Wie beurteilen Sie das Potenzial von Bioventure-Anlagen im derzeitigen Marktumfeld?

Henri B. Meier: Wir befinden uns inmitten einer Wissensexplosion. Ich würde es mit einem Vulkan vergleichen, der einige Jahrzehnte gekocht hat und jetzt beginnt, die Lava auszuspucken.

Vulkan, Explosion: Werden Bioventure-Anlagen unterschätzt?

Meier: In den USA nicht, dort fliessen riesige Summen in diesen Sektor. In der Schweiz wird der Biotechsektor sicher noch von vielen unterschätzt.

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Müssten denn institutionelle Investoren wie Schweizer Pensionskassen in Biotechanlagen investieren?

Meier: Institutionelle Investoren, die für die Altersvorsorge Gelder sammeln, sind prädestiniert für Investitionen in langfristige Bioventure-Anlagen, da sie das eingesetzte Geld erst viel später brauchen. Schweizer Pensionskassen, die AHV, die Lebensversicherer, aber auch die Suva sind in der Lage, langfristig auf den Biotechsektor zu setzen.

Aber das tun sie nicht oder nur in sehr beschränktem Mass.

Meier: In den USA sind es vor allem Institutionelle, die in Bioventure-Papiere anlegen, die Fonds der Eliteuniversitäten, wie die Harvard Business School, die 50% ihrer Anlagegelder in Alternativinvestition wie Biotech Venture Capital investieren. Bei uns in der Schweiz werden die Chancen noch zu wenig genutzt, weil einerseits Risiko mit dem Instrument statt mit dem Manager assoziiert wird und weil andererseits der Zeithorizont zu kurz ist Pensionskassen-Verantwortliche werden öfters aufgrund kurzfristiger Erfolge honoriert.

Viele institutionelle Anleger investieren derzeit nur noch wenig in Aktien und zu einem grossen Teil in erstklassige Obligationen wie Schweizer Bundesobligationen, weil sie eine hohe Kapitalsicherheit anstreben. Was spricht dagegen?

Meier: Diese Strategie halte ich derzeit für hoch «riskant», das heisst, die Gewinnchancen stehen sehr schlecht im Verhältnis zur Verlustwahrscheinlichkeit.

Warum?

Meier: Wenn die Zinsen ansteigen - und das werden sie gelegentlich sicher tun -, fallen die Kurse, und die Pensionskassen und Versicherer, die jetzt vor allem in Schweizer Bundes-obligationen engagiert sind, verlieren viel Geld. Viele Leute glauben immer noch, dass Obligationen sicher und Aktien riskant sind. Es wird zu wenig unterschieden zwischen dem Volatilitätsrisiko und dem Verlustrisiko. Es kommt eben darauf an, wie jemand die Aktien managt. Es gibt effiziente Instrumente, um das Risiko der Aktien abzusichern. Am meisten Geld verdient man, wenn die anderen Marktteilnehmer meinen, etwas sei riskant. Die Angst vor dem Risiko macht auch blind für Chancen. Darunter leidet zurzeit die Schweizer Wirtschaft.

Inwiefern?

Meier: Wenn keine oder zu wenig direkt produktive Investitionen gemacht werden, um Risiken zu vermeiden, wenn nicht mehr in die Zukunft investiert wird, sondern nur noch in Schuldpapiere, dann wird unsere Wirtschaft rasch schrumpfen und international zunehmend an Bedeutung verlieren.

Ist denn in der Schweiz für Jungunternehmen zu wenig Kapital vorhanden?

Meier: In der Schweiz haben wir zu hohe Ersparnisse - also viel Kapital, aber zu geringe Direktinvestitionen, weil Ersparnisse nicht dorthin kanalisiert werden. Deshalb fehlt es an langfristigem Risikokapital für Jungunternehmen. Das ist fatal für die Zukunft unseres Landes.

Aber es gibt doch viele Fonds, auch von den Banken, die in Jungunternehmen investieren?

Meier: Aus Angst vor dem «Risiko» gibt man öfters Kredite, wo eigentlich Risikokapital erforderlich wäre. Alle wollen Sicherheit und verpassen dabei grosse Chancen. In der Schweiz unterliegt zudem die Unternehmermentalität der Verwaltermentalität. Das sehen wir auch bei der Wirtschaftspolitik.

Was kritisieren Sie?

