Vom Bier über Wasser zum Wein: Die Getränke ziehen sich als roter Faden durch die Firmengeschichte der Hess Group, die 1844 mit einer Brauerei in Kirchberg BE begonnen hatte. Bis in die 60er Jahre wurde gebraut, bevor man sich vom Biergeschäft trennte und ganz auf das Mineralwasser setzte. Mit diesem behauptete sich die Hess Group 40 Jahre mit Erfolg, bis sie dann vor anderthalb Jahren ihre Valser Mineralquellen an Coca Cola verkaufte. Das Berner Familienunternehmen sah kaum mehr Chancen, mit den zusehends dominierenden Global Players mitzuhalten. «Wir hätten viel Fremdkapital in die Hand nehmen müssen», so Max Lienhard, VR-Präsident und CEO der Hess Group. Das ist aber nicht nach dem Geschmack der Berner, die jetzt im Weinbau ihre Chance wittern.
Ganz bei Null beginnen müssen die Berner dabei nicht: Mit der Hess Collection Winery im kalifornischen Napa Valley, einem seit 1978 kontinuierlich aufgebauten Weingut, haben sie bereits in Mineralwasserzeiten ein erfolgreiches zweites Standbein aufgebaut.
Expansion nach «Down under»
Zum entscheidenden Schlag auf dem Weg zum «Global Wine Player» holte die Hess Group beim Kampf um die renommierte Peter Lehmann Winery (PLW) im australischen Barossa Valley aus. Sie bewies den längeren Atem als die britische Allied Domecq. Die weltweite Nummer zwei im Handel mit alkoholischen Getränken hatte beim in Sydney kotierten Weingut ein «Unfriendly Takeover» versucht, musste aber schliesslich klein beigeben. Seit November 2003 haben die Berner im Barossa Valley mit einem 85%-Anteil definitiv das Sagen. Rund 125 Mio Fr. haben sie dafür investiert. Trotzdem ist die mit dem Verkauf der Valserquellen gut gefüllte «Kriegskasse» noch nicht leer.
Hundertprozentig im Besitz der Hess Group ist inzwischen auch das südafrikanische Weingut Glen Carlou, an dem diese länger schon eine 50%-Beteiligung hatte. Zusammen mit der vor fünf Jahren gekauften Bodega Colomé im Norden von Argentinien erstreckt sich das Hess'sche Wein-Imperium nun über vier Kontinente. «Zur Strategie gehört es, in allen wichtigen weinproduzierenden Gebieten einen Fuss zu haben.», so Lienhard. Damit sollen Risiken, wie sie Trends und Konjunkturschwankungen mit sich bringen, ausbalanciert werden.
Entgegen kommt dieser Strategie, dass die Weinvielfalt im Zuge der Globalisierung gewachsen ist. Für Kosmopoliten und Weltenbummler ist ein Glas zu Hause ideal, um im Alltag Reiseerinnerungen aufzufrischen. Davon haben vor allem die Weine aus der Neuen Welt in den letzten Jahren profitiert. Jüngst schlägt jedoch das Pendel wieder zurück, nach Europa. Dass der alte Kontinent ein weisser Fleck auf der Weinkarte der Hess Group ist, mag trendmässig ein Makel sein.
«Natürlich würden wir gerne in Italien, Spanien oder Südfrankreich zugreifen, aber das Terrain ist hier besetzter und teurer als in der Neuen Welt», gibt Lienhard zu bedenken. Hier müsste man gegen Investoren antreten, die sich aus Prestigegründen ihre Weingüter wie Schmuckstücke halten.
