Grönlands Wirtschaft war lange nur vom Fischfang abhängig. Das wollen die Bewohner der Polarinsel ändern. Ihre Hoffnungen ruhen auf den Rohstoffschätzen unter dem Eis - und auf kaufkräftigen Touristen.

Die Rubinmine im Süden Grönlands, in dem das rote Mineral seit kurzem abgebaut wird, ist klein. Doch für die Einwohner der Arktis-Insel entzündet sich an ihr grosse Hoffnung. «Wir haben sehr lange darüber geredet, Minen ans Laufen zu bekommen, und jetzt geschieht das endlich», sagt der grönländische Rohstoffminister Muté Egede. «Das ist eine Erfolgsgeschichte, die die Grundlage dafür bilden kann, dass wir in der Zukunft eine grosse Minennation werden.»

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Auch der Tourismus ist von grosser Bedeutung

Denn unter dem Eis sollen noch zahlreiche weitere Bodenschätze schlummern: Öl, Uran, seltene Erden. Doch die rauen Bedingungen in dem schier unerschliessbaren Land haben Investoren bislang zögern lassen. Das dringend nötige Wirtschaftswunder schafft Grönland allein durch die Hoffnung auf Rohstoffe nicht. Deshalb konzentriert sich das Land auch auf andere Branchen wie den Tourismus.

Bislang ist die Zahl der Touristen, die den weiten und teuren Weg auf die Polarinsel auf sich nehmen, allerdings überschaubar. Rund 70'000 Touristen kommen im Jahr nach Grönland, ein Drittel von ihnen mit Kreuzschiffen. «Wir müssen bei Null anfangen, die vorhandenen Hotels erweitern und Guides ausbilden», sagt Regierungschef Kim Kielsen. «Da haben wir noch eine riesige Aufgabe vor uns.»

Mit dem Flieger von Stadt zu Stadt

Ein Problem ist die mangelnde Infrastruktur. Wer in Grönland von einer Stadt in die andere gelangen will, muss fliegen oder ein Boot nehmen. Eisenbahnen oder Strassen ausserhalb der grössten Städte gibt es nicht. Das nimmt nicht nur viel Zeit in Anspruch, sondern geht auch ins Geld. Pläne, mehr Strassen und einen zweiten internationalen Flughafen zu bauen, existieren vorerst nur auf dem Papier.

Tourismus-Hochburg ist allein Ilulissat, ein Städtchen mit knapp 4500 Einwohnern und wenigen Strassen. Wenn man vom Hafen mit der grossen Fischfabrik von Royal Greenland bis zum Eisfjord hochspaziert, passiert man schmucklose Souvenirläden und Imbisse wie das Café Inuit, das einem Deutschen gehört. Hier bekommt man Currysuppe mit Scampi oder Heilbutt an Tischen mit Plastikblumen serviert.

Einen Steinwurf entfernt liegt der Tourveranstalter «World of Greenland», der Walsafaris, Helikopterflüge über das Inlandseis und Besuche bei Hundeführern anbietet, die mit ihren Schlitten seit ein paar Jahren nicht nur zum Fischen auf das Eis ziehen, sondern auch Touristen befördern. Doch weil das bislang nur ein Nebengeschäft ist, sprechen viele von ihnen kein Englisch und nur wenige Dänisch. Von den Touristen allein könnten sie ohnehin nicht leben.

Von der Fischindustrie abhängig

«Der Fisch wird noch für viele Jahre unsere vorrangige Einkommensquelle bleiben», sagt Egede. «Dass man so von der Fischindustrie abhängig ist, macht die Wirtschaft sehr verletzlich», erläutert die Forscherin Maria Ackrén von der Universität in Nuuk. Deshalb heisst das Zauberwort Diversifizierung. Von Tourismus und Rohstoffen erhofft sich die Regierung einen Schub für die Wirtschaft.

