Reden wir zuerst über ihren Bruder.

Heinrich Villiger: Einverstanden.

Wird sich Ihre Beziehung zu ihm verändern nach seinem Rücktritt?

Villiger: Nein, das denke ich nicht. Wir hatten immer eine gute Beziehung, früher im Unternehmen als Partner, aber auch nach seiner Wahl in den Bundesrat 1989. Kaspar sagte zwar stets, es sei nicht immer einfach mit mir. Wahrscheinlich weil ich viel gefühlsbetonter und impulsiver bin als er. Er sucht viel stärker den Konsens, das wurde ihm in der Politik ja häufig vorgeworfen.

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Wie oft sehen Sie ihn pro Jahr?

Villiger: Zwei- oder dreimal, an einem Familientreffen, an Weihnachten oder Ostern oder an einer Beerdigung.

Ist eine Rückkehr von Kaspar ins Familienunternehmen denkbar?

Villiger: Ich habe ihn nicht gefragt. Weil es keine Alternative ist für ihn. Kaspar hat seine Zelte in Pfeffikon im Kanton Luzern abgebrochen. Er hat in Muri bei Bern ein Haus gekauft, wo er auch seinen Freundes- und Bekanntenkreis hat. Zudem wäre er mit Jahrgang 1941 zu alt für unser Unternehmen.

Wie bitte? Immerhin ist er elf Jahre jünger als sie.

Villiger: Ja, wie Sie wissen, suche ich intensiv einen Nachfolger.

In dieser Hinsicht hat es Ihr Bruder einfacher.

Villiger. Da haben Sie recht.

Wer wird Nachfolger von Bundesrat Villiger?

Villiger: Ich bin sehr unpolitisch. Es genügt, wenn das einer macht in der Familie. Aber spontan gesagt würde mir Franz Steinegger gut gefallen. Auch wenn ich nicht auf der FDP-Linie bin.

Sondern?

Villiger: Ich habe in den letzten vier Jahrzehnten extrem negative Erfahrungen mit Brüssel gemacht. Darum stehe ich auf der Seite jener Parteien, die gegen den EU-Anschluss sind. Und da gibt es in der Schweiz nur eine grosse Partei.

Wo stehen Sie in der Suche nach Ihrem Nachfolger?

Villiger: Sehr weit. Am letzten Samstag fanden gerade Gespräche mit zwei der drei letzten Kandidaten statt. Bis Ende Oktober sollten wir den Entscheid fällen können.

Warum zog sich die Suche in die Länge?

Villiger: Tatsächlich suche ich schon lange einen Nachfolger. Mit 73 bin ich natürlich ein Unsicherheitsfaktor. Ich stehe unter dem Druck der Familie und der Banken. Ich habe in der Vergangenheit öfters versucht, jemanden aufzubauen. Das ist nicht gelungen, wir mussten uns von drei, vier Herren trennen, bei denen ich glaubte, sie könnten es.

Warum konnten sie es nicht?

Villiger: Weil sie nicht genügten. Nicht wegen mir. Meine Frau sagt natürlich, ich sei nie schuld. Im Ernst: Entweder fehlte es an der Ausbildung, am Fingerspitzengefühl oder an der Beziehung zur Cigarre. Wahrscheinlich haben wir die Messlatte zu tief angesetzt.

Jetzt liegt sie höher.

Villiger: Ja, wir suchen nun gezielt über einen deutschen Headhun-ter. Es muss einer sein, der ein Unternehmen vergleichbarer Grösse geleitet hat. Er muss in Deutschland, in unserem Hauptmarkt, zuhause sein. Er darf nicht älter als 52 sein.

Und er sollte den Reiz der Cigarre à fonds kennen.

Villiger: Schön wärs. Doch da haben wir keinen gefunden. Wir haben die ganze Branche abgeklappert. Also schauten wir verwandte Branchen an. Spirituosen, Bier, Lebensmittel. Ein hervorragender Mann von Interbrew, mit dem wir uns in allen Punkten einig waren, hat uns im letzten Moment abgesagt.

