So spielt das Leben. Im Sommer 1964 arbeitete Heinrich Spoerry zum ersten Mal bei der damaligen SFS Stadler in Heerbrugg SG. Der damals 13-Jährige sortierte Schrauben als Ferienjob für 1.50 Franken pro Stunde und wohnte bei seinen Grosseltern, während seine Eltern eine Anden-Expedition unternahmen. Spoerry ist im Rheintal geboren; die Familie zog nach Zürich, als er Zweitklässler war.
Nicht weit von der alten Schraubenfabrik entfernt lehnt er sich knapp 52 Jahre später im Sitzungszimmer «Nizza» am Hauptsitz der heutigen SFS Group zufrieden zurück: «Ich war 17 Jahre lang Chef eines kompakten Unternehmens mit stabilem Aktionariat. Alle meine beruflichen Ziele konnte ich erreichen.» Spoerry bleibt VR-Präsident.
Alles Eitle fremd
Dem 64-Jährigen ist alles Eitle fremd. Medienpräsenz soll dem Unternehmen nützen. Was er sagt, ist überzeugender, als wie er es sagt. Spoerry, der Spröde, schenkt sich auch an öffentlichen Auftritten die Managerphrasen. Das kommt hier gut an.
Es gibt keine Homestorys über ihn und seine Familie. Privates gibt er nur dosiert preis. Während 17 Jahren hat er eine Wochenendehe geführt - er war Wochenaufenthalter im Rheintal, seine Frau Christine mit den drei mittlerweile erwachsenen Kindern blieb in Zürich. In jungen Jahren ruderte er wettkampfmässig. Sport bezeichnet Spoerry als «geistige Hygiene». Zurzeit bremst ihn aber ein lädiertes Knie.
Gut vernetzt
Die Spoerrys sind eine alte Industriedynastie, aus Urgrossvaters Zeiten verbunden mit den Schmidheinys. Heute steckt ein Teil des Familiensilbers in der Conzzeta Holding. Heinrichs Bruder Robert hat ebenfalls Karriere gemacht, ist heute Präsident von Mettler Toledo und sitzt in den Boards von Conzzeta und Sonova. Heinrich Spoerry ist mit Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann über Mikron verbunden. Beide pumpten Geld in das kriselnde Unternehmen, und Spoerry übernahm nach Schneider-Ammanns Wechsel in den Bundesrat das Präsidium.
Der SFS-Lenker sagt, dass er keinen Karriereplan gehabt habe: «Bei einem guten Chef wäre ich auch als Nummer zwei oder drei zufrieden gewesen. Ich wollte aber nie unter jemandem arbeiten, der es nicht besser konnte als ich», erzählt er. Dass er schliesslich CEO bei SFS wurde, sei Zufall und Glück gewesen. Das ist Understatement. Spoerry ist der Ziehsohn von SFS-Gründer Hans Huber, der aus dem lokalen Handelsunternehmen den Ostschweizer Industriekonzern formte. Der heute 89-jährige SFS-Ehrenpräsident und Spoerry sind ähnliche Typen, was Führung betrifft.
Fingerspitzengefühl
Huber holte den HSG-Absolventen mit Master-Abschluss am Massachusetts Institute of Technology nach Lehrjahren bei Boston Consulting Anfang der achtziger Jahre zu SFS. Spoerry bewies Fingerspitzengefühl, gleiste die Entflechtung in eine Industrie- und Handelsgruppe auf und wahrte so die Balance zwischen den beiden Besitzerfamilien Huber und Stadler. Austarierte Machtgefüge entscheiden bekanntlich in solchen Fällen über den Fortbestand von Unternehmen. Vorgespurt wurde damals auch die Trennung zwischen operativer Führung und Aktionariat für die Zeit nach Huber.
Spoerry zog nach seinem Gesellenstück weiter, lernte grössere Einheiten führen und stieg in die Geschäftsleitung von Cerberus auf, die heute zu Siemens gehört. Das gefiel Hans Huber, und er holte den Strategen 1993 zurück, machte ihn erst zum Verwaltungsrat und schliesslich zum Chef.
Förderer und Nachfolger stehen sich nahe. Sie treffen sich periodisch in Hubers Haus im Appenzellerland, reden über Strategien und philosophieren beim gemeinsamen Abendessen. Spoerry spricht mit Hochachtung vom «Vollblutunternehmer, der nie Mikromanagement betrieb».
