Der Gotthard-Basistunnel ist das Herzstück der Schweizer Verlagerungspolitik. Doch auch mit seiner Eröffnung bleibt das Güterverlagerungsziel noch weit entfernt. Laut Umweltschützern fehlt es am politischen Willen, laut den Behörden liegt es am Ausland.

Vor 24 Jahren sagte das Schweizer Volk Ja zum Bau der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) und damit zum Gotthard-Basistunnel. Das Jahrhundertbauwerk sollte das Tessin und die Deutschschweiz näher zusammenbringen und der EU eine gute Nord-Süd-Verbindung bieten. Das Hauptziel, den Gütertransitverkehr von der Strasse auf die Schiene zu verlagern, dürfte durch die NEAT aber vorerst nicht im angestrebten Umfang erreicht werden. Die Gründe dafür sind umstritten.

An Verzögerungen beim Herzstück Gotthard liegt es jedenfalls nicht. Dieses Jahr wird der 57 Kilometer lange Basistunnel planmässig eröffnet.

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NEAT startet erst 2020 durch

Vor allem beim Güterverkehr gewinnt die Bahn an Attraktivität: Pro Tag können statt maximal 180 bis zu 260 Güterzüge die Strecke passieren. Gemäss Angaben des Bundesamts für Verkehr (BAV) werden sich die Transportkosten - eher positiv geschätzt - insgesamt um zehn Prozent verringern.

Wie stark die Transportkosten sinken, hängt auch davon ab, wie viel Gewicht einer Lokomotive angehängt werden darf. Darüber wird während des Probebetriebs bis Dezember noch verhandelt. Neben quantitativen Produktivitätsgewinnen soll es aber auch qualitative Verbesserungen geben: Die Züge sollen pünktlicher und zuverlässiger fahren können.

Allerdings sollen diese Gewinne erst 2020 voll zum Tragen kommen, wenn der Ausbau des Ceneri-Basistunnels und des sogenannten Vier-Meter-Korridors abgeschlossen ist. Dieser ermöglicht den durchgehenden Transport von grossen Sattelaufliegern mit einer Eckhöhe von vier Metern von Basel nach Chiasso TI und Luino (I). Zuvor dürfte sich nicht allzu viel tun: Die Bauarbeiten schränken die Kapazität und den Fahrzeitgewinn des Gotthard-Tunnels noch ein.

Verlagerungsziel ausser Reichweite

Bis zum Abschluss der Arbeiten 2020 können gemäss offiziellen Prognosen durch die NEAT etwa 210'000 Lastwagenfahrten verhindert werden. Die einst gesetzlich festgelegten Ziele können freilich auch dann noch nicht erreicht werden.

Das Gesetz sieht nämlich vor, dass bereits 2018 - also zwei Jahre nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels - noch höchstens 650'000 Lastwagen jährlich die Alpen queren. Schon seit ein paar Jahren stellt der Bundesrat infrage, dass das Ziel erreicht wird. 2015 fuhren immer noch über eine Million Lastwagen durch die Schweizer Alpen.

Zwar verlagert sich der alpenquerende Güterverkehr durchaus auf die Schiene. 2015 ging 69,1 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs über die Bahn - ein Anteil, von dem im Ausland nur geträumt werden kann. Aber weil jährlich mehr Güter transportiert werden, verläuft die Verlagerung letztlich zu langsam.

«Politischer Wille fehlt»

Die NEAT wird zwar laut BAV bis 2040 genug Kapazität bereitstellen, um das Verlagerungsziel zu erreichen und gleichzeitig das Wachstum des Güterverkehrs aufzufangen.

Laut der Alpen-Initiative liegt aber schon heute das Problem nicht bei der Kapazität: «Es fehlt am politischen Willen», sagt Thomas Bolli, Sprecher des Vereins, der sich den Schutz der Alpen vor den schädlichen Auswirkungen des Strassentransitverkehrs auf die Fahne geschrieben hat. Mit der vollen Inbetriebnahme des Basistunnels am Gotthard im Dezember sei mehr als genug Kapazität vorhanden, um sämtlichen Güterverkehr durch die Alpen über die Schiene abzuwickeln.

Schon heute - also noch vor der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels - sind die Kapazitäten der Bahn noch nicht ausgenutzt: 2015 betrug die Gesamtauslastung an Gotthard und Simplon 59 Prozent. Laut Bolli ist die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) für Lastwagen ohnehin seit Jahren zu tief. Damit blieben Lastwagenfahrten durch die Schweiz nach wie vor zu attraktiv. Die nun vom Bundesrat beschlossene Erhöhung sei immer noch unter dem, was maximal möglich wäre, sagt Bolli.

Ausland hinkt hinterher

Das Bundesamt für Verkehr wiederum sieht den Hauptgrund für die schleppende Verlagerung im Ausland: Die Schweiz mache, was in Eigenregie möglich sei, sagt Sprecherin Olivia Ebinger. Allerdings sei die Transitstrecke durch die Schweiz nur ein kurzer Abschnitt im internationalen Nord-Süd-Verkehr. Wenn im Ausland die Bedingungen für Lastwagenfahrten besser seien als für den Schienengüterverkehr, so könne die Schweiz alleine nichts ausrichten.

Da gemäss Verfassungsauftrag der Transitverkehr verlagert werden soll, ist die Schweiz auf die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern angewiesen. Trotz Verzögerungen beim Bau sieht Ebinger die Zulaufstrecken in Deutschland und Italien nun "auf Kurs".

In Italien sollen die drei grossen Zufahrtsstrecken zur NEAT bis Ende 2020 angepasst sein. In Deutschland dauert der Ausbau aber noch nahezu zwanzig Jahre. Gemäss einer Studie der Credit Suisse werden bis dahin wegen des zunehmenden Güterverkehrs aber eher mehr Lastwagen über die Alpen fahren als heute: Erst wenn der Korridor zwischen Genua (I) und dem Norden durchgehend modernisiert sei, werde die Schiene ihr volles Potenzial ausspielen können.

Lange Wunschliste

Auch in der Schweiz selbst müssten dafür noch mehr Kapazitäten freigemacht werden. «Es gibt noch eine lange Wunschliste für die Infrastruktur», sagt Hans-Peter Wessels, Präsident des Gotthard-Komitees, das die Interessen von 13 Kantonen vertritt.

Früher oder später müssten Projekte wie ein dritter Jura-Durchstich realisiert werden, damit die volle Auslastung der NEAT erreicht werden könne.

Wessels erinnert aber auch daran: Der Gotthard-Basistunnel ist ein Jahrhundertbauwerk. Die erste Gotthard-Bahnlinie sei über 130-jährig - auch damals hätte noch einiges darum herum gebaut werden müssen. Mit Blick auf den langen Zeithorizont, während dem der Tunnel bestehen soll, sei es also kein Drama, wenn weitere Bauwerke erst in den kommenden Jahren gebaut würden.

Zudem müsse nun zuerst beobachtet werden, welche Rückwirkungen der neue Gotthard-Tunnel haben werde. Denn dieser wird selbst noch zusätzlichen Güterverkehr anziehen. Das BAV will dann prüfen, welche Projekte priorisiert werden.

(sda/ccr)