Dank messbarer Ergebnisse im Direktmarketing scheint diese Branche weniger unter den Budgetkürzungen gelitten zu haben als die klassischen Marketingbereiche. Verhält sich die Direktmarketing-Branche antizyklisch?
Guido Wietlisbach: Wenn man die reinen Zahlen nimmt, hat sie eine klar antizyklische Tendenz. Während die gesamten Kommunikationsausgaben im letzten Jahr um 4,5% zurückgegangen sind, stiegen die Ausgaben für Direktmarketing um 2,8%.
War das in den vorhergehenden Jahren genauso?
Wietlisbach: Wir hatten in der Schweiz immer ein Wachstum, das über dem Schnitt des Kommunikationsmarktes lag. Betrachtet man zusätzlich die gesamten Produktions- und Vertriebskosten, war der Anstieg noch höher er lag bei 4,5%.
Wie viel Prozent der Kommunikationsausgaben fliessen ins Direktmarketing?
Wietlisbach: In der Schweiz haben wir es mit einem vergleichsweise sehr reifen Markt zu tun. Der Anteil liegt bei rund 44%. In Europa liegt er nur gerade in Deutschland noch höher; dort sind es 48%.
Wie kommt es dann, dass die Schweiz bei internationalen Kreativitätsauszeichnungen ständig so schlecht abschneidet?
Wietlisbach: Ich war dieses Jahr Jurymitglied in Cannes beim «Cannes Direct» und konnte rund zweihundert Arbeiten beurteilen. Der Grund ist der, dass es teilweise an mutigen Konzepten mangelt. Zum Teil verkaufen wir uns einfach zu schlecht. Und es fehlt die «grosse Idee»; die Umsetzung in der Schweiz ist oft technisch orientiert auf einem sehr hohen Niveau , statt guten Ideen Raum zu lassen. Die Unternehmer haben zu wenig Mut zu aussergewöhnlichen, besonderen Lösungen. Und das sind meist die erfolgreichen Lösungen. Die Schweizer sind viel zu brav.
Wenn also Kreativität Erfolg bedeutet, dann verschlafen die Schweizer ein grosses Marktpotenzial.
Wietlisbach: Das ist definitiv der Fall. Man nutzt Effizienz in erster Linie aus technischer Sicht: Die Adressselektionen sind immer ausgefeilter, immer zielgerichteter. Aber bei der Definition der Botschaft und bei deren Umsetzung wird zu wenig investiert.
Warum ist das so?
Wietlisbach: Vielfach wollen die Auftraggeber zu viel, und sie haben zu komplexe Angebote. Was fehlt, ist ein stufengerechtes Vorgehen. Und hier sind wir wieder bei den Zahlen respektive bei der Entwicklung: Der Umsatz ist da, aber Direktmarketing wird zurzeit viel weniger strategisch eingesetzt als darüber diskutiert wird. Es wird eben wieder zu viel auf Kundengewinnung gesetzt statt auf Kundenbindung, obwohl die strategisch gesehen günstiger wäre. Es fehlt an zeitlichem Weitblick. Die Medien, die im Direktmarketing-Markt in Prozenten am meisten gewachsen sind, das sind die stark für taktische Einsätze geeignete unadressierte Werbung und das Telefonmarketing.
Was halten Sie von dem Passus im Revisionsentwurf des Fernmeldegesetzes, wonach Direktmarketing erst nach der Einwilligung der Kunden eingesetzt werden darf?
Wietlisbach: Ich halte ihn für falsch. Das Fernmeldegesetz geht zu weit; sämtliche elektronischen Werbemittel werden hier in einen Topf geworfen. Wir begrüssen es natürlich, wenn beispielsweise für E-Mail-Marketing Regeln eingeführt werden. Die Bereitschaft, sich auf eine solche Botschaft einzulassen, ist tatsächlich dann viel höher, wenn bereits eine Bereitschaft zur Beziehung besteht.
Es braucht beispielsweise auch im Bereich SMS eine verbindliche juristische Grundlage. Aber man kann Telefonmarketing nicht mit E-Mail-Marketing gleichsetzen. Das Ziel des Verbands ist eine differenziertere Haltung seitens der gesetzgebenden Behörden.
Wie aber hat es so weit kommen können? Ist der Direktmarketing-Verband zu schwach?
Wietlisbach: Es ist tatsächlich so, dass es bisher sehr viele Partikularinteressen gab. Verträgerorganisationen, Telefonmarketing usw. haben ihre eigenen Verbände und eigene Interessen verfolgt. In den letzten anderthalb Jahren haben wir versucht, die Interessen etwas zu koordinieren; die Revision des Fernmeldegesetzes ist die erste gemeinsame Aktivität. Viele Interessengruppen hatten gar keine Kenntnis von der Gesetzesvorlage. Leider ist der Verband deshalb in einzelnen Bereichen noch zu wenig repräsentativ, vor allem beim Telefonmarketing haben wir noch ein Defizit.