Das Ziel: die vollständige Unabhängigkeit vom dänischen Königreich, dem Grönland seit 2009 nur noch in Verteidigung und Aussenpolitik untersteht. Das geht aber nur, wenn Grönland finanziell auf eigenen Beinen steht. Rund 3,7 Milliarden Kronen (knapp 500 Millionen Euro) fliessen jedes Jahr aus Dänemark in die grönländische Haushaltskasse.

Mit dem Versprechen der Selbstständigkeit ist die jetzige Regierung zwar in den Wahlkampf gezogen. Aber ohne die Finanzspritze aus dem Königreich geht es heute noch nicht. «Wir müssen die Bildung verbessern, um Unabhängigkeit zu erreichen», sagt Kielsen.

Soziale Probleme werden in Schule sichtbar

In der siebten Klasse der Schule in Nuussuaq, einem Neubauviertel in Grönlands Hauptstadt Nuuk, schafft Lehrerin Inger Platou es kaum, die lärmenden Schüler zu übertönen. Ein Mädchen hat die Schuhe ausgezogen und setzt sich rücklings auf den Tisch, eine andere malt sich am Waschbecken einen Bart aus Seifenschaum auf, eine dritte schiesst Selfies mit ihrem Handy und hört laut Musik.

12 von 19 Schülern sind an diesem Tag zum Unterricht erschienen. «Eine schwierige Klasse», sagt Platou. Aufgrund der sozialen Probleme in Nuuk und anderen Orten in Grönland überliessen viele Eltern ihre Kinder sich selbst, erzählt die 61-Jährige. Haschisch- und Alkoholmissbrauch sind weit verbreitet. «Ich habe auch schon Hasch geraucht», sagt Lea, eine zierliche Zwölfjährige in Kapuzenpullover und Trainingshose. «Ich glaube, das haben die meisten hier.» Auf dem Fussballfeld vor dem Fenster türmen sich Schneeberge.

Kaum Zukunftsperspektiven

Weil die Lehrer Bedenken haben, dass alle zuhause genug zu essen bekommen, nehmen die Schüler eine Mahlzeit gemeinsam im Klassenraum zu sich. Lea schaufelt sich Fleischbällchen in Currysauce auf ihren Teller. «Nach der Schule will ich nach Dänemark ziehen», sagt sie.

Die Abbrecherquote an den grönländischen Schulen sei hoch, erzählt Idrissia Thestrup, die für die Tourismuszentrale «Visit Greenland» arbeitet. Viele von denen, die die Schule schaffen, zieht es ins Ausland. Der Wirtschaft geht so wertvolle Arbeitskraft verloren. Hier auf der Insel sehen viele junge Menschen kaum Zukunftsperspektiven. Die Arbeitslosigkeit liegt bei rund zehn Prozent.

Minen sollen neue Arbeitsplätze schaffen

Neue Arbeitsplätze sollen unter anderem in den geplanten Minen entstehen. «Wir versuchen, soviel Arbeitskraft wie möglich von hier einzusetzen», sagt Rohstoffminister Egede. In der im Mai eröffneten Rubinmine sind rund 80 Grönländer beschäftigt. Eine weitere kleine Mine soll Ende des Jahres in Betrieb gehen. Doch für grössere Projekte - wie etwa eine geplante Zinkmine in Nordgrönland - fehlen ausgebildete Bergarbeiter.

Trotz zahlreicher vergebener Lizenzen für die Erschliessung der Vorkommen liegen die meisten Pläne ohnehin noch auf Eis. Damit mehr Investoren das Abenteuer Grönland wagen, muss noch viel passieren.

Einen Teil könnte auch der Klimawandel beitragen. Darin, dass das Eis schmilzt, sehen die Grönländer nicht nur Nachteile. «Wenn mehr Land zugänglich ist, gibt es ja auch grössere Gebiete, die man erforschen kann», sagt Egede. Sorgen darum, dass die globale Erwärmung die Lebenswelt der Inselbewohner bedrohen könnte, macht er sich nicht. «Wir haben uns der Natur immer angepasst, (...) deshalb werden wir auch mit dem zurechtkommen, was jetzt auf uns zukommt.»

(sda/ccr)