Welche Rolle werden Sie spielen, wenn Ihr Nachfolger mal anfängt?

Villiger: Das Kerngeschäft will ich abgeben, also die GmbH in Deutschland, die AG in der Schweiz sowie die ausländischen Töchter. Behalten werde ich die beiden Havanna-Importgesellschaften.

Warum hören Sie nicht ganz auf?

Villiger: Die Hobbys würden mich nicht ausfüllen. Als Alleinaktionär sehe ich auch keinen Anlass, das Präsidium im Verwaltungsrat abzugeben. Die unternehmerische Nachfolge wird meine älteste Tochter, Corina Villiger Christ, eine Ärztin, übernehmen.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Villiger: 60 sind es schon. Vor halb elf Uhr komme ich selten nach Hause. Am Samstag bin ich auch da, am Sonntag arbeite ich in der Regel den halben Tag.

Pascal Couchepin will das Rentenalter auf 67 erhöhen. Finden Sie das eine gute Idee?

Villiger: Sehr gut finde ich das.

Es gab ungewöhnlich viele Chefwechsel im Hause Villiger, namentlich in der Fahrradsparte, die Sie Ende 2002 an Trek verkauften. Inwiefern hat dies mit Ihnen als Alleinbesitzer und Patron zu tun?

Villiger: Es ist nicht so, dass all die Leute sagen könnten, sie seien mit mir nicht ausgekommen. Operativ war ich ja nicht aktiv im Velogeschäft. Nein, es gab eine Reihe gravierender Managementfehler.

Und das in den letzten Jahren gleich bei vier, fünf Chefs.

Villiger: Es waren vier. Ich war mit dem Velogeschäft nie sehr verbunden. Ich fahre zwar Velo, aber die ganze Technik ist nicht mein Ding.

Würden Sie nochmals ins Velogeschäft einsteigen?

Villiger: Nein, nie. Meine älteste Tochter hat mich vor dem Einstieg 1980 eindringlich gewarnt. Aber mein Bruder und ich haben nicht auf sie gehört. Alles, was wir nachher negativ erlebt haben in dieser äusserst schwierigen Branche, hat sie damals schon vorausgesagt. Was nicht gerade für meinen Bruder und mich spricht.

Hat die Fahrradsparte je schwarze Zahlen geschrieben?

Villiger: Am Anfang ja, als wir mit Manor einen sicheren Abnehmer für unsere Marke Swiss Olympic hatten. Als Manor begann, die Velos aus Fernost zu importieren, ist die Rechnung nicht mehr aufgegangen.

Wie viel haben Sie für die Fahrradsparte gekriegt?

Villiger: Buchwert und Goodwill. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Es gab keinen weiteren Verlust mehr.

Die Cigarren haben die Velosparte lange Zeit am Leben erhalten.

Villiger: Ja, Gott sei Dank ist dieses Geschäft so lukrativ.

Gilt dies auch für die Zigaretten?

Villiger: Die Zigarettenbranche ist sehr stark konzentriert auf weltweit wenige Players. Es ist eine Hightech-Branche, in der weiter rationalisert wird, die Maschinen laufen immer schneller. Trotz hoher Steuerbelastung sind die Margen relativ gross in diesem Geschäft. Die Schadenersatzprozesse gehören zur Kalkulation der Preise; letztlich zahlen diese Prozesse also die Raucherinnen und Raucher.

Laufen auch Prozesse gegen Cigarrenhersteller?

Villiger: Wir sind nicht im Schussfeld. Es gab erst zwei, drei Prozesse. Gegen uns zum Glück noch keinen. Alle Klagen wurden abgewiesen. Bei der Cigarren-Industrie ist auch kein Geld zu holen. Wir brauchen nur 1 bis 2% des weltweiten Tabakanbaus.

