Der Kranz der Vorschusslorbeeren war üppig geflochten. Nichts weniger als «pure Schweizer Alpennatur» wurde versprochen, kein gewöhnliches Süssgetränk, sondern eines mit «besonderem Kräutergeschmack». Der Absenderin dieser Werbesalve wäre eine solche Erfrischung wohl auch zuzutrauen gewesen. Sie hiess: Ricola.    

Der weltweit bekannte Kräuterbonbonproduzent aus Laufen BL ist im Sommer 2021 drauf und dran gewesen, die grösste Erweiterung seiner Produktpalette zu lancieren. Zwar ist das Unternehmen neben den ikonischen Lutschbonbons («Wer hats erfunden?») länger schon mit Beutel- und Instant-Tee im Geschäft, doch mit dem Projekt Herbling war Grösseres angestrebt. Ein fixfertiges, in Flaschen abgefülltes Getränk, der Einritt in die Liga der Softdrinks. Ein neuer Millionenmarkt für Ricola. Der Markt, wie Profis sagen, für «RTD», Ready-to-Drink-Getränke.    

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Crowdfunding: Nicht nur für unterfinanzierte Underdogs

Zu finden war Herbling aber zunächst nicht in Läden, Online- oder Pop-up-Shops, sondern auf einer Crowdfunding-Plattform. Offenbar schon getrimmt für internationale Märkte, wurden auf Crowdify die Geschmackssorten «Noble Natural», «Luscious Lemon», «Mountain Mint», und «Blissful Berry» ausgelobt. Wenn sich denn genügend zahlende Fans dafür hätten finden lassen. Relativ bescheidene 50’000 Franken wollte Ricola auf diesem Weg auftreiben.

Dass sich ein global tätiger Player eine Innovation zunächst von Fans anschieben lassen wollte, sorgte für Erstaunen. Etwa bei Philipp Zutt: «Für eine bestens bekannte und beliebte Marke ein ungewöhnlicher Schritt. Man fragt sich: Ist Ricola nun eine Weltmarke oder nicht?» Für den Chef der Zürcher Neuromarketing-Unternehmensberatung Zutt & Partner mutete es an «wie ein Selbstschutz vor einem allfälligen Flop – oder wie ein erster zaghafter Versuch auf einem neuen Terrain». Oder, wie es andere Expertinnen und Experten einstufen, wie ein Wurf, dem das Unternehmen selber nicht ganz traut.  

Crowdfunding ist in der Regel eine Finanzierungsvariante, die von ideenreichen Idealisten ausprobiert wird. Musikerinnen, die Fans und deren Geld für einen ersten Tonträger brauchen. Uhrentüftler, die den Planeten mit einem neuen Ticker beglücken wollen, aber knapp bei Kasse sind. Oder Hobbygastronominnen, die über die Schwarmfinanz ihr eigenes Restaurant verwirklichen wollen. Crowdfunding-Plattformen sind voll mit solchen Angeboten, die nicht selten Erfolg haben. Über 2 Milliarden Franken, so heisst es im «Crowdfunding Monitor Schweiz» der Hochschule Luzern (HSLU), wurden hierzulande in den letzten 15 Jahren mittels Anzapfen der Schwarmfinanz vermittelt.

Crowdfunding ist aber nicht nur eine Tankstelle für unterfinanzierte Underdogs. Das Mittel der Schwarmfinanz wird in jüngster Zeit öfters auch von grossen Unternehmen wie etwa Procter & Gamble oder Lego angezapft. Das Ziel: neues Publikum zu gewinnen und den Appetit des Marktes auf eine Neuigkeit zu testen. Oft handelt es sich dabei um Markenartikler mit einer riesigen Palette, die via Crowdfunding noch eine weitere Verästelung des Angebots testen – nicht eine historisch bedeutsame Line-Extension.  

Herbling by Ricola Schwarm-Finanzierung

Ein Viererpack an Innovation: So zeigten sich die vier Herbling-Sorten beim Crowdfunding.

