Gamer Comikazie nietet mit dem Gewehr seines Avatars an Bord eines Piratenschiffs einen Gegner nach dem anderen um. Er sammelt in Millisekundenschnelle Punkte und Werkzeuge, um sich durch das Gemetzel des Online-Games «Fortnite» zu wühlen. Es geht ums nackte Überleben. Und um Ruhm: 1,2 Millionen Gamer haben Comikazie dabei zugesehen – auf Youtube, der Videoplattform von Google.
Aber vor allem geht es um Geld. Denn auf welcher Plattform Games von wie vielen Menschen gesehen, gespielt und genutzt werden, wird über den wirtschaftlichen Erfolg eines Anbieters entscheiden – ob das Google, Amazon, Apple, Microsoft oder Sony ist. Sie alle basteln an Technologien und Ökosystemen für das Spiele-Streaming.
Downloads braucht es nicht mehr
Google hat derzeit in puncto Innovation die Nase vorn. Mit der im März in San Francisco vorgestellten Streaming-Plattform Stadia stellt der Riese die Spielebranche auf den Kopf. Nun genügt ein Browser, um ins Spiel einzusteigen. Spezielle Geräte wie etwa Konsolen braucht es immer weniger. Umsätze der Hersteller von Konsolen wie Xbox und Playstation werden schrumpfen. Software-Downloads braucht es auch nicht mehr. Gespielt wird überall, auf PC, Laptop oder Handy.
Es geht nur noch darum, wie in diesem hohen zweistelligen Milliardenmarkt (siehe Grafik) Gamer erreicht und zum Spielen gebracht werden. Davon profitieren nicht nur globale Softwarekonzerne, sondern auch Designer rund um den Globus und bis in die Schweiz, welche Inhalte produzieren. Hierzulande werden allein mit Handy-Spielen schon an die 2 Milliarden Franken pro Jahr umgesetzt. Bei PC-, Konsolen und Social Games sind es eine halbe Milliarde Franken, in drei bis vier Jahren soll das gemäss Erhebungen von PWC rund 1 Milliarde Franken sein – die Umsätze bestehender und neuer Plattform-Spiele noch nicht eingerechnet.
Abo-Modell à la Netflix
Die Firma Giants Software in Schlieren ist mit dem «Farming Simulator» auf die Plattform Stadia bereits aufgesprungen. «Wir stehen im Austausch mit Google und portieren aktuell den ‹Landwirtschafts-Simulator› auf die neue Plattform», sagt Giants-Teilhaber Thomas Frey. Die grösste Schweizer Game-Firma hat ein Spiel entwickelt, in dem man durch das richtige Bestellen der Felder zum erfolgreichen Landwirt aufsteigt. Mit dem «Simulator» hatte Giants im Jahr 2008 das bis dato erfolgreichste Spiel des Landes lanciert. Seither veröffentlicht die Firma regelmässig neue Versionen und bricht Umsatzrekorde. Einen hohen zweistelligen Millionenbetrag hat der «Simulator» bereits eingespielt. Mit Stadia steht der nächste Coup in Aussicht.
DIE WICHTIGSTEN PLATTFORMEN FÜR DIE GAMING-ZUKUNFT
Stadia
Die neue Streaming-Plattform funktioniert unabhängig vom Endgerät – und weltweit. Die Spielelaufen auf Servern und über einen Browser.
Steam
Steam ist eine Internet-Vertriebsplattform für Spiele, Software, Filme und Serien. Bezug und Spielen von Games funktionieren nicht komplett webbasiert.
Playstation Now
PS Now ist Streaming für Games von Sony. Die Technik holte sich Sony mit dem Kauf der Firma Gaikai. Der Aufbau einer Server-Infrastruktur ist schwierig.
Mixer
Mixer ist eine Spieleplattform von Microsoft, mit integriertem Zuschauermodus. Die Latenzzeit zwischen Spielern und Publikum liegt unter einer Sekunde.
Shadow
Das französische Startup Blade verkauft Mini-Server für daheim, über die man sich mit seinem Gerät bei Cloud-Diensten des Anbieters Shadow einklinken kann.
Loudplay
Loudplay ist ein russischer Cloud-Gaming-Dienst, der in Partnerschaft mit Rostelecom und Huawei erstmalig 5G-Gaming in Europa vorgestellt hat.
GEforce Now
Nvidia fährt hierbei bereits ein Abo-Modell, welches aber noch konsolenabhängig ist. Oder man lädt die Spiele vorher auf einen virtuellen Computer herunter.