Konstant gewachsen
Was Führung letztlich wert ist, spiegelt der Markt. So gesehen hat die auf Präzisionsteile und Befestigungstechnik spezialisierte SFS unter Spoerry vieles richtig gemacht. Er hat die Firma per 1. Januar 2016 Jens Breu (43), einem gelernten Polymechaniker mit MBA-Abschluss und langjähriger Erfahrung bei SFS, in guter Verfassung übergeben. 2015 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 1,38 Milliarden Franken. 1999, in Spoerrys erstem Jahr als CEO, waren es 774 Millionen gewesen. Das sind keine grossen Sprünge, aber ansehnlich für eine Industriefirma mit dem Franken als Rechnungswährung.
Vor allem wenn man die kumulative Abwertung des Euro von rund 35 Prozent seit 2007 berücksichtigt. SFS tritt an gegen ausländische Wettbewerber, die dieses Handicap nicht haben. Die Wechselkursfreigabe vom Januar 2015 hat den Gewinn um fast 50 Millionen Franken geschmälert. Mit einer Ebita-Marge von 12,5 Prozent zählt SFS aber zu den rentabelsten Industriefirmen hierzulande.
«Wir mussten uns immer selber helfen», sagt Spoerry. Will heissen, die Produktivität steigern, die Innovationsrate hochhalten und dort produzieren, wo es die Endmärkte aus der Automobil- und der Elektronikbranche verlangen. So macht SFS nach Schätzungen etwa zehn Prozent des Umsatzes mit Miniaturschrauben für Apple.
Standort Schweiz unter Druck
Augenfällig ist die Veränderung bei den Mitarbeitenden. 1999 waren 70 Prozent an SFS-Standorten in der Schweiz beschäftigt, nun ist es nur noch gut ein Viertel von mittlerweile 8300. Vor allem der Zukauf von Unisteel, einem bedeutenden Zulieferer für die Elektronikindustrie mit Produktionsstätten in Malaysia und Shanghai, verschob die Gewichte vor vier Jahren stark nach Fernost. Die Mitarbeiterzahl erhöhte sich auf einen Schlag um 2700 Angestellte.
Die Gemengelage in der Zulieferindustrie hat den Druck auf die Schweizer Standorte von SFS erhöht. «Es geht hier ums Innovieren, stetige Verbessern und Optimieren. Die Expansion müssen wir ausserhalb des Heimmarktes suchen», sagt Spoerry.
Schmerzhafter Wandel
Wer den Zug verpasst, wird abgehängt. Wie Nokia, vor 15 Jahren noch das wertvollste Unternehmen der Welt. Die ganze Elektronikbranche verlagerte sich nach Asien. Wäre SFS nicht gefolgt, könnte man dieses Marktsegment nicht mehr beliefern.
Für die Mitarbeiter in der Schweiz ist es ein schmerzhafter Wandel, noch verschärft durch den Frankenschock. 2015 wurde die wöchentliche Arbeitszeit um zwei Stunden erhöht und die sechste Urlaubswoche für alle gestrichen. Spricht man Betroffene an, lassen einige Dampf ab. Sie beschimpfen das Management als unfähig und machen häufig den Börsengang 2014 für die Verschlechterung verantwortlich.
Mittlerweile wurde die unpopuläre Ferienkürzung aufgehoben. «Wir hören unseren Mitarbeitenden ja zu», sagt Spoerry. Und die steigende Belastung habe gar nichts mit der Börsenkotierung zu tun: «Damit sichern wir langfristig unsere Unabhängigkeit und Selbständigkeit.»
Keine weiteren Mandate
Auf das IPO hatte er mit Hans Huber jahrelang hingearbeitet. Die beiden Gründerfamilien, teilweise in der dritten Generation, bleiben zusammen Mehrheitsaktionäre und nützen gleichzeitig die Spielräume von gut 340 Millionen Franken aus dem Verkauf von Anteilen. Über 700 Mitarbeiteraktionäre können ihre Aktien nun frei handeln und müssen nicht mehr ausbezahlt werden, wenn sie die Firma verlassen.
Dass die SFS-Aktie gegenwärtig um den Einstandspreis schwankt, raubt Heinrich Spoerry nicht den Schlaf: «Es hat zu viel Angst im Markt. Wir denken langfristig.» Zwei bis drei Tage pro Woche will er in Zukunft für SFS arbeiten. Zudem ist er ja noch VR-Präsident beim ebenfalls währungsgebeutelten Maschinenhersteller Mikron und sitzt im Board von Bucher Industries sowie dem Baukonzern Frutiger. Anfragen für weitere Mandate hat er abgelehnt. Spoerry freut sich auf den «Luxus, mehr Zeit zu haben, um auch unter der Woche mal Sport zu machen oder mit meiner Frau ein, zwei Wochen zu verreisen».