Während seines Studiums an der HSG hat er in der Nacht als Taxifahrer gearbeitet. «Diese Zeit möchte ich nicht missen. Ich habe Leute aller Schichten und ihre Denkweisen und Reaktionen auf die veränderten Umwelt- und Lebensverhältnisse kennen gelernt», sagt Hans Jürg Bernet. Unter seinen Kunden waren Betrunkene und Rentner, die froh waren, mit jemandem reden zu können, Junge, die über ihre Zukunftssorgen sprachen, und Geschäftsleute, die mit ihm auch über die wirtschaftliche Lage diskutierten. Sein Kundenmix war also bunt. Bei der Zürich, wo er zuerst ein Praktikum absolvierte, dann Direktionsassistent und schliesslich der jüngste Direktor des Konzerns wurde, ist ihm die Taxifahrerei zugute gekommen: «Ich habe immer die Sichtweisen verschiedener Kunden nachvollziehen können und nie Berührungsängste mit Menschen gehabt, die ganz anders dachten als ich.»

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Eigentlich wollte Bernet Förster werden. Aufgewachsen ist er im «Sömmerli», einem Quartier in St.Gallen, das an den romantischen Sitterwald angrenzt. Dort gibt es einen Fluss mit kleinen Inseln, viel Getier und verschlungene Waldwege. «Ich verbrachte meine Freizeit, wenn immer möglich, in diesem Wald», erinnert sich Bernet. Mit von der Partie war sein Zwillingsbruder Werner, der heute bei der Reka Bern als Geschäftsleiter arbeitet. Der erkennbare Unterschied zwischen den beiden ist der Schnauz von Hans Jürg. Beide haben an der HSG studiert und beide erleben heute noch, dass Leute sie nicht unterscheiden können.

Das Studiengeld besserte er mit Taxifahren auf

Bernets Vater war Beamter im Hochbauamt und hat alles daran gesetzt, dass die beiden Söhne studieren konnten. Die Aufbesserung des Studiengeldes durch Taxidienste kam nicht ungelegen. Erste Führungserfahrungen machte Hans Jürg Bernet aber bei den Pfadfindern: «Ich war in der Funktion des Abteilungsleiters bereits als Sek-Schüler für vieles verantwortlich: Für die Organisation von spannenden Übungen, von Lagern und von Grossanlässen. Damals habe ich auch gelernt, dass sich Führen zu 60% aus Intuition und zu 40% aus Erlernbarem zusammensetzt.» Sein Pfadiname war Flamingo und zur Erklärung streckt Bernet seine langen Beine unter dem Tisch hervor. Das Rätsel um den Namen ist gelöst.

Das Haus der Bernets am Stadtrand von St. Gallen, nahe den «Drei Weieren», kleinen Seen, in denen die St. Galler im Sommer gerne baden, ist eine eigenartige Mischung zwischen gemütlich und modern. Gemütlich ist das Äussere. Es erinnert an das Haus eines Landjunkers, behäbig und nicht so luxuriös wirkend wie die Villen von anderen Managern, die in Toppositionen tätig sind und dies auch architektonisch kundtun. Modern sind hingegen die Einrichtungsgegenstände und die Kunst im Haus: Futuristisch anmutend, aber in die Grundstruktur des Hauses integriert.

Bernet wollte diesen Ort nach dem beruflichen Transfer von St.Gallen nach Zürich nicht verlassen obwohl seine Frau Angelika einen Umzug durchaus mitgemacht hätte. Doch Bernet nimmt es gerne auf sich, täglich in aller Frühe nach Zürich zu fahren. «Ich fühle mich hier wohl. St.Gallen wird nicht umsonst die Stadt im genannt, ich bin in zwei Minuten mittendrin. Auch die gute Luft und viele Menschen, die ich seit meiner Zeit in der St. Galler Niederlassung, aber auch seit meiner Jugend kenne, bedeuten mir viel, geben Halt», erklärt Bernet.

Als Handball-Präsidentmehrmals Schweizer Meister

Zu seiner lokalen Verankerung gehört auch sein Engagement bei den Handballern, er war von 1978 bis 1987 Präsident des Klubs St. Otmar. Seine Spieler waren mehrmals Schweizer Meister. Heute ist er Präsident der Gönner-Vereinigung und sichtlich stolz darauf, dass er seinem Nachfolger einen beträchtlichen Kapitalstock übergeben konnte. «Das ist ja im Sport heutzutage nicht gerade selbstverständlich», sagt er lachend und mit einem Verweis auf andere Vereine, die Mühe haben, die Mittel zusammenzukratzen.

