Als Gustav Stenbolt für den Fotografen auf der Rolltreppe im Zürcher Warenhaus Jelmoli posiert, stellt ihn eine Dame energisch zur Rede: «Haben Sie eine Bewilligung zum Fotografieren?», fragt sie den Herrn im Kittel. Der lächelt, zieht sie charmant beiseite und erklärt ihr leise seine Funktion. Rot angelaufen zieht sich die Mitarbeiterin zurück. Sie hat ihren neuen Firmenleiter nicht erkannt. Ihr Trost: Sie ist nicht allein die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Jelmoli hätten ihren neuen Chef auch nicht erkannt. Das war unter Stenbolts Vorgänger Peter Leumann anders: Fast jede Verkäuferin grüsste den obersten Boss, wenn man mit ihm durch das Warenhaus schlenderte. Stenbolt agiert lieber im Hintergrund. Sein Credo heisst «Low Profile».
Seit Leumann im April überraschend den Hut genommen hat, ist der CEO-Stuhl bei der Jelmoli Holding verwaist. Und das wird so bleiben. In der Topetage herrscht ein dreiköpfiger Verwaltungsratsausschuss mit Stenbolt als Vorsitzendem. In der neuen Führungsstruktur ist Stenbolt verantwortlich für die Geschäfte der Holding und Hauptansprechpartner des Finanzchefs des Konzerns und des Chefs des Immobilienbereiches. Zudem ist er exekutives Mitglied des Verwaltungsrats.
Ein Segelboot in Genua
Wohin will der Vorsitzende den Handelskonzern führen? Wer solche Fragen stellt, erhält Gemeinplätze zur Antwort: «Ich möchte die Mitarbeiter, die Kunden und die Aktionäre von Jelmoli befriedigen.» Und: «Wir wollen Profit und Wachstum erzielen.» Auch Fragen zu seiner Person weicht er mit Lächeln aus. «Ich führe ein ganz gewöhnliches unspektakuläres Leben», beteuert er. In der Regel arbeite er von 8 Uhr früh bis 8 Uhr abends. Nur mit Mühe ist ihm zu entlocken, dass er mit seiner Familie in einem 250 Jahre alten Haus mitten in Genf wohnt, «mit einem kleinen Garten». Dort spiele er mit seinen Kindern gerne Fussball. Er versuche stets, die Wochenenden für seine Familie freizuhalten. Um beispielsweise nach Genua zum Segeln zu fahren. Ski zu fahren im Winter, Velo zu fahren im Sommer. Sport, wenn die Zeit dafür reicht. Ein Mann ohne Eigenschaften? Wohl kaum. Eher ein Mann, der keine Angriffsflächen bieten will.
Wer in den Finanzströmen des globalisierten Kapitals erfolgreich mitschwimmen will, braucht ein international ausgerichtetes Profil. Gefragt sind Leute, die sich überall und in jeder Situation zurechtfinden, den richtigen Ton treffen, ihren Gesprächspartnern nett und aufmerksam gegenübertreten und sich nie in die Karten blicken lassen. Der neue Jelmoli-Chef entspricht genau diesem Profil. Auf der Suche nach lukrativen Investments und unterbewerteten Unternehmen hat er seit den 80er Jahren im Auftrag von hochkarätigen Investoren die ganze Erdkugel bereist. Für die verschwiegene Genfer Investmentfirma Unifund SA war er verantwortlich für deren Expansion in Asien, Lateinamerika, Osteuropa und den früheren russischen Republiken. Wo immer die politischen und wirtschaftlichen Landkarten neu gezeichnet wurden: Stenbolt war dabei.
Seit 2000 im Dienste des blaublütigen Financiers Georg von Opel ist Stenbolt heute nicht nur Jelmoli-Vorsitzender, sondern auch VR-Vizepräsident der ENR Russia Invest, einem Finanzvehikel für Private Equity, das von der Opel-Familie kontrolliert wird und in russische und georgische Öl- und Gasunternehmen investiert. Er ist auch Mitglied des Verwaltungsrats der Anglo Chinese Group Hongkong und der Eastern Property Holding. Gleichzeitig steht er als VR-Präsident der Genfer Finanzboutique MCTrustco vor, die für institutionelle Anleger und Grossfirmen in aufstrebenden Märkten investiert, massgeschneiderte Produkte anbietet und gleichzeitig als Management-Gesellschaft für die beiden Opel-Gesellschaften Hansa AG und Pelham Investment fungiert. Hansa hält 88% an Pelham, und Pelham hält 51% an der Jelmoli Holding ein kompliziertes Geflecht, über dem Georg von Opel thront.
Doch der internationale Norweger Stenbolt ist kein Schreibtischtäter. Als typischer Frontmann sagt er: «Wir investieren nur in Aktivitäten, die wir kennen und selber besucht haben.» Stets auf der Pirsch nach unterbewerteten Firmen waren Georg von Opels Leute um die Jahrtausendwende auch auf Jelmoli gestossen. «Wir suchten in der Schweiz ein finanzielles Engagement mit Potenzial», sagt Stenbolt. Dass gerade Jelmoli ins Visier geriet, war kein Zufall: Als ehemaliger Aktionär von Globus konnte Opel das Marktsegment der Schweizer Warenhäuser mit ihren Immobilienpotenzialen erahnen.
