Auf einmal sollte alles ganz schnell gehen: Herbert Diess wird Matthias Müller an der Spitze von Volkswagen ablösen. Das hat der Aufsichtsrat bereits am Donnerstag beschlossen. Ursprünglich war die Sitzung für den Freitag geplant.
Mit der Zustimmung von Müller haben sich der kontrollierende Porsche-Piech-Clan, das Land Niedersachsen und mächtige Arbeiterführer schnell auf Diess als Nachfolger geeinigt und andere Top-Führungskräfte wie den Finanzvorstand, den Schwerlastwagen-Chef und den Porsche-Chef ausgeschlossen.
Die Gründe für die Wahl von Herbert Diess
Mit der Wahl des 59-Jährigen für den Spitzenjob schlägt Volkswagen zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen nominieren sie eine Führungskraft aus den eigenen Reihen, denn Diess hat bereits als Markenchef seine Pflöcke im Konzern eingeschlagen. Gleichzeitig übernimmt damit ein Manager die Zügel im Konzern, der unbelastet vom Dieselskandal ist. Diess wechselte erst Mitte 2015 von BMW zu Volkswagen, kurz bevor der Skandal öffentlich wurde.
Auch bei BMW wurden Diess bereits Ambitionen auf den Chefposten nachgesagt. Als ihm Harald Krüger vorgezogen wurde, entschied sich Diess für den Sprung nach Wolfsburg. Beobachter kommentierten zu jener Zeit, dass dieser, der als knallharter Dealmaker gilt, dort ohnehin besser ins Unternehmen passt. Tatsächlich wurde Diess für seine Fähigkeit ausgewählt, Veränderungen bei der Marke VW durchzusetzen, die die Rentabilität erhöhten und letztlich Arbeitsplätze retteten, heisst es unter den Insidern. Als Top-Manager mit der Aufsicht über die grösste Einheit von VW hat sich Diess routinemässig mit Gewerkschaftsführern herumgeschlagen, während er versucht, die Kosten zu senken und die byzantinische Struktur des Automobilherstellers zu vereinfachen.
Bereits aus seiner Position als Markenchef heraus hat Diess Präsenz gezeigt und wichtige Weichenstellungen geprägt. Die Entscheidung von VW, sich künftig stark auf Elektromobilität zu konzentrieren, ist wohl massgeblich auf den 59-Jährigen zurückzuführen. «Ich glaube an die Elektromobilität, sie ist eine Chance für Volkswagen und für die Gesellschaft», sagte Diess der «Zeit». Alternativen wie Antrieben mit Erdgas oder Wasserstoff steht er dagegen skeptisch gegenüber.
E-Auto-Provokateur Tesla zollt Diess dagegen Respekt. Im Digitalen sei das Unternehmen von Elon Musk Volkswagen voraus, sagt er laut «Manager Magazin». VW habe aber den «Anspruch, Tesla Einhalt zu gebieten». Dabei geht es laut Diess nicht nur darum, Elektroautos zu bauen, die Spass machen und deren Preis konkurrenzfähig ist. Es geht darum, das Auto der Zukunft anders zu verstehen. Das Auto werde sich in den kommenden 15 bis 20 Jahren drastisch ändern, sagte er dem «Handelsblatt». «Unsere grösste Herausforderung ist dabei, dass wir das Auto als Teil des Internets verstehen.»
Volkswagen ist komplexer als die Konkurrenz
Dem Wandel bei Volkswagen steht dabei auch die Komplexität entgegen. Nach dem Diesel-Betrugsskandal versuchte Müller, die starre Führungsstruktur von Volkswagen von oben nach unten zu überarbeiten und mehr Verantwortung an die Marken- und Regionalchefs zu delegieren. Die Komplexität reicht bis zum Hauptaktionär, der Porsche Automobil Holding SE, wo Pötsch als CEO und bisher Müller als Top-Manager fungiert.
Mit Müller umfasst der VW-Vorstand neun Personen, die vom Einkauf über die Rechtsabteilung bis hin zu Finanzen und Personalwesen zuständig sind. Auch Audi, die Marke VW, der Lkw-Bereich und die chinesischen Aktivitäten des Konzerns sind im obersten Führungsgremium von Volkswagen vertreten.
Börsennotierte Unternehmen in Deutschland haben zwei Führungsstrukturen: eine besteht aus dem Vorstand um den Vorstandsvorsitzenden herum und einem Aufsichtsrat, der zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern und Mitgliedern der Kapitalseite besteht, um eine gleichmässige Verteilung der Interessen zu gewährleisten. Volkswagen ist komplexer als die meisten seiner Konkurrenten: Die Porsche-Piech-Familien und das Land Niedersachsen, in dem sich der Hauptsitz des Unternehmens und das VW-Hauptwerk befinden, kontrollieren den Hersteller zu 20 Prozent.
Während Müller ein lebenslanger VW-Veteran ist, machte er manchmal eine unbehagliche Figur im Spitzenjob. Das zwang ihn dazu, die oft widersprüchlichen Forderungen von wütenden Autobesitzern, verärgerten Investoren, gut organisierten Arbeitern und Staatsbeamten mit ihren eigenen politischen Agenden zu bewältigen.
In den vergangenen Wochen kam es zu Spannungen zwischen Müller und der niedersächsischen Führung, die im Aufsichtsrat vertreten ist. Müller sagte dem «Spiegel» im März, er «mag es nicht, wenn sich Politiker in mein Geschäft einmischen» und verglich eine Diskussion über eine Gehaltsobergrenze für Führungskräfte mit dem repressiven System der ehemaligen DDR. Die Gesamtvergütung von Müller betrug im vergangenen Jahr mehr als 10 Millionen Euro.
(me, mit Material von Bloomberg)