Wie sieht die momentane Entwicklung der Branche in Europa aus?

Villiger: Der Preiskampf hat die Konzentration enorm beschleunigt. In der Schweiz teilen sich zwei Firmen den Markt, Burger und Villiger. In Deutschland gab es früher noch 1000 Firmen, heute sind es noch ein paar wenige. Die Ertragslage ist heute nicht schlecht.

Wie hoch ist die Marge bei einer Cigarre?

Villiger: Weniger als 10%.

Und wie viel verdient Ihr Unternehmen?

Villiger: Das haben wir nicht vor zu publizieren.

Wie läufts dieses Jahr?

Villiger: In der Schweiz ist der Absatz leicht rückläufig. Die besten Havanna-Kunden, die Duty-Free-Shops an den Flughäfen, spüren die tiefen Frequenzen aus den USA. Zu schaffen macht uns auch der Parallelimport aus Kuba.

Mitte Jahr ist der Tabakchef gegangen. Wer führt nun Regie?

Villiger: Ich selber. Aber das war schon vorher so.

Anfang Oktober werden in der EU die Tabakvorschriften verschärft. Es gibt viel grössere Warnhinweise.

Villiger: Die Tabakrichtlinie ist ein Regelwerk, das den Mitgliedstaaten gewisse Freiheiten lässt. Sie können zum Beispiel wählen, ob die Warnung auf den Päckchen «Rauchen tötet» oder «Rauchen kann tödlich sein» lautet. Laut WHO und EU-Kommissar David Byrne haben die bisherigen Warnhinweise nicht gereicht, den Konsum zu bremsen. Ziel ist, den Konsum zu reduzieren und die Jugend zu schützen.

Unterscheidet die Richtlinie zwischen Zigaretten und Cigarren?

Villiger: Nein. Die Zigarettenindustrie ist damit weitgehend einverstanden. Sie ist völlig eingeschüchtert ob all der Prozesse, die drohen.

Welche Konsequenzen haben die verschärften Vorschriften für Ihr Unternehmen?

Villiger: Wir haben vier Werke. Bei einem Umsatzeinbruch von 10 bis 15% müssten wir eines davon schliessen.

Welches ist am stärksten gefährdet?

Villiger: Dasjenige in der Schweiz mit rund 130 Angestellten - weil wir von Pfeffikon aus nicht in die EU exportieren können wegen den hohen Schutzzöllen. Umgekehrt hat die Schweiz niedrige Einfuhrzölle, ein Import wäre möglich.

Sind in der Schweiz auch die Kosten am höchsten, im Vergleich zu den andern Fabriken in Deutschland und Irland?

Villiger: Nicht einmal. Der Lohn ist zwar höher, die Leistung aber auch. Unter dem Strich ist das Schweizer Werk produktiver.

Nun übernimmt auch die Schweiz die Tabakvorschriften der EU.

Villiger: Die Schweizer Tabakverordnung, die bis Ende September in der Vernehmlassung war, hat bei allen Wahlmöglichkeiten der EU die strengste Version genommen. Dabei besteht gar kein Zwang zur Änderung der Tabakverordnung, solange wir nicht in der EU sind.

Was kostet Sie die Umstellung?

Villiger: Die Einmalkosten in der Schweiz für die Umstellung der Warnhinweise belaufen sich auf 2,3 Mio Fr. Das frisst dann den Ebit eines Jahres gerade auf . . .

Womit Sie uns verraten haben, wie hoch Ihr Gewinn ist.

Villiger: (schweigt)

Mit welchen Umsatzeinbussen rechnen Sie, wenn die neuen Gesetze in Kraft sind?

Villiger: Das ist schwierig zu sagen. Es gibt ja verschiedene Dinge, die uns belasten. Höhere Steuern, mehr Schmuggel, grössere Warnhinweise. Aber die ganze Übung in der EU und in der Schweiz ist für die Katz. Die Raucher werden sich daran gewöhnen.