Project Atlas
Das US-Spielstudio Electronic Arts kaufte den Spielverleih Gamefly. Um diesen zukunftsfit zu machen, wurde der Dienst auf mehr Webgaming ausgeweitet.
Project xCloud
Neben Google hat auch Microsoft seit Herbst 2018 ein Projekt laufen, das ähnlich wie «Stadia» funktionieren soll: Gaming über Server auf PC und Handy.
Twitch
Der Video-Streaming-Dienst von Amazon zielt ähnlich wie Youtube für Google darauf ab, Gamer vom Zuschauen zum aktiven Gaming zu locken.
Bei Google sieht das Videospielen der nahen Zukunft so aus: Der Gamer kommt idealerweise per Youtube als Zuschauer auf den Geschmack eines Games. Das kann «Fortnite» oder ein anderes Game sein. Auf Stadia kann er anschliessend auf dem Handy oder dem PC live einsteigen und mitballern. Und zahlt entweder pro Minute oder Monat. Wie das im Detail aussehen wird, darüber schweigt Google noch. Der Austausch zwischen den diversen Google-Plattformen bringt jedenfalls Traffic, Werbe- und Abo-Umsätze.
Klar ist, für nahezu alle grossen Softwarekonzerne bringt die neue Gaming-Technik mit Zocken auf Serverchips in Rechenzentren statt auf den Prozessoren der Endgeräte mehr Umsatz und Gewinn. Denn die Hürden sinken: Es braucht keine spezielle Hardware mehr zum Gamen. Bevorzugtes Geschäftsmodell ist das Abo, wie Netflix dies bei Serien und Spielfilmen vormacht.
Bezahlung wie bei Spotify
Das bleibt nicht ohne Folgen: Kleinere Studios und Game-Designer befürchten, dass neue Geschäftsmodelle sich in Richtung des Musik-Streaming-Dienstes Spotify entwickeln könnten: Dieser bezahlt die Künstler nach Stücklänge und Spielhäufigkeit. Meist können jedoch nur die Bestseller mit Millionen von gehörten Minuten nachhaltige Umsätze machen. Vorerst herrscht in der Branche aber Zuversicht: Neue Kanäle sind auch eine Chance für alle Marktteilnehmer und Nischenplayer.
Gaming-Revolution
Google will mit seiner Streaming-Plattform «Stadia» Computerspiele vom Endgerät unabhängig machen. Noch für dieses Jahr kündigt der Internetriese den Rollout an. Bis dahin gehören noch rechenstarke PC, Konsolen und Smartphones zu den beliebtesten Spielgeräten. Künftig soll dafür ein Browser reichen.
Je schneller, desto reicher
Entscheidend für den reibungslosen Ablauf von Online-Games ist die Rechengeschwindigkeit auf dem Server und dessen physische Nähe zum Spieler. «Je kürzer die Latenzzeiten, also die Zeitspanne zwischen dem Signal, das der Spieler an den Server sendet, und dem Antwortsignal vom Server an den Spieler, desto flüssiger fühlt sich das Spiel an. Der Spieler kann angenehmer in Echtzeit spielen und eher gewinnen», sagt Matthias Sala, Chef des Zürcher Game-Entwicklers Gbanga. Bei so schnellen, reaktiven Spielen wie «Fortnite» sei das essenziell.
Spieler wollen keine Zeit verlieren, wenn sie ihr 3D-Schwert schwingen, das Gewehr nachladen oder den Ball im Tor versenken. Besonders, wenn sie als Profizocker ihr Geld damit verdienen, unter anderem mit dem Sponsoring von Konsumartikelfirmen, die entweder den Gamer fördern oder ihre Produkte im Spiel platzieren. Sowie mit Geldbeiträgen der Fans, die wollen, dass ihr liebster Gamer weiterkommt. Schräg wird es, wenn es um besonders solvente Gamer geht. Diese leisten sich gerne mal einen goldenen Lamborghini und geben dafür mehrere zehntausend Dollar aus. Der US-Videospielehersteller Zynga etwa betreibt eine Art «Arab Desk» für vermögende Scheichs – imFachjargon Whales (Wale) genannt – die sich luxuriöse Statussymbole in der Digitalwelt leisten wollen.
Server in der Schweiz
Viel wichtiger aber ist beim Spielen der Zeitfaktor. In der Gaming-Welt zählt jede Sekunde. Das erfordert nicht nur Höchstleistungen von den Spielern wie im Spitzensport, sondern auch Rechenkapazität. Google, genauer gesagt der Mutterkonzern Alphabet, baute deshalb in den vergangenen Jahren eine Server-Infrastruktur an 7500 Standorten auf, die leistungsmässig «für die nächsten drei Jahre» reicht. Nur so ist das Hochgeschwindigkeits-Gaming online ohne Unterbruch sicher.