«Jelmoli ist für uns mehr als ein finanzielles Investment. Hier wollen wir uns langfristig engagieren», betont Stenbolt. Das erstaunt nicht. Schliesslich ist der Aktienkurs des Unternehmens noch weit weg von seinen Zielen. Solange die Streitereien mit den Altaktionären der Tivona Holding um die Bewertung des Kaufs der Tivona-Aktien anhält, wird sich daran auch nicht viel ändern. «In drei Jahren werde ich noch immer bei Jelmoli arbeiten», meint Stenbolt. Über den Streit mit den Tivona-Altaktionären will er nicht mehr sagen, als dass dieser bis dann wahrscheinlich erledigt sei.
Drei Tage arbeitet er in Zürich und wohnt in einem Hotel. Den Rest der Woche weilt er in Genf, wo sich auch das Büro der Jelmoli-Immobilien befindet. «Es ist ein grosser Vorteil, dass wir einen Detailhandel und einen Immobilienteil besitzen», sagt er. Das stimuliere beide Geschäfte.
Vielsprachig, multikulturell
Aufgewachsen ist Stenbolt als Einzelkind in einem Beamtenhaushalt in Oslo. Bereits mit 18 Jahren verliess er Norwegen, studierte an der Universität Freiburg Volkswirtschaft und schloss die Ausbildung als lic. rer. pol. ab. «Viele Norweger studieren im Ausland. Dabei ist die Schweiz begehrt», erklärt er. Während des Studiums lernte er seine Frau kennen, die aus dem Iran stammt. Zwar hat er sein Studium in deutscher Sprache abgeschlossen, doch er spricht lieber Französisch oder Englisch. Und beides perfekt. Vielsprachig, multikulturell, überall einsetzbar. Als Angestellter im Dienste von globalen Investoren kennt er kein Heimweh.
Viele sehen ihn bei Jelmoli als Marionette des Hauptaktionärs Georg von Opel, der sich ganz im Hintergrund hält. Doch das lässt Stenbolt nicht gelten: «Ich bin autonom.» Allerdings räumt er ein, dass er wöchentlich mit von Opel telefoniert und mit ihm Strategie und Investments diskutiert.
Stenbolt steckt die unternehmerischen Ziele von Jelmoli lieber tief, um dann vielleicht mit positiven Zahlen aufzuwarten als umgekehrt. «Der Gewinn im laufenden Jahr wird wahrscheinlich kleiner ausfallen als in den Vorjahren. Und wir werden unsere Ziele ungefähr erreichen.» Mehr ist ihm nicht zu entlocken. Erst wenn er über Finanzierungen und finanzielle Investitionen spricht, ist bei ihm Feuer zu spüren. Dann lehnt er sich nach vorne und unterstreicht seine Ausführungen mit Gesten. Da ist sogar ein Hauch von Stolz zu spüren, wenn er erklärt, wie er mit einer Anleihe am Schweizer Kapitalmarkt von 175 Mio Fr. und einem Private-Placement in den Vereinigten Staaten von rund 240 Mio Fr. sämtliche Fälligkeiten der Holding für die Jahre 2004 und 2005 auf sieben bis zwölf Jahre hinaus refinanziert habe.
In solchen Augenblicken taucht hinter der Fassade des Gentlemans plötzlich ein knallhart denkender Finanzmann auf: «Wir haben eine rigorose Investitionskontrolle eingeführt», sagt er. Und das mit Nachdruck. Für die 2680 Mitarbeiter von Jelmoli wird ihr neuer Chef vielleicht nicht oft zu sehen sein. Aber zu spüren.
Steckbrief
Name: Gustav Stenbolt
Funktion: Vorsitzender des Verwaltungsratsausschusses der Jelmoli Holding
Alter: 47
Wohnort: GenfFamilie: Verheiratet, drei Kinder
Karriere
1989 - 1990 CEO Unifund in Bangkok und Hongkong
1990 - 1996 CIO Unifund in Genf
1996 - 2004 CEO und VR MC Trustco in Genf
Seit 2004 Vorsitzender des Verwaltungsratsausschusses Jelmoli
Firma
Jelmoli Holding: Zum Detailhandels- und Immobilienkonzern gehören neben dem Zürcher Warenhaus auch die Restaurantkette Molino, die Spezialgeschäfte Fundgruben, der Trendshop Beach Mountain, der Portable Shop sowie die drei Sparten der Dipl. Ing. Fust: Elektronikhaushalt, Unterhaltungselektronik sowie Küche- und Badrenovationen. 2003 hat der Konzern einen Umsatz von 1087,4 Mio Fr. erzielt. Davon beträgt der Mieterlös 112,4 Mio Fr. Der Konzerngewinn betrug 101,6 Mio Fr. Das Unternehmen beschäftigt 2680 Mitarbeitende. Die Pelham Investments hält 26,8% des Aktienkapitals und 50,8% der Stimmen.