Die Lehren aus diesem verrückten Konjunkturjahr sind klar: Die Rezession kriecht in drei Stufen ins Bewusstsein der Nationen. Zuerst fallen die Einkaufsmanager-Indizes unter den Wachstumspunkt, dann entlassen die Firmen jene Beschäftigten, die deswegen überzählig sind, und schliesslich verlieren die Konsumenten den Mut – was sich zuerst im Vertrauensindex niederschlägt und dann in sinkenden Einkäufen. Die USA haben diesen Zyklus nun ganz durchgemacht, mit Rekordmarken, die bereits einen Vergleich mit dem fernen Krisenjahr 1991 nahe legen.

Europa stieg im Spätherbst in die zweite Stufe ein: Die Entlassungen häufen sich; nach den Telekom-Firmen tun sich nun auch Grossbanken und Hightechfirmen keinen Zwang mehr an. Noch sind die Konsumenten nicht aus den Läden geflohen, obwohl die Indizes ihres Zukunftsvertrauens in Europa und in der Schweiz stark gefallen sind. Noch prognostizieren Konjunkturinstitute, Universitäten und Notenbanken in Europa unverdrossen beruhigende Wachstumsraten für 2002 von zwischen einem und zwei Prozent.

Die Brüche in der amerikanischen Konjunktur sind tatsächlich stellenweise so drastisch, dass manche gerade deswegen optimistischer geworden sind: Es kann nur noch besser werden. Der Nobelpreisträger Gary S. Becker spendete mit diesem Argument im «Wall Street Journal» Mut, und der Karikaturist malte eine keimende Pflanze, die aus dem Ruinenboden des World Trade Center ihre Dollar-Blütenblätter trieb. Denn trist sind die Rückgänge in der Fabrikation (–4,6 Prozent) und im Auftragseingang der Industrie (–5,8) gegenüber dem Vorjahr. Dramatisch hat sich der Arbeitsmarkt gewendet: Anstatt jährlich eine bis zwei Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen wie früher, sonderte er bis zum Spätherbst 1,6 Millionen Beschäftigte ab. Allein im Oktober wurden 415 000 Leute entlassen, mehr als je in einem Monat seit dem schwarzen Jahr 1980.

Schliesslich folgte die dritte Stufe, das Konsumentenvertrauen, mit einem Einbruch auf zeitweise unter 80 Punkte (100 bedeuten Stagnation). Als Ergebnis dieser Rückwärtsgänge in drei Stufen fiel das amerikanische Bruttosozialprodukt im dritten Quartal um 0,4 Prozent. Mit einem sicher negativen vierten Quartal wird es amtlich: Rezession.

Die konjunkturelle Delle wirkt mehr und mehr global. Auch die Regierung Japans hat endlich offiziell die schwere Rezession zugegeben. Die Konsumausgaben gingen im September um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, die Preise fallen nun schon im 22. Monat. Die anderen asiatischen Länder haben hausgemachte Probleme, etwa Indonesien, oder leiden als Lieferanten von Hightech-Elementen noch stärker als die USA. Insgesamt brach die globale Konjunktur auf den tiefsten Wert seit einem halben Jahrhundert ein. Die Weltwirtschaft wächst im Schnitt noch um gut ein Prozent. China allerdings wächst stärker, zieht Investitionen an, und neuerdings holt Russland auf, produziert, zahlt Schulden ab, weist sanierte Staatsfinanzen vor.

Und vielleicht haben die Propheten einer nahen Umkehr sogar für die USA Recht, denn vor dem 11. September waren zaghafte Zeichen einer Besserung sichtbar. Die Oktoberkampagne der US-Autohersteller zeigt, was möglich wird, wenn sich dereinst Zuversicht und Kaufkraft wieder finden. Um 36 Prozent stiegen die Autoverkäufe bei GM und um 34 Prozent bei Ford, erkauft allerdings mit teurer Werbung und Gratiskrediten an die Kunden. Gratiskredite gibt die US-Notenbank seit der Zinssenkung praktisch der ganzen Wirtschaft, denn die Inflation liegt höher als der Diskontsatz von zwei Prozent. Die Regierung Bush wirft 100 Milliarden Dollar stimulierende Steuermittel ein. Der Ölpreis fällt immer weiter. Der weltgrösste Auftragshersteller von Chips, die taiwanische TSMC, ist für 2002 optimistisch und baut neue Fabriken. Die Experten der Credit Suisse First Boston erwarten auch bald schon einen Beitrag des Lagerzyklus – die Lager müssen endlich nachgefüllt werden und sorgen nur deshalb schon für Aufträge, erstmals seit Jahren.

Und eine Meldung war fast eine Sensation: Die Produktivität der US-Wirtschaft stieg im dritten Quartal unverdrossen weiter, und zwar um 2,7 Prozent. Denn die US-Produktivität trieb in den guten Jahren die Wachstumsspirale an. Sie zeigte den steigenden Stand der Technik an, steigerte die Gewinne und senkte die Kosten. Diese neue Zahl liegt weit über dem Trend europäischer und schweizerischer Produktivität. Sie kam zu Stande, gerade weil die US-Firmen ihre Belegschaften drastisch zusammenstrichen. So wurden in diesem dritten Quartal 3,6 Prozent weniger Arbeitsstunden geleistet, das Wertschöpfungsvolumen dagegen sank nur um 1 Prozent. Die Lohnstückkosten nahmen gebremst um noch 1,8 – statt wie bisher um 2,6 – Prozent zu. Die Revanche der Firmen zu Gunsten ihrer künftigen Gewinne und zu Lasten der Belegschaften hat schon eingesetzt: Wenn es nach US-Drehbuch geht, werden dafür in Kürze die Gewinne ansteigen, die Investitionen ebenfalls, und die Leute werden wieder in die Betriebe zurückgeholt.

Wenn in der Schweiz die Löhne hingegen so zunehmen, wie es sich da und dort abzeichnet, dann könnten dieses und nächstes Jahr die markantesten Reallohnwellen seit einer halben Generation die Volkswirtschaft tränken. Denn der neue Gesamtarbeitsvertrag im Gastgewerbe, die Zusicherungen der grossen Detailhandelsketten, halbwegs gute Aussichten im Bankwesen und weiterhin sehr gute Trends für die Beschäftigten der Informationsbranche werden das Lohnniveau um 1,3 Prozent über die Inflation hinaus anheben, schätzt die UBS. Schon im laufenden Jahr dürften die Reallöhne um fast zwei Prozent zugenommen haben. Denn die Inflation machte ihnen rasch Platz, indem sie auf noch 0,6 Prozent fiel.

Trotz wankendem Konsumentenvertrauen wird dies die Konjunktur im nächsten Jahr gut untermauern. Allerdings könnten die besseren Löhne vor lauter Angst in den Sparstrumpf fliessen – in der Konsumentenumfrage vom Oktober meldeten viele Befragte, sie könnten «etwas Geld auf die Seite legen». Die Arbeitsmarktlage wird auf diesen Spartick einwirken. Vorderhand schlagen die gross gemeldeten Entlassungen, auch jene der Swissair, nicht zu Buche, und die höhere Kurzarbeit bildet keinen Flächenbrand, sondern konzentriert sich auf Appenzell und Zug – also auf Telekom-Zulieferer. Man muss hoffen, dass die Politiker im Bund mit der Boulevardpresse nicht wie bei der Swissair eine nationale Hysterie um Arbeitsplätze entfachen. Denn dieses böse Jahr hat gezeigt: Die dritte Stufe der Krise hat mit Psychologie zu tun – dem Vertrauen der Konsumenten.

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