Es gibt in der Managerwelt offenbar zwei Lager, wenn es um die Sportwelt geht: Die einen, wie etwa Nestlé-VR-Präsident Rainer E. Gut oder der «Gärtner der Nation», Werner Spross, sind völlig auf Fussball konzentriert. Und andere wie Saurer-VR-Präsident Giorgio Behr, Axpo-Chef Heinz Karrer oder Hans Jürg Bernet engagieren sich für die Handballer. Es gibt sogar Studien zu diesem Thema und man kann aufgrund der Sportvorlieben durchaus gewisse Schlüsse auf die Charakterstruktur eines Managers ziehen. Wer dem Fussball anhängt, liebt wohl eher das Glamouröse mit VIP-Lounges, grossen Auftritten und frenetischem Spektakel. Wer den Handball unterstützt, ist hingegen weniger auf grossen Medienrummel und Blitzlichtgewitter erpicht, zieht Sport in einem kleineren und diskreteren Rahmen vor. Das trifft auch auf den Zürich-Schweiz-CEO Hans Jürg Bernet zu.

Die sportlichen Vorlieben von Bernet korrespondieren auch mit einem weiteren Charakteristikum des St. Gallers: Er ist trotz steiler Karriere bescheiden geblieben. Seine Dissertation über das Privat- und Sozialversicherungswesen war gemäss dem Verleger ein Renner und ist, wie auch die Konkurrenz bestätigt, zu einem Ausbildungshandbuch der Assekuranz-Branche geworden. Die Tantiemen hätten sich zwar in Grenzen gehalten, aber es freue ihn natürlich trotzdem, dass er dereinst verfasst habe, was heute noch aktuell sei, räumt Bernet ein.

Und wie beurteilt der Versicherungsfachmann die heutige Situation einer Branche? Einer Branche notabene, welche jungen Menschen mit beruflichen Ambitionen oft empfohlen wurde, die aber in den letzten Jahren imagemässig und an den Kapitalmärkten Federn lassen musste, bevor sie sich wieder auffangen konnte. «Ich gehöre nicht zu denen, die behaupten, sie hätten diesen Sturz an den Kapitalmärkten vorausgesehen», erwidert Bernet. «Jetzt gilt es, Gegensteuer zu geben, denn die Wirtschaft hatte zu stark auf die Aktienbörsen gesetzt. Die neue Situation verlangt neue Sichtweisen. Darauf stellen wir uns ein.» Vor dieser Entwicklung sei das operative Geschäft im Vergleich mit den Möglichkeiten an den Kapitalmärkten zu stark vernachlässigt worden. «Ich würde es als bezeichnen. Das wird sich ändern.»

Gegen die Verpolitisierungder Rentenfrage

Und dann wird der sonst ruhig wirkende Chef der Zürich Schweiz plötzlich doch noch heftig: Wenn die Rede auf den Umwandlungssatz im Rahmen der 2. Säule kommt. Der Prozentsatz zur Berechnung der jährlichen Rente aufgrund des vorhandenen Kapitals beträgt derzeit 7,2%. Der Nationalrat hat beschlossen, diesen Umwandlungssatz stufenweise auf 6,8% zu senken. Das würde eine jährliche Senkung der Rente bewirken. «Ich bin dagegen, dass solche Fragen verpolitisiert werden», sagt Bernet. Das gilt für ihn auch mit Bezug auf den Mindestzinssatz. Das BVG schreibt vor, dass Altersguthaben mit einem Mindestzinssatz verzinst werden müssen. Gemäss Verordnung des Bundesrates sollen sie neu mit 2,25 statt 3,25% verzinst werden. Bernet bekräftigt dazu, er sei immer dafür eingetreten, dass nicht die Politik, sondern ökonomische und mathematische Faktoren diese wichtigen Kenngrössen bestimmen.

Dann zündet er eine Zigarette an und wirkt wieder sehr gelassen. Diese Gelassenheit ist es auch, was seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihm schätzen. «Ich hatte immer das Gefühl, er gehe auf sie ein und tue nicht nur so, als würde er ihnen zuhören», sagt etwa einer seiner Sachbearbeiter. Auf die Leute zugehen und sie ernst nehmen: Auch das hat Bernet vermutlich schon als Taxifahrer gelernt.

Steckbrief

Name: Hans Jürg Bernet

Funktion: CEO Zürich Schweiz und Mitglied Group Management Board der Zurich Financial Services Group

Alter: 54

Wohnort: St. Gallen

Familie: Verheiratet

Karriere

1980 - 1994 Verkaufsleiter und ab 1984 Leiter Regionalsitz Ostschweiz der Zürich Schweiz

1994 - 2001 Leiter Privat- und Geschäftskunden, Mitglied der Geschäftsleitung Zürich Schweiz

Seit 2001 CEO Zürich Schweiz

Firma

Zürich Schweiz: Das Unternehmen Zürich Schweiz umfasst das Schweizer Geschäft des im Versicherungsgeschäft verankerten Finanzdienstleisters Zurich Financial Services Group (ZFS). In den Kernbereichen des Unternehmens, nämlich der Nichtlebens- und Lebensversicherung sowie dem Bereich Vorsorgelösungen, betreuen 6500 Beschäftigte mehr als 1,6 Mio Kunden. Die Zürich Schweiz tritt im Markt unter den Namen Zürich, Züritel, Zurich Invest, Alpina und Genfer auf. Sie ist der zweitgrösste Nichtlebensversicherer und drittgrösste Lebensversicherer der Schweiz.