – 150 000 Aktien zu je 500 Franken –, musste er für seine vor dem IPO 18,1 Prozent umfassende Beteiligung einen Nominalwert von 13,6 Millionen Franken bezahlen, umgerechnet 15,4 Millionen Dollar. Für diesen Betrag kaufte er sich über die Jahre eine Beteiligung zusammen, die an der Börse einen voraussichtlichen Wert von 9638 Millionen Dollar haben wird. Mit anderen Worten: Glasenberg hat seinen Kapitaleinsatz um das 625fache vermehrt. Eine Performance, die weltweit ihresgleichen sucht.
Auf die einzelnen Jahre umgelegt, zeigt sich ein noch krasseres Bild. Glasenberg hat 1984 in Südafrika für die Firma zu arbeiten begonnen. Die 9,6 Milliarden Dollar auf seine Betriebszugehörigkeit von 26 Jahren umgerechnet, erhielt der Glencore-Chef im Durchschnitt jedes Jahr Aktien zum heutigen Wert von 357 Millionen Dollar. Daneben nehmen sich die als Abzocker beschimpften Manager wie Novartis-Lenker Daniel Vasella oder der oberste CS-Bankier Brady Dougan fast schon wie Waisenknaben aus. Glasenberg hat zwar am meisten kassiert; doch auch die anderen Glencore-Führungskräfte kamen nicht zu kurz. Nach derselben Kalkulation erhielten die anderen vier Neu-Milliardäre Aktien im Wert zwischen 159 und 203 Millionen Dollar zugeteilt – jährlich, wohlverstanden.
Die fünf reichsten Glencore-Manager, Glasenberg, Beard, Maté, Mistakidis und Peterson, waren schon vor dem Going public enorm vermögend – zumindest auf dem Papier. Zusammen hatten sie Anrecht auf 8,5 Milliarden Dollar aus dem Topf der aufgelaufenen Gewinne. Mit dem IPO steigt der Wert ihrer Beteiligungen kräftig auf zusammen 23 Milliarden. Bezahlt hat das Quintett für diesen immensen Reichtum gerade mal 37 Millionen Dollar oder 0,16 Prozent des Börsenwerts. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Beteuerungen von Ivan Glasenberg, der Börsengang erfolge vor allem mit Blick auf die weitere Expansion und zum Wohle des Konzerns, in einem neuen Licht.
Sein plötzlicher Reichtum scheint Glasenberg selbst nicht ganz geheuer zu sein. Er wird jedenfalls nicht müde zu betonen, dass er, solange er für Glencore arbeite, keine einzige Aktie verkaufen werde. Auf den ersten Blick eine erstaunliche Aussage, denn der gebürtige Südafrikaner erfreut sich zwar eines anständigen, doch nicht überaus üppigen Salärs: Über die letzten zwölf Monate strich er rund 1,5 Millionen Dollar ein. Doch auch wenn er sein Einkommen nicht über Aktienverkäufe aufpeppen kann, hat der 54-Jährige endgültig ausgesorgt; er kann künftig auf einen üppigen Dividendensegen zählen.
Dividendenregen
Im Emissionsprospekt wird jährlich dreimal eine Interimsdividende von je 350 Millionen Dollar in Aussicht gestellt, macht total 1,05 Milliarden. Gemessen am letztjährigen Konzerngewinn von 3,8 Milliarden Dollar, entspricht dies einer Ausschüttungsquote von vergleichsweise mageren 27,6 Prozent. Anderseits will das Unternehmen eine «progressive Dividendenpolitik» verfolgen und mindestens eine stabile, wenn möglich eine stetig steigende Dividende ausrichten. Doch auch mit den vorderhand geplanten 1,05 Milliarden Dollar lässt es sich gut leben. Allein Ivan Glasenberg streicht jährlich eine Dividende von 166 Millionen Dollar ein.
Der Dividendenregen beglückt auch die anderen 484 Glencore-Mitarbeiteraktionäre. Da 80 Prozent der bald kotierten Aktien in den eigenen Reihen bleiben, werden jährlich 840 Millionen Dollar an Dividenden an die eigenen Leute ausgeschüttet. Wer eine Beteiligung von gerade mal einem Promille an Glencore besitzt – und das ist die Mehrheit –, darf sich auf jährlich 840 000 Dollar freuen.
Der 24. Mai wird also an der Baarermattstrasse 3 in Baar mit Bestimmtheit kein normaler Arbeitstag sein. Wohl manch ein Händler dürfte auf seinem Bildschirm noch das Kurstableau der London Stock Exchange einblenden. Abends knallen dann zu Hause die Champagnerkorken – sogar dann, wenn die Aktien unter Druck geraten sollten. Denn die Gewinner des IPO sind in jedem Fall die 485 Glencore-Mitarbeiteraktionäre.