Wer soll eigentlich all die Kleider anziehen, die auf Saurer-Textilmaschinen produziert werden?
Heinrich Fischer: Zum Beispiel die Chinesen. Sie müssen sich vorstellen, wenn alle Chinesen ein zweites paar Blue Jeans kaufen, dann braucht es 1 Mio Tonnen Garn, und dafür braucht es schon ein paar neue Maschinen.
Deshalb hat Saurer massive Kapazitäten nach Asien verlagert. Wird letzten Endes nur noch die Verwaltung in der Schweiz übrig bleiben?
Heinrich Fischer: Die Schweiz war nie unser Hauptproduktionsstandort. Die meisten Betriebe haben wir in Deutschland. Tatsächlich findet der Ausbau der Gruppe aber in Asien statt, wobei das Schwergewicht in China liegt. Vor anderthalb Jahren haben wir dort ein neues Werk in Betrieb genommen, das jetzt vor der nächsten Ausbaustufe steht.
Damit setzen Sie voll auf China?
Fischer: Ja. Wir werden dieses Jahr bereits rund 70% unseres Umsatzes im Textilbereich in Asien erwirtschaften. Mehr als die Hälfte davon wird auf den chinesischen Markt entfallen. Ein Blick nach vorne zeigt, dass hier die mit Abstand grössten Wachstumschancen liegen. Der lokale Bedarf ist riesig, während die Textilindustrie für die Chinesen gleichzeitig das wichtigste Exportgut ist.
Ist es nicht riskant, so sehr auf die eine Karte zu setzen?
Fischer: Das Risiko wäre ungleich grösser, wenn der Ausbau in China unterlassen würde.
Trotzdem setzen Sie sich einem «Klumpenrisiko» aus?
Fischer: Gut, dass dem so ist. Ansonsten wären wir schlechter dran. Wir hätten wirklich eine Flaute, da in der restlichen Welt signifikant weniger läuft als früher.
Wie sieht denn das Kostengefälle zum chinesischen Markt aus?
Fischer: Ein Produktionsstandort in China kostet halb so viel.
Und mit was für Wachstumsraten rechnen sie in Südostasien?
Fischer: Es geht hier nicht um die Frage des Wachstums, sondern um die Verschiebung der Märkte. In Europa und den USA schrumpft der Markt mit der gleichen Geschwindigkeit, wie er in Asien wächst. Das heisst, weltweit werden nicht mehr Anlagen gebraucht, sie werden nur in einer anderen Region gekauft. Darauf richten wir uns aus.
Haben Sie keine Bedenken, dass Saurer Know-how in China «verschenkt»?
Fischer: Das ist nicht das zentrale Thema. Das grössere Risiko ist, dass, wenn Sie nach China liefern, das Know-how dort kopiert wird. Da sind wir ziemlich machtlos. Wir haben derzeit verschiedene Patentstreitigkeiten. Aber die chinesischen Gerichtsverfahren sind träge.
Da könnte es ja durchaus sein, dass unter dem Strich nichts übrig bleibt?
Fischer: Das ist derzeit nicht der Fall.
Und künftig?
Fischer: Was ist Ihr Alternativ-Vorschlag? Die Produktion schliessen? Entweder ist man in Asien in der Lage, dem Wettbewerb zu trotzen, wie wir das tun, oder man bleibt «zu Hause». Würden wir nicht nach China liefern, halbierte sich unser Textil-Umsatz in diesem Jahr.
Saurer hat diese Woche bekannt gegeben, einen kleinen Teil der Oberflächentechnologie oder rund 30 von 155 Mio Fr. Umsatz zu verkaufen. Zu welchem Preis?
Fischer: Wir haben mit dem Käufer vereinbart, keine detaillierten Angaben zum Preis zu machen. Ich kann ihnen nur sagen, dass er dem Buchwert der verkauften Unternehmenseinheit entspricht.