Lobbying scheint nicht gerade eine Stärke Ihres Verbands zu sein.
Wietlisbach: In der Vergangenheit nicht; wir waren mehr mit Organisationsfragen beschäftigt. Wir haben letztes Jahr entschieden, das Lobbying zu verstärken, und sind unter anderem deshalb der Dachorganisation SW, Schweizer Werbung, beigetreten. Der Verband ist historisch aus einer Produzentenorganisation entstanden, sozusagen aus einer «monothematischen Interessengruppe gegen die Post» beim Thema Posttariferhöhungen. Er hat sich erst in den letzten paar Jahren vermehrt auch für Anwender und Agenturen wie in letzter Zeit auch für Themen des elektronischen Direktmarketings geöffnet. Dazu existiert seit diesem Sommer auch die Möglichkeit, auch als Einzel- und nicht nur als Firmenmitglied von den Leistungen des SDV profitieren zu können. Das spiegelt sich auch in der Anzahl der Mitglieder wider. Statt wie früher rund 80 sind es heute etwa 145 Mitglieder. Dies verstärkt unsere Position im Lobbying zusätzlich.
Der Wechsel des Geschäftsführers hat im Verband zu einiger Unsicherheit geführt. Warum?
Wietlisbach: Die Geschäftsstelle musste wegen der Pensionierung des bisherigen Geschäftsführers neu besetzt werden, wofür wir uns aus finanzieller und organisatorischer Hinsicht etwas Zeit gelassen haben.
Auch bei der Ausbildung haben Sie noch zu tun: Es gibt zwar den «Direktmarketing-Planer» mit über 20 Teilnehmern, aber der Versuch zum «Direktmarketing-Leiter» ist ein Fehlschlag.
Wietlisbach: Wir haben uns dazu entschieden, mit der Ausschreibung zu warten, weil wir die Entwicklung der Ausbildung zum Leiter Marketingkommunikation beobachten wollten.
Der Kurs zum Marketingleiter hatte als Anmeldefrist den letzten Herbst. Was ist passiert?
Wietlisbach: Die Ausschreibung kam zu spät; die Marktsituation für diesen umfassenden Kurs hat sich in der Zwischenzeit geändert. Es sind so wenige Anmeldungen eingetroffen, dass wir den Lehrgang absagen mussten.
Unsere nachträgliche Umfrage ergab, dass der Zeitaufwand für den Kurs zu gross wäre. Direktmarketing als isoliertes Thema hat einfach keinen grossen Ausbildungsmarkt.
Direktmarketing wird immer etwas als esoterische Nische wahrgenommen.
Wietlisbach: Der Begriff trifft zu: Man kann es von aussen oft nicht richtig einordnen. Man sieht die Mailings, die versendet werden, aber dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Der ganze Prozess, der dazu führt, ist recht aufwendig; das wird von Aussenstehenden häufig nicht erkannt. Das hat aber auch etwas mit Inzucht zu tun: Die Direktmarketing-Szene hat sich in der Vergangenheit mit der Aura des Komplexen umgeben und sich auch darin gesuhlt; sie hat den Zugang nicht ermöglicht.
Direktmarketing ist noch nicht dort, wo es sein sollte: In der Wahrnehmung nebulös, die Chancen des direkten Dialogs werden noch zu wenig wahrgenommen und strukturiert eingesetzt, das Instrument zum Teil auch innerhalb der Unternehmen falsch verankert. Vielfach werden wertvolle Daten erfasst, aber erst anschliessend überlegt man vielleicht , was man damit anfangen könnte. Oft wird versucht, ein Problem mit ungeeigneten Werkzeugen zu lösen. Dem Mann mit dem Hammer kommt eben jedes Problem wie ein Nagel vor. Hier wird Effizienz vergeben, dabei läge in integrierten Lösungen viel Potenzial.
Profil
Steckbrief
Name: Guido Wietlisbach
Funktion: Präsident Schweizer Direktmarketing-Verband (SDV)
Geboren: 12. Juli 1961 in Basel
Wohnort: Cham
Familie: Verheiratet, zwei Kinder
Karriere
1991 - 1993 CEO ASGS/BBDODirect;
1993 - 1994 CEO M,S,B+K AG;
1994 - 2000 selbstständig (Wietlisbach Direktmarketing-Agentur)
Seit 2002 Präsident SDV Schweizer Direktmarketing-Verband
Seit 2002 Chairman und Leiter Consulting und Kreation der OgilvyOne AG Schweiz, Zürich