Mit Schwung entkorkt Raoul Cruchon eine Flasche, giesst Wein in die bereitstehenden Gläser, kommentiert kurz und schraubt den Korkenzieher in die nächste Flasche. Dieses Ritual wiederholt sich etliche Male, denn im 1976 gegründeten Weinbaubetrieb Henri Cruchon in Echichens bei Morges werden über drei Dutzend verschiedene Weine aus insgesamt 16 Rebsorten erzeugt.
Überzeugt davon, dass sich auch im Waadtland andere Traubenvarietäten als Chasselas, Pinot noir und Gamay kultivieren lassen, begannen die Cruchons zu diversifizieren, als noch die meisten Winzer der Region darauf zählten, dass Jean-Pascal Delamuraz, ihr Mann im Bundesrat, ihnen noch lange die ausländische Konkurrenz vom Hals halten würde. Doch hinter der Angebotsausweitung standen nicht allein ökonomische Überlegungen. «Unsere breite Weinpalette ist auch der Versuch, die für die Appellation Morges typische Vielfalt der Terroirs und Mikroklimas optimal zu nutzen», sagt der ausgebildete Önologe Raoul Cruchon.
Neben Raoul, der für die Weinbereitung zuständig ist, haben auch andere Familienmitglieder ihre feste Funktion im Betrieb: Vater Henri leitet den Verkauf, Bruder Michel kümmert sich um die Rebpflanzungen, und Raouls Gattin Lisa ist für die Administration verantwortlich.
Nicht die Menge, sondern die Qualität wird bezahlt
12 ha eigenes Rebland umfasst die Domaine der Cruchons. Zusätzlich verarbeiten sie die Trauben, die andere Rebbauern auf insgesamt 24 ha erzeugen. Mit den Lieferanten haben sie nicht nur langjährige Verträge abgeschlossen, sondern sie arbeiten auch eng mit ihnen zusammen, damit sie gesundes und qualitativ hoch stehendes Traubengut erhalten. Ein Zahlungssystem, das sich nicht nach der Ertragsmenge, sondern nach Parzellenfläche und der Qualität der Trauben richtet, ermutigt die Rebbauern möglichst gute und nicht etwa möglichst viele Trauben zu produzieren. Raoul Cruchon: «Alles, was einen Wein gut macht, was ihm Potenzial und Finesse verleiht, ist bereits in den Trauben enthalten. Und was da nicht enthalten ist, kann später auch nicht im Wein zum Ausdruck kommen.» Diese Erkenntnis und das ausgeprägte Qualitätsverständnis hatten Raouls Bruder Michel, den Chef de culture, bewogen, sich mit der Integrierten Produktion (IP) zu befassen und das Rebland nach IP-Richtlinien zu kultivieren.
Doch seit ein paar Jahren gehen die Cruchons noch einen Schritt weiter. Bei diversen Blindverkostungen stellte Raoul Cruchon fest, dass die Weine, die ihm am besten gefielen, oftmals aus biologisch-dynamischem Anbau stammten. Im Vergleich zu Kreszenzen aus konventioneller Bewirtschaftung war den Gewächsen, die nach der von Rudolf Steiner entwickelten Methode erzeugt worden waren, eine auffallende Klarheit und Finesse eigen.
Diese Beobachtung liess ihm keine Ruhe. Nach einem Besuch der berühmten Domaine Leroy im Burgund war für ihn klar, dass bei ihnen zu Hause etwas geschehen musste. Das war vor zehn Jahren. Heute wird bereits die Hälfte der 36 ha Rebland biodynamisch kultiviert. «Die Resultate sind ermutigend», sagt Raoul Cruchon. «Die Reben sind krankheitsresistenter geworden, und in den Weinen kommt der Charakter des Terroirs eindeutig besser zum Ausdruck.»
Spitzenqualität wächst nur auf gesundem Boden
Die Cruchons sind keine Sektierer oder Esoteriker. Es geht ihnen um die Qualität der Weine. Spitzenqualität ist aber nur zu haben, wenn die Böden und die Reben gesund sind. «Vergiftete Böden sind die Ursache vieler Probleme, die uns Winzer plagen», so Raoul Cruchon. «Biologisch lebendige Böden dagegen machen die Reben krankheitsresistenter. Dies wiederum beeinflusst die Qualität der Trauben und schliesslich auch jene des Weins.»
Unter den mehr als drei Dutzend Weinen stellen die verschiedenen Chasselas-Gewächse mehr als einen Drittel der Gesamtproduktion. Herausragend sind die drei 2004er Grands Crus Champanel, Clos des Abbesses und Les Pétoleyres. Nobel, vielschichtig und ausdrucksstark präsentieren sich auch die verschiedenen weissen Spezialitäten: Komplex und charaktervoll der 2002er Chardonnay, mineralisch und mit dezenter Restsüsse der Pinot Blanc (2003), würzig und kraftvoll der Viognier (2003), fruchtig und gut strukturiert der Sauvignon Blanc (2004), kräftig und gehaltvoll der Gewürztraminer (2004).
Rund ein Drittel der Gesamtproduktion des Hauses Henri Cruchon entfällt auf diverse Rotweine. «Bis Anfang der 90er Jahre wurde in der Waadt den roten Sorten wenig Aufmerksamkeit geschenkt», kommentiert Raoul Cruchon. Zwar hatte der Pinot Noir schon seit längerer Zeit eine gewisse Bedeutung, doch zu wirklicher Klasse hat es diese grosse Burgunder-Sorte am Lac Léman nie gebracht. Ein Fall für Raoul Cruchon, der sich schon seit über 20 Jahren mit dieser wohl kapriziösesten aller Traubenvarietäten beschäftigt. Die vorläufige Bilanz seiner Bemühungen: Die terroirgeprägten Grands Crus Champanel und Raissenaz sowie die Les Lugrines genannte Cuvée aus Pinot Noir und Gamay. Zurzeit sind die 2003er Jahrgänge im Verkauf. Trotz ihres jahrgangsbedingten hohen Alkoholgehalts und ihres fleischigen, kraftstrotzenden Körpers kann man ihnen allen eine gute Harmonie und eine beeindruckende Vielschichtigkeit attestieren.
Eine Spezialität und Rarität zugleich ist der Servagnin de Morges, gekeltert aus einem alten Pinot-Noir-Klon, der in den 60er Jahren beinahe ausgestorben wäre. Nur gerade noch zwei Stöcke gab es damals in Saint-Prex. Ein paar Winzer aus der Region Morges haben sich in der Folge zusammengetan, einige Rebberge mit dem alten Klon bestockt und eine eigene Appellation mit einem strengen Reglement geschaffen. Cruchons 2003er Servagnin de Morges ist in der Nase geprägt von roten Kirschen und leicht animalischen Noten, die an die Walliser Sorte Humagne Rouge erinnern. Im Gaumen zeigt er sich zugleich kräftig und saftig und mit einem von markanten Tanninen und einer leichten Bitternote geprägten Abgang.
Ein Grossteil der Weine stammt aus biodynamischem Anbau. Doch sie sind nicht mit einem speziellen Label gekennzeichnet. «Es geht mir nicht darum, unsere Weine dank irgendeines Labels besser verkaufen zu können», winkt Raoul Cruchon ab. «Sondern weil sie gut sind.»
Henri Cruchon, Case Postale 60, 1112 Echichens. Tel. 021 801 17 92. Fax 021 803 33 18. Die Weine sind direkt ab Gut erhältlich. Öffnungszeiten des Verkaufslokals: Montag bis Freitag: 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr; Samstag: 8 bis 12 Uhr.