Im täglichen Leben kam früher niemand ohne sie aus. Wer Schuhe brauchte, ein neues Kleid, einen Schrank oder einen neuen Bodenbelag, ging zum Handwerker im Dorf oder im Quartier. Im Zuge der Industrialisierung hat sich die Herstellung vieler Produkte von der Einzelfertigung in einer Werkstatt zur Massenfertigung in der Fabrik gewandelt. Viele Handwerksberufe sind im Laufe der letzten hundert Jahre ausgestorben. Halten konnte sich, wer eine Modenische besetzt. Oder wer Produkte herstellt, die entweder einzeln angefertigt werden müssen oder sich an eine Klientel richten, welche die Qualität echten Handwerks noch zu schätzen weiss.
Eine Nische besetzt zum Beispiel die Modistin Caroline Felber überaus erfolgreich. Zu Beginn ihrer Laufbahn hatte sie eine Vision. «Vor meinem inneren Auge sah ich einen langen Tisch, an dem viele Frauen sitzen und Hüte nähen.» Das war vor etwa fünf Jahren, als das für die Berufsbildung zuständige Bundesamt, das damalige Biga, die Modisterei im Allgemeinen und das Hutmachen im Speziellen quasi zum Abschuss freigegeben hatte. Doch die Beamten hatten nicht mit einer jungen, beharrlichen Modistin aus Olten gerechnet, die in ihrem Atelier nicht nur freche Hüte und Mützen fabrizierte, sondern auch ihren Beruf vor dem Aussterben bewahren wollte.
Im August 2001 gründete Caroline Felber mit Hilfe eines Fördervereins das schweizweit einzige Lehratelier für Modistinnen und Modisten. Ein zeitgerechtes Ausbildungskonzept sollte dem traditionellen Beruf neue Perspektiven eröffnen. Drei junge Frauen starteten daraufhin in der Hüte & Mützen GmbH in Olten ihre Lehre. Und heute beschäftigt Caroline Felber nebst zwei fest angestellten Modistinnen bereits sechs Lehrlinge. «Meine Vision», resümiert die 39-Jährige, «ist Realität geworden.»
Vor einem Jahr ist Caroline Felber mit ihrem Unternehmen nach Luzern gezogen, ins trendige Einkaufsquartier Neustadt hinter dem Bahnhof. Auf 160 Quadratmetern Laden- und Atelierfläche, hell, offen und für alle Augen sichtbar, werden Hüte hergestellt und verkauft. Da ist das Gestell mit den Hutformen aus Holz, runde und zylinderförmige, Western-Style und Panama, weit ausladende und nach unten sich verengende – ein ganzes Sammelsurium habe sie im Laufe der Jahre zusammengetragen, erzählt die Hutunternehmerin.
Hier sind auch der erträumte «lange Tisch» mit den Nähmaschinen, ein grosser Schrank mit den Bändern, Pelzen, Knöpfen und tausend anderen Garnituren und schliesslich eine grosse Wand, an der die zauberhaften Kopfbedeckungen präsentiert werden. Klassisches findet sich hier neben Trendigem, Schlichtes neben Poppigem, aber «jeder Hut trägt meine Handschrift».
Zu Caroline Felbers Kundschaft gehört die reiche Dame, die sich an einem Pferderennen in England neu behutet zeigen will, ebenso wie der hippe 18-Jährige, der sich aus dem Internet das Bild einer coolen Mütze heruntergeladen hat und genau so eine haben will. Ein solches Einzelstück kostet schnell einmal 250 Franken. Bedenkt man die dahinter steckende Handarbeit, rechtfertigt sich der Preis.
So zum Beispiel entsteht ein Filzhut: «Aus der Filzfabrik beziehen wir den so genannten Rohling oder Stumpen», erklärt Caroline Felber. Dieses konische Teil aus Hasenhaarfilz, einem «rudimentären, fast unbegrenzt formbaren Material», wird dann mit Hilfe des Dampfapparats über die gewünschte Holzform gezogen. Auch der Hutrand wird auf diese Weise in Form gebracht. Nach einem Tag Trocknen werden Kopf und Rand zusammengenäht und die Grösse des Entrées – das ist der Huteinschlupf – bestimmt. Der Hutsaum, das Bridé, wird sorgfältig versäubert. Und dann folgt quasi die Krönung des Hutmachens, nämlich die Garnitur, für die in Caroline Felbers Atelier ein unerschöpflicher Fundus zur Verfügung steht.