Die meisten Google-Server stehen in den Rechenzentren der US-Firma Equinix, die 90 Prozent aller Zentren weltweit mit Strom und kühler Luft versorgt und auch die meisten Server in der Schweiz unterbringt. Etwa für die Google Cloud und von fast sämtlichen Internet- und Telekombetreibern in der Schweiz. Kurzum: Ohne Equinix gäbe es in der Schweiz kein Internet und kein Online-Gaming.
Millionen von Zuschauern
Doch nicht nur Google will das Gaming-Geschäft stark ausbauen. Mit am Start ist Microsoft. Der Softwaregigant betreibt – ähnlich wie Youtube für Gamer – die Zuschauerplattform Mixer und das Streaming-Projekt Project Xcloud. Sony hat Playstation Now sowie Grafikkarten- und Game-Entwickler Nvidia Geforce Now. Ein weiterer grosser Online-Spiel-Vertreiber ist die Valve Corporation, die Computerspiele und Software über die Platt-form Steam streamt – eine Art Mini- und Vorläufermodell von Stadia.
Amazon hob das Live-Streaming-Videoportal Twitch aus der Taufe und kaufte die Technologiefirma Lumberjack für die Spieleentwicklung zu. In der Branche gilt Amazon bei manchen gar als der geheime Favorit im Rennen um passionierte Gamer. Amazons Cloud-Geschäft mit eigenen Dependancen in der Schweiz verfügt über die weltweit grösste Server-Infrastruktur. Aber aus der Deckung für einen geräteübergreifenden Rollout hat sich bislang nur Google gewagt.
Milliarden-Umsätze
Videospiele erfreuen sich seit den ersten Arcade-Spielen auf Münzautomaten in den 1980er Jahren grösster Beliebtheit. Heute ist die zunehmend digitale Gaming-Industrie ein Milliardengeschäft. Allein von 2017 bis 2023 soll die Anzahl der Gamer weltweit um einen Drittel steigen und die Zwei-Milliarden-Marke knacken.
US-Produktion mit Schweizer Game-Studio
Die Konkurrenz ist gross, die Geschäftsaussichten sind lukrativ. Nicht nur für die Plattformbetreiber. Auch für die Content-Hersteller und Programmierer. Was ist die ganze Technik wert, wenn die Inhalte dazu fehlen? Das reicht von der Designerstube mit kleinen Teams für die Entwicklung von Nischen-Games bis hin zu Vertriebsgiganten wie dem US-Filmriesen Universal.
Die als Filmstudio weltbekannte Firma beauftragt Spieleentwickler und IP-Scouts, um Inhalte für die aufstrebenden Plattformen zu suchen, zu vertreiben und zu Geld zu machen. IP-Scouts suchen nach unterbewerteten beziehungsweise weniger bekannten Marken und Spieltiteln, haben künftige Kinostarts im Blick und überlegen, welche Rechte es wert wären, sie zu kaufen, um neue Spiele zu entwickeln. Darin steckt die grosse Chance auch für Schweizer Game-Entwickler, die auf den Radar der Konzerne mit grosser Reichweite kommen wollen.
Zürcher Studio Gbanga
Das Zürcher Spielestudio Gbanga arbeitet an einer grössere Produktion mit Universal. Netflix hatte die Sci-Fi-Zeichentrickserie Voltron aus den Achtziger Jahren neu aufgelegt und mehrere Staffeln davon produziert. Jetzt will Universal Studios dazu mit den Schweizern ein Spiel lancieren.
Gbanga hat sich in einem internationalen Wettbewerb gegen 550 Konkurrenten durchgesetzt und die Möglichkeit zur Co-Produktion erhalten. Co-Produktionen zwischen US-Unterhaltungsriesen und Schweizer Firmen sind noch selten. Es könnte der nächste Millionenseller nach dem «Farming-Simulator» werden. In wenigen Monaten kommt das Spiel heraus, zuerst auf der Spieleplattform Steam für Windows und MacOS. «Bei Erfolg kommt die Portierung auf andere Plattformen», sagt Sala. Sein Büro steckt mitten in den Abschlussarbeiten für die Universal-Produktion. Die Wände in den Sitzungszimmern sind voller Skizzen, Avatare und vollgekritzelten Flipcharts. «Fotos können wir erst bei der Veröffentlichung des Spiels zeigen.» Offen zur Schau trägt Sala nur die Leidenschaft für Design und Technologie.