Meier: Wir besteuern in der Schweiz mit Vorliebe Risikokapital. Schulden dagegen können wir abziehen. Wenn wir eine neue Gesellschaft gründen, wie zum Beispiel die HBM Bioventures, dann senden wir zuerst einmal 8 oder 9 Mio Fr. an Stempelsteuern nach Bern. Das ist zu vergleichen mit dem Bauer, der sein Saatgut konsumiert, anstatt es zu säen. Dazu kommt die multiple Gewinnbesteuerung: Zuerst bei der Firma, dann bei der Investitionsgesellschaft und dann beim Aktionär. In den USA wird eine Venture-Capital-Firma nur einmal besteuert, nur beim Aktionär.

Was bedeutet denn für Sie Risiko?

Meier: Risiko beinhaltet nicht nur die Möglichkeit des Verlustes, sondern auch die des Gewinnes. Doch die Gewinnchance wird im Wortgebrauch «Risiko» nicht wahrgenommen. Wenn jemand sagt, das ist riskant, meint er nur die Möglichkeit des Verlierens. Gerade im Biotechbereich sind die Chancen aussergewöhnlich gut, aber die Risiken müssen verteilt werden.

Aber wir sprechen von Risikokapital: Die Anleger können doch auch viel verlieren?

Meier: Ja, wenn sie auf Einzelinvestitionen setzen. Da können sie den vollen Kapitaleinsatz verlieren. Wir wissen aus der Statistik der Vergangenheit, auch bei der HBM Bioventures, dass ein gewisser Prozentsatz unserer Gesellschaften nicht erfolgreich sein wird, andere werden befriedigende Resultate erzielen und einige wenige werdenboomen. Für den Erfolg sind drei Faktoren entscheidend: Die richtige Wahl der Firmen, die Verteilung der Risiken und ein langer Zeithorizont.

Was ist Ihre Vision für die HBM Bioventures?

Meier: Wir wollen die Besten werden im Bereich der Investitionen in junge Biotechnologieunternehmen in der Humanmedizin. Ich hoffe, dass wir in ein paar Jahren die Nummer eins sind in der Welt auf dem Gebiet Venture Capital in der Biomedizin.

Ihre HBM Bioventures verwaltet über 900 Mio Fr. Was sind Ihre Ziele punkto Kapitalvolumen?

Meier: Das eingesetzte Kapital wird sich in den nächsten Jahren weiter erhöhen. Die Milliardengrenze werden wir voraussichtlich noch in diesem Jahr schaffen. Wir haben demnächst die erste Investitionsphase hinter uns. Ab nächstem Jahr beginnt die Ernte-Phase, wo die ersten Investitionen bedeutende Wertschöpfung generieren sollten.

Wann kommt die HBM Bioventures an die Börse?

Meier: Wir kommen dann an die Börse, wenn es im besten Interesse der Mehrheit unserer Aktionäre ist.

Also in einem Jahr?

Meier: 2005 ist nicht ausgeschlossen, aber 2006 ist der wahrscheinlichere Zeitpunkt. Voraussetzung dafür ist, dass wir dann ein gutes Marktumfeld haben. Die Aussichten sind aus heutiger Sicht gut.

Welche weiteren Voraussetzungen müssen für den Börsengang erfüllt sein?

Meier: Aus Liquiditätsgründen braucht es ein Vermögen von mindestens 1 Mrd Fr. Zweitens wollen wir sicher sein, dass unsere reifen Investitionen in die Erntephase kommen. Auch das dürfte bis Ende Jahr erfüllt sein. Zum Zeitpunkt, in dem wir unsere Aktie über einen Börsengang auch dem breiten Publikum anbieten, müssen wir Gewähr haben, dass unsere Aktie ein Erfolg wird.

Werden Sie sich an der SWX Swiss Exchange oder an einer anderen Börse kotieren lassen?

Meier: Wir werden uns an der Schweizer Börse SWX kotieren lassen. In unserem Land fehlt bisher ein Vehikel, wie wir es betreiben.

Aber es gibt doch bereits ähnliche Vehikel, etwa die BB Biotech: Was unterscheidet Sie?

Meier: Anders als die meisten bestehenden Vehikel investieren wir nicht in grosskapitalisierte, etablierte, börsenkotierte Unternehmen, sondern in private Unternehmen, wo der durchschnittliche Anleger nicht selbst investieren kann. Wir verstehen uns als aktive Unternehmer-Investoren, die mithelfen, Wert zu schöpfen. Aber sobald das Unternehmen am Markt erfolgreich Produkte verkauft und genügend Cashflow generiert, braucht es uns in der Regel nicht mehr.