Im Gegensatz zu Filz- und Strohhüten entstehen Mützen anhand eines Schnittmusters. Zu Hunderten hängen diese im neuen Zuschneideraum an einer Stange, die allermeisten davon Eigenkreationen. «Diese Schnitt- oder auch Patronhüte brauchen sehr viel Erfahrung», sagt Caroline Felber. Sie habe im Laufe der Jahre ein sehr gutes Auge dafür bekommen, welche Art von Hut einer Person steht. «Es ist immer wieder interessant, wie eine Kopfbedeckung bestimmte Charakterzüge eines Menschen hervorheben kann.»
Als Caroline Felber vor über 20 Jahren ihre Lehre machte, fristete die Modisterei ein Schattendasein. «Niemand, der unter 60 war, trug einen Hut», erinnert sie sich. Ein ganzer Industriezweig war innert Kürze zusammengebrochen, kaum eine Modistin produzierte mehr eigene Hüte, von Mützen ganz zu schweigen. «Wer will denn das noch tragen?», hiess es oft in der eigenen Branche. Mit einer Ausdauer ohnegleichen belebte die Oltnerin das Huthandwerk in der Schweiz neu. Sie hat nicht nur eine ureigene Laufbahn hinter sich, sondern gleichzeitig dafür gesorgt, dass man mit Hutmachen wieder Karriere machen kann. Hut ab!
Andere Handwerker finden einen Markt, weil es Menschen gibt, die handwerklich gute Arbeit schätzen und die sich nicht mit Massenware abfertigen lassen. Da haben dann selbst Anbieter auf einem eigentlich von der fernöstlichen Billigkonkurrenz überschütteten Markt eine Chance. «Velos sollte man bauen», sagte sich Arnold Ramel aus Gretzenbach SO, gelernter Elektromaschinenbauer, als 1973 die Erdölkrise die Autofahrer verunsicherte. Drei Jahre später ging der Besitzer der Aarios-Fahrradfabrik in Aarau in Pension – und Arnold Ramel, damals als Verkaufsleiter bei Bally CTU beschäftigt, griff zu.
«In der Velobranche hiess es, der machts nicht lang», erinnert sich der Unternehmer. Doch inzwischen hat Ramel seine Kritiker alle überlebt: Gretener (Tigra), Cilo, Villiger, Mondia, Allegro, Condor – sie alle haben die Eigenproduktion aufgegeben, während bei Aarios, seit 1981 in Gretzenbach domizilierend, nach wie vor erfolgreich Fahrräder gebaut werden. Keine spektakulären Modebikes in schreienden Farben und Formen, sondern qualitativ hoch stehende Alltags-, Touren- und Reiseräder, die in jeder Hinsicht auf den Kunden abgestimmt sind und mit denen das Gretzenbacher Unternehmen, in dem 15 Männer und Frauen beschäftigt sind, eine Nische besetzt.
Aarios ist der letzte Hersteller von Swiss-made-Velos. Während sämtliche anderen Hersteller, um Kosten zu senken, auf chinesische Aluminiumrahmen umgestiegen sind, werden Aarios-Rahmen in der eigenen Fabrik hergestellt, aus hochwertigen CroMo-Stahlrohren von Hand gelötet. «Aluminium ist ein sprödes Material mit vielen negativen Eigenschaften», erklärt Arnold Ramel. «CroMo-Stahl hingegen hat eine sehr hohe Festigkeit, eine günstige Energie- und Ökobilanz und ist dynamisch. Deshalb ist ein Stahlrahmen sehr angenehm zu fahren.»
Ein Fahrrad ist bei Aarios ab 1000 Franken zu haben und wird nach den Wünschen des Kunden gebaut.
Dem Modell Tramper zum Beispiel liegt folgende Geschichte zu Grunde: «Zwei Studenten wollten mit dem Velo nach China fahren», erzählt Ramel. Sie brauchten Räder, die viel Gepäck aushielten und auch in unwegsamen Regionen zuverlässig zu fahren waren. Auf Grund dieser Vorgaben konstruierte der Aarios-Besitzer ein möglichst strapazierfähiges Velo mit tiefem Schwerpunkt, um auch bei hoher Belastung grosse Stabilität und komfortables Fahren zu gewährleisten.