Sie haben stets bekräftigt, das Warten lohne sich, die Märkte erholen sich. Der jetzige Teilverkauf zeigt nun aber, dass Saurer den Bereich tatsächlich nur schwerfällig abstossen kann.
Fischer: Nein, es zeigt lediglich, dass viel mehr Unternehmen an einem Teil interessiert sind als am Ganzen.
Wie sieht jetzt die weitere Strategie für diese Sparte aus?
Fischer: Die Oberflächentechnologie wird Zug um Zug verkauft, so wie es für die einzelnen Teilbereiche gut ist.
Nicht auf Ihrer Verkaufsliste steht die Antriebstechnologie. Doch hat dieser Bereich mit einem Umsatz von 558 Mio Fr. im letzten Jahr nicht eine unterkritische Grösse?
Fischer: Wenn wir uns mit den Grossen messen, sind wir klein. Aber in den Segmenten, in denen wir tätig sind, nehmen wir überall Platz Nummer eins oder zwei ein. Bei den Getriebekomponenten für Traktoren sind wir beispielsweise die Grössten in der westlichen Welt. Bei den Allrad-Getriebesätzen sind wir Nummer eins oder Nummer zwei und bei Luxussportfahrzeugen wie Ferrari, Maserati oder Aston Martin sind wir fest etabliert. Da sind Stückzahlen und Technologien gefragt, welche für die ganz Grossen nicht so interessant sind.
Die Antriebstechnologie macht bei Saurer derzeit nur einen Fünftel vom Gesamtumsatz aus. Wie wollen Sie dort wachsen?
Fischer: Unser Ziel ist es, in der Antriebstechnologie über internes Wachstum und Akquisitionen die Milliardenschwelle zu erreichen. Durch die Mittel, die uns über den Verkauf der Oberflächentechnologie zufliessen werden, können wir die Finanzierung im Antriebsbereich aus eigener Kraft bewerkstelligen.
Sie sprechen auch von Landmaschinen, was schon seit einiger Zeit kein guter Markt ist.
Fischer: Stimmt. Aber wir verdienen trotzdem gutes Geld in diesem Bereich, weil wir liefern können und unsere Kostenstruktur stimmt.
Auch ein Bauer kann Kosten sparen und noch lange auf seinem alten Traktor herumfahren.
Fischer: Dieses Geschäft stagniert, aber wir verdienen an diesen Getrieben. Vergessen Sie nicht: Die reifen Industrien haben im Schnitt mehr verdient als die New-Economy-Firmen. Das haben auch die Investoren kapiert. Die Ausmachung bei den reifen Industrien hat stattgefunden. Sie haben im Schnitt mehr zugelegt.
Mit anderen Worten: Saurer setzt nicht auf ein vom Wachstum getriebenes Geschäft, sondern versucht, Erträge vorwiegend aus Kosteneinsparungen zu generieren?
Fischer: É durch hohe Marktanteile. Nennen Sie mir irgend eine Firma, die 50% des Weltmarktes beherrscht, höchstens noch Microsoft. Der Pharmabereich kommt bestenfalls auf 5%.
Und was macht Saurer, wenn der nächste Einbruch im Textilgeschäft kommt?
Fischer: Dann werden wir wieder ein bisschen mehr leiden, aber noch nicht in die roten Zahlen abrutschen. Das würde viel brauchen, bis es so weit wäre. Wir haben heute viel mehr Spielraum.
Wieso?
Fischer: Wir haben viel weniger Fixkosten. Wir haben in den letzten paar Jahren im Textilbereich rund 200 Mio Fr. Fixkosten reduziert.
Werden Sie die Fixkosten in dem Masse weiter drücken, wie in den vergangenen Semestern?
Fischer: Das ist ein Kontinuum. Da fällt uns jedes Jahr noch etwas ein, um es besser zu machen.
Das heisst, es wird weitere Entlassungen geben?
Fischer: Ja. Die Verlagerung nach China bringt es mit sich, dass es vor allem in Deutschland immer weniger Leute braucht. Wobei mit der Auslagerung der Teilefertigung der grösste Teil bereits abgeschlossen ist.