Wo wird die HBM Bioventures in fünf Jahren stehen?

Meier: Wir werden auf unserem Gebiet Humanmedizin Weltleader sein. Bereits jetzt sind wir die Nummer eins in Europa.

Sie sind noch bis Ende April 2005 VR-Präsident der Givaudan: Wollen Sie sich künftig voll auf den Biotechsektor konzentrieren?

Meier: Ich ziehe mich nicht nur bei der Givaudan, sondern altersbedingt auch bei Victoria Jungfrau im Mai und bei Züblin im Juli 2005 aus dem Verwaltungsrat zurück.

Welches Potenzial sehen Sie als abtretender Präsident für Givaudan?

Meier: Givaudan ist in Bezug auf Grösse und Leistung klar zur Nummer eins im Markt der Riechstoffe und Aromen aufgerückt. Die Aussichten von Givaudan sind weiterhin gut. Wir weisen ein gesundes Wachstum sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern aus. Givaudan hat auch aussergewöhnlich interessante Forschungsprojekte.

Wird Givaudan die Margen weiter erhöhen können?

Meier: Wir bewegen uns in einem harten Konkurrenzumfeld. Eine Ebitda-Rendite von 23 oder 24% ist schon sehr beachtlich. Das Ziel ist es natürlich immer, die Margen weiter zu verbessern.

Dämpfen Sie die Markterwartungen?

Meier: Es wird Zeiten geben, wo die Marge tiefer sein wird, und Zeiten mit höheren Margen.

Es gibt somit keinen Grund, die Prognosen zu korrigieren auch bei den Margenzielen nicht?

Meier: Ich bin zuversichtlich, dass Givaudan weiterhin gute Resultate erzielen wird.

Die Givaudan-Aktien haben sich über Jahre hinweg erfreulich entwickelt: Besteht nicht ein grosses Risiko eines Rückschlags?

Meier: Nichts ist risikofrei, aber das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist trotz des Kursanstiegs immer etwa gleich zwischen 15 und 16,5 geblieben, obwohl der Kurs seit der Börseneinführung 2000 um über 50% zugelegt hat der SMI hat im gleichen Zeitraum 21% eingebüsst.

Das heisst, die Titel sind nach Ihrer Einschätzung nicht überbewertet?

Meier: Nein, angesichts des aktuellen Kurs-Gewinn-Verhältnisses sind die Aktien nicht überbewertet. Givaudan ist ein hoch fokussiertes Unternehmen und heute im Markt der Aroma- und Riechstoffe weltweit eindeutig die Nummer eins. Diese Position wollen wir verteidigen und weiter ausbauen.

Gibt es weitere Akquisitionen?

Meier: Je grösser unsere Kunden werden, desto mehr müssen auch wir global wachsen, um sie bedienen zu können. Givaudan wird bestimmt auch künftig wieder Akquisitionen vornehmen - aber nur, wenn sie wertschöpfend sind.

Interview: Martin Spieler

Unternehmer, Finanzspezialist, Verwaltungsrat: Steckbrief

Name: Henri B. Meier

Funktion: VR-Präsident Givaudan, HBM Bioventures und HBM Fondation, unter anderem Verwaltungsrat bei Züblin und Victoria Jungfrau

Geboren: 6. Mai 1936

Wohnort: Buonas ZG

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Ausbildung: Dr. oec. Universität St.Gallen, Postdoc-Studium an der Columbia University New York, Ehrendoktor Universität Basel.

Karriere

1965-1973: Weltbank und IFC in Washington, Economist, Financial Analyst, Division Chief

1973-1978: Direktionsmitglied Motor Columbus, Chef Marketing und Finanzierung

1978-1986: Mitglied der Leitung Investmentbanking HandelsBank National Westminster

1986-2000: Mitglied der Roche-Konzernleitung und Group Chief Financial Officer

1994-2004: Mitglied des Verwaltungsrates der Roche Holding

Schlagworte

«Das Wachstum in der Schweiz ist schwach, wegen ungenügender, direkt produktiver Investitionen.»

«Die Schweiz sollte nicht anderen unsere Ersparnisse überlassen, damit sie mit diesem Kapital arbeiten, sondern wir sollten selbst unternehmerisch tätig sein.»

«Meine Hoffnung liegt bei den Jungen, denn die sind unternehmerisch; aber die wenigsten von ihnen haben einen reichen Vater. Darum muss der Markt genügend Risikokapital bereitstellen.»