«Nach anderthalb Jahren Reise kamen die Studenten zurück und erzählten von ihren Erfahrungen», sagt Ramel. «Solche Rückmeldungen sind für uns sehr wichtig, weil wir so ein Modell laufend verbessern können.» Auch die Bezeichnungen anderer Modelle zeugen davon, dass Aarios-Velos für die grosse weite Welt gemacht sind: das Voyager, tauglich für Fahrten bis ans Nordkap, das Discovery für grosse Lasten oder das Adventure für hohen Fahrkomfort.
Aarios-Räder gelten bei Weltreisenden mittlerweile als Geheimtipp. «Ich kenn doch Ihre Radl, ich hab die sogar in Australien gesehen», sagte etwa ein Münchner, der unlängst bei Ramel ein Tourenrad bestellte.
Mit ihren Preisen kommt Aarios gegen die Massenware aus China nicht an. Geht es hingegen um die Verwirklichung einer speziellen Veloidee, ist Arnold Ramel in der Schweiz konkurrenzlos. «Ich habe Freude am Tüfteln», sagt der 58-Jährige. Der Schweizer Post hat er zum Beispiel ein Velo konstruiert, dessen Ständer endlich nicht mehr abbricht.
Anderes Beispiel: die Aarios-Trottinette, von denen heute etwa 2000 Stück in den Schweizer Bergen eingesetzt werden. «Der Besitzer der Kerenzerberg-Bahn hatte die Idee, Trottinette für Bergabfahrten zu vermieten», erzählt Ramel. Die im Handel erhältlichen Erwachsenen-Tretroller aus Taiwan vermochten für diesen Zweck nicht zu überzeugen – wohl aber das von Aarios konstruierte, speziell robuste Down-Town. Das Angebot kam bei den Bergtouristen so gut an, dass heute auch im Wallis, im Engadin, im Berner Oberland oder im Baselbiet Leute auf Aarios-Trottinetten die Berge runterflitzen. Nicht zu vergessen die vielen Budy- oder Diavolo-Roller aus dem Hause Aarios, die in Schweizer Spitälern, in Fabriken oder in Fussgängerzonen im Einsatz sind.
«Es war nie mein Ziel, der Grösste zu werden, sondern gute, kundengerechte Fahrräder zu bauen», sagt Arnold Ramel schlicht. Diese Haltung vertreten auch seine drei Kinder, die alle im Familienunternehmen beschäftigt sind. Velos nicht als Modeartikel, sondern als Produkt auf Grund ganz bestimmter Bedürfnisse – eine durchaus zukunftsträchtige Strategie.
Leute, die ein Handwerk beherrschen, das man trotz Massenprodukten immer noch braucht, haben es gut. Auf ihre Dienstleistungen ist man immer noch angewiesen, weil sie Dinge reparieren oder einbauen können, die sich nicht mit dem kleinen Einmaleins des Heimwerkers erledigen lassen. Schreiner gehören dazu. «Ich bin ein Idealist», sagt Thomas Schwarzenbeck, selbstständiger Schreiner aus dem solothurnischen Rüttenen. Was der 37-Jährige an Idealen hochhält, sind die überlieferten Handwerkswerte: gute Arbeit, ein Sinn fürs Detail, hohe Einsatzbereitschaft. Hinzu kommt die Vorliebe für hochwertiges Material. «Ich rühre seit Jahren keine Spanplatten mehr an», sagt er selbstbewusst. Und für modische Laminatböden hat er nur ein Wort übrig: «Sondermüll.»
Was gute Arbeit bedeutet, wird im Konzertsaal in der Solothurner Altstadt ersichtlich. Dort verlegt Thomas Schwarzenbeck mit seiner kleinen Equipe, bestehend nebst ihm aus einem Festangestellten, zwei Lehrlingen und einem Praktikanten, einen neuen Parkettboden. Keine vormontierten Parkettplatten mit Klicksystem, wie der Hobbyschreiner sie aus dem Baumarkt kennt, kommen hier zum Einsatz, sondern 20 Millimeter dicke, massive Eichendielen, die jeweils einzeln im Fischgrätenmuster auf einen eigens gebauten Unterboden genagelt werden. Dieses Muster verlangt vom Handwerker eine sorgfältige Planung und ein gutes Gespür für den Raum. «Entscheidend ist die Mittelachse», erklärt Thomas Schwarzenbeck, «von hier aus rechne ich aus, wie die Dielen bis zum Seitenfries zu liegen kommen.» Je nachdem, wie das Ganze aufgeht, muss die Mittelachse um einige Zentimeter verschoben werden.