Wie viel hat der Personalabbau in Deutschland bisher gekostet?
Fischer: Alleine der Sozialaufwand wird sich über die letzten fünf Jahre auf 250 Mio Fr. belaufen.
Mit Textilmaschinen und Getrieben für Landwirtschaftsmaschinen ist Saurer in gesättigten Märkten tätig. Was für Ertragsziele sind für Sie in diesen Segmenten realistisch?
Ist das brachenüblich?
Fischer: Im Textilmaschinenbereich kann das eine gute Firma erreichen.
Dann gehört Saurer aber nicht dazu.
Fischer: Im traditionellen Saurer Textilbereich Naturfasern machen wir heute schon 8% über den Zyklus hinweg und im Moment sogar mehr. Im Synthetik-Bereich Barmag gelingt uns dies noch nicht, was dazu führt, dass wir insgesamt noch nicht bei den 8% Ebit liegen.
Wie viel ist es dann konkret bei Barmag?
Fischer: Bei den aktuellen Volumen Breakeven. Insgesamt zieht uns dieses Ergebnis aber runter, denn hier sprechen wir von relativ viel Umsatz mit wenig Ertrag.
Und wie sieht es bei Graziano aus?
Fischer: Auch im Bereich Getriebe sehen wir, dass wir in der Lage sind, eine Ebit-Marge von 10% zu machen.
Und wann wollen sie die gesteckten Ziele erreichen?
Fischer: Wir peilen die 8% Ebit-Marge bei vergleichbaren Volumen im Jahr 2005 an.
Bei allem was Sie sagen, kann man davon ausgehen, dass Saurer in etwa mit dem heutigen Portfolio unter Ausschluss der Oberflächentechnologie vor allem bei Graziano weiter wachsen will?
Fischer: So ist es. Im Textil-Bereich gehen wir davon aus, dass der Umsatz in den kommenden Jahren flach ausfallen wird, da es kein Wachstum mehr gibt für Maschinenhersteller. Im Schnitt wird der Markt sogar schrumpfen, weil der Mehrbedarf an Garn von 3 bis 4% im Jahr durch die Produktivitätssteigerungen mehr als kompensiert wird. Wachsen wollen wir dagegen im Getriebebereich, weil wir dort viele Möglichkeiten sehen, dieses Geschäft auszubauen. Mit anderen Worten, den Cashflow, den wir im Textilbereich generieren, wollen wir im Getriebebereich für Wachstum einsetzen. So sieht die Strategie von Saurer aus.
Wie hoch ist denn der Cashflow, den Saurer macht?
Fischer: In den letzten vier Jahren hat Saurer in jedem Jahr mehr als 50 Mio Fr. Nettocash generiert. Und das Einzige, was am Ende des Tages zählt, ist, ob ein Unternehmen Cash generiert.
Steckbrief
Name: Heinrich Fischer
Funktion: CEO Saurer
Alter: 53
Wohnort: Ostschweiz
Familie: Verheiratet
Ausbildung: Dipl. Ing. ETH, lic oec
Karriere
1980 - 1990: Leiter Technologie und Leiter der Business Unit Coating Equipment bei Balzers, eine Division der Unaxis-Gruppe.
1991 - 1996 Mitglied der Konzernleitung, Leiter Corporate Development bei Unaxis.
seit 1997: CEO Saurer.
Saurer Letzter Kurs: Fr. 57.60
(in Mio Fr.) 1.HJ03 1.HJ02 %
Bestellungen 1422 1367 4.0
Umsatz 1256 1107 13.0
Ebit 70 17 311.0
Ebit Marge (in %) 5.5 1.5
Beschäftigte 10736 11495 6.6
Fazit: Der rigorose Restrukturierungskurs im Textilgeschäft zeigt Wirkung. Gleichzeitig profitiert Saurer weiter von einer guten Auslastung im Textilmaschinengeschäft Asien, was die etwas schwächere Performance im Automobilgeschäft kompensiert.