Quelle: Crowdify

Aber Ricola? Hatten die Laufentaler wirklich eine Anschubhilfe für ein strategisch ebenso einmaliges wie bedeutsames Projekt nötig? Mangelnde finanzielle Kräuterkraft war bestimmt nicht das Problem. Die «Bilanz» taxiert die Besitzerfamilie Richterich auf ein Vermögen von 350 bis 400 Millionen Franken. Seitens des Unternehmens, das bezüglich Reputation stets mit Bestnoten abschneidet, heisst es: «Das Experiment folgte einem Bottom-up-Ansatz und wurde ohne eine übergeordnete strategische Zielsetzung durchgeführt».  

Herbling mit «riesigem Netzwerk» konzipiert

Im Hintergrund wurde schon früh gefeilt am Einstieg in die Welt der Ready-to-Drink-Produkte. Wie die Ricola-Innovationschefin dem Portal Evecommerce erzählte, sogar mit «einem riesigen Netzwerk». Etwa mit dem schwedischen Lernerfahrungsunternehmen Hyper Island, mit einer Künstlerin in Portugal und der Fachhochschule ZHAW, die beim angestrebten Apérogetränk für das Thema Geschäftsmodell beigezogen wurde.    

Im Falle von Herbling war der Wissensdurst des Publikums lediglich mittelgross. Statt der angestrebten 50’000 Franken läpperte sich beim Crowdfunding nur knapp mehr als die Hälfte zusammen. Zum Schluss blieb der Zeiger für Herbling bei 25’443 Franken stehen. Nicht eben ein Beweis an Vorschussliebe der Ricola-Fans. Als Niederlage will man das bei Ricola nicht verstanden haben. Sondern als Lektion: «Wir wollten dabei lernen und Erfahrungen sammeln in der praktischen Anwendung dieser Methode», heisst es beim Kräuterbonbongiganten, «und dabei wollen wir auch experimentieren, so beispielsweise bei der Vorstellung und dem Markttest unserer Produkte. In diesem Kontext ist auch die Crowdfunding-Aktion für Herbling by Ricola zu sehen.»  

Natürlich hätte Ricola das Projekt auch ohne die externe Anschubfinanzierung von 50’000 Franken weiterverfolgen können. Tatsächlich tauchten zum Jahresende 2021 plötzlich Bilder von Herbling-Flaschen in den sozialen Medien auf. Am elektronischen Ricola-Lagerfeuer regte sich Begeisterung. Aber nur dort. Die Flaschen seien für diejenigen 257 «Booster» bestimmt gewesen, die beim Crowdfunding mit ihrem Geld ins Risiko gegangen waren, wie es beim Unternehmen heisst: «Alle, die am Crowdfunding teilgenommen haben, erhielten ihre jeweilige Bestellung noch vor Weihnachten. Nach der Auswertung ist das Projekt nun abgeschlossen und wird vorerst nicht weiterverfolgt. Dies geschieht mit vielen anderen Ideen auch.»  

Kostengünstige Art, späteren Flop zu antizipieren

Herbling scheint sich also nach kurzem Aufperlen in ein Innovationsabwasser verwandelt zu haben. Was Marketingprofis wie Philippe Zutt etwas irritiert stehen lässt: «Einerseits ist es bewundernswert, wie ein renommiertes Unternehmen auf Startup macht. Aber es wirkt auch etwas dilettantisch, vor allem, wenn es nun wirklich nicht weitergeht mit dem Projekt.» Innovation ist eben immer mit Risiken verbunden. Vor allem für ein Unternehmen, dessen Produkte in aller Munde sind. Möglicherweise, sinniert Zutt, «gewichtet Ricola, in diesem Fall seine Reputationsbedachtheit höher als das Risiko einer Getränkelancierung». Eine andere Beobachterin sieht es so: «Vielleicht war die Crowdfunding-Aktion die charmanteste und kostengünstigste Variante für Ricola, einen späteren Flop zu antizipieren und damit zu verhindern.»

Tatsächlich bringt die Liga der Softdrinks und Apérogetränke zwar oft schnelle Sieger hervor. Aber noch öfter schnelle Verlierer. Dass Herbling früh auf der Strecke blieb, wird bei Ricola als Lernerfolg verkauft. Ein Gewinn ist der rassig verwelkte Kräuterspross aber sicher für alle Institute, die ihre Eleven in Marketing ausbilden. Als Fallstudie.