Der bereits fertig gestellte Boden in der Garderobe lässt erahnen, mit welch edler Unterlage der altehrwürdige Solothurner Konzertsaal dereinst ausgestattet sein wird. Man kann sich richtig vorstellen, wie sich die Klänge eines Streichorchesters oder der fetzige Sound eines Rockkonzerts in das duftende Holz eingraben. «Ein solcher Parkettboden hält Jahrzehnte», sagt der junge Schreiner. Mindestens dreimal lässt sich das Holz abschleifen und neu versiegeln.
Der Auftrag der Stadt Solothurn ist für Thomas Schwarzenbeck einer der grössten, den er bisher übernommen hat. Als Kleinbetrieb ist er auf eher kleine Arbeiten ausgerichtet – massive Holzmöbel, massgeschreinerte Küchen, Türen und Fenster, Treppen, Balkone, Gartenhäuschen.
Thomas Schwarzenbecks Hauptstärke nebst dem Design ist die Flexibilität seines Betriebs: die Fähigkeit, sich auf Sonderwünsche eines Kunden einzulassen und massgeschreinerte Lösungen zu finden. «Für mich spielt es keine Rolle, ob ich bei einem Küchenkasten eine Normbreite von 60 Zentimetern oder eine Sonderbreite von, sagen wir, 63 Zentimetern baue, denn ich habe kein grosses Lager, aus dem ich mich bedienen muss.» Kürzlich hat er in ein relativ kleines Zimmer eine Küche eingepasst, die dank Ausnutzung sämtlicher Wände ein Maximum an Stauraum bietet. «Jedes kleinste Detail ist genau auf den Raum abgestimmt, was bei einer Normküche nicht möglich wäre», erklärt er. Für diese Massarbeit hat der Kunde über 50 000 Franken bezahlt.
Thomas Schwarzenbeck hat vor acht Jahren, nach einer Zeit als Abteilungsleiter einer Behindertenwerkstatt, beschlossen, sich auf die Existenz als Selbstständigerwerbender einzulassen. Es war weniger der Glaube an den «goldenen Handwerksboden», sondern vielmehr die Liebe zum traditionellen Handwerk, die ihn zu diesem Schritt bewogen hat. Und hier kennt der junge Schreiner keine Kompromisse, auch wenn zuweilen der Profit leidet.
«Ich gebe mich nur mit der besten aller möglichen Lösungen zufrieden», sagt er – ein Credo, das er auch seinen Lehrlingen weitergibt. Schreiner sein, sagt Thomas Schwarzenbeck, das sei ein überaus hartes Brot, ein von vielen unterschätztes Gewerbe, das nebst Knochen- auch viel Denkarbeit erfordere. «Ich muss mich jeden Tag einer neuen Aufgabe stellen können», sagt er. «Das treibt zwar den Adrenalinspiegel ständig hoch, dafür ist mein Alltag nie eintönig.»
Mit seinen Ideen ist Thomas Schwarzenbeck nicht nur ein Idealist, sondern fast schon ein Ideologe. Einer, der den allgemeinen Niedergang des Handwerks beklagt und selber, in Konkurrenz zur Massenproduktion, auf hohem Niveau eine Nische besetzt. Doch dies hindert den ehrgeizigen Schreiner nicht daran, Dinge auch einfach auszuprobieren. So versuchte er zum Beispiel, mit Schränken in Holz-Blech-Design auf den Möbelmarkt vorzudringen. «Ich habe davon geträumt, USM-Möbeln Konkurrenz zu machen», erzählt er lachend. Es ist beim Traum geblieben – dafür ist das nächste Projekt aufgegleist: Thomas Schwarzenbeck will ein Schiff bauen, einen Katamaran aus Massivholz nach eigenen Plänen. Die Steiner-Schule in Solothurn und ein eigens gegründeter Verein unterstützen das Bauvorhaben. Um sich Kenntnisse anzueignen, hat er zu Hause stapelweise Bücher, unter anderem über die seefahrenden Polynesier, die Urheber des Katamarans.
Eins ist sicher: Alte Handwerkstraditionen werden sein zehn Meter langes, modernes Doppelrumpfschiff wesentlich prägen.