Das ist nicht Strategie der Hess Group, die mit Wein Geld verdienen will und das Risiko nicht scheut, bei Null anzufangen. Lienhard hütet sich, aus reinen Trend-Überlegungen heraus in Europa sich in ein teures Abenteuer zu stürzen. Wichtiger ist ihm im Moment, die Weingüter in der Neuen Welt weiter zu etablieren. Rund 16,5 Mio Flaschen werden jährlich produziert, womit über 90% des Umsatzes der Hess Group generiert wird. Was genauere Zahlen betrifft, so gibt man sich verschwiegen. Die Aktien werden zu 100% von einer Familienstiftung (einem Trust nach angelsächsischem Recht) gehalten. Einzig die in Sydney börsenkotierte PLW-Tochter gab für 2003 einen Umsatz von 44 Mio Fr. und einen Gewinn von 5,1 Mio Fr. bekannt. Noch bedeutender ist das kalifornische Weingut im Napa Valley. Gesamthaft dürfte die Hess Group mit ihren 400 Mitarbeitern knapp 200 Mio Fr. umsetzen.
Der richtige Riecher
Im Moment befinde man sich in einer Konsolidierungsphase, lässt Lienhard durchblicken. Viele Kräfte absorbiert die Estancia Colomé, die gegenwärtig noch eine Baustelle ist. Der Weinbau, gibt Lienhard zu bedenken, habe seine eigenen Gesetze. Eine Langfristoptik mit klaren Visionen sei wichtig. «Wer bei Null beginnt, muss sich zehn Jahre gedulden, bis er den ersten Qualitätswein verkaufen kann.» Gutes Terrain zu finden und dann hartnäckig und unerschütterlich die Sache durchzuziehen, dafür braucht es Ausdauer und einen besonderen Investor. «Keine börsenkotierte Firma, die alle drei Monate fette Gewinne will, sondern Leute mit Pioniergeist», sagt Lienhard. Es ist klar, dass er dabei an Donald M. Hess denkt. Der 68-Jährige hat seiner Zeit mit der Hess Collection in Kalifornien den richtigen Riecher bewiesen. Obwohl seit drei Jahren offiziell Pensionär, ist er noch immer die Galionsfigur des Konzerns. Seine Leidenschaft gilt jetzt der Bodega Colomé, die er wieder auf Vordermann bringen will.
Für Lienhard sind Figuren wie Hess oder auch Peter Lehmann ganz entscheidend fürs Marketing. «Alle erfolgreichen Brands basieren auf solchen Pionieren», betont er und spricht von jenen Emotionen, die beim Wein eine grosse Rolle spielen und letztlich für die entscheidende Marge sorgen. Ein Beispiel dafür sind die kalifornischen Weine, mit denen jetzt nach Jahren des Aufbaus die Ernte eingefahren werden kann.
Gefährlich wäre es, lässt Lienhard durchblicken, sich von solchem Erfolgen zu allzu ungestümem Wachstum verleiten zu lassen. «Wir definieren Mengenziele, die wir nicht überschreiten wollen.» Das Besondere darf nicht zur Massenware werden. Auch mit der Überlegung, dass Liebhaber von edlen Tropfen oft auch die Kunst lieben, liegt die Hess Group offenbar richtig. Donald M. Hess ist einer der grössten privaten Sammler der Schweiz. Seine Baselitz-Kollektion kann gegenwärtig im Kunstmuseum Bern bestaunt werden. Auf den Weingütern in Kalifornien und Südafrika warten eigene Museen auf Besucher. Das grösste ist jetzt in Argentinien geplant, mit dem LandArt- und Lichtkünstler James Turell als zentraler Figur.
Die Kunstsammlung trägt zwar nicht direkt zum Umsatz der Hess Group bei, denn bisher wurde nur gekauft, aber kein einziges Bild verkauft. Aber sie ist Teil eines ausgeklügelten Marketingkonzepts und eine beträchtliche stille Reserve, die wie der Wein mit der Zeit an Wert noch gewinnen dürfte.
Zweites Standbein: 12 Restaurants
Ein zweites Standbein hat die Hess Group in der Gastronomie. In Bern werden über die Tochterfirma Hess AG zwölf Restaurants betrieben. Hinzu kommen über die Blausee AGndie beiden Hotels Blausee und St. Petersinsel. Im Blausee bei Kandersteg befindet sich zudem eine grosse Bioforellenzucht, die jährlich 70 t Fische liefert. Zum Hess-Imperium gehören nicht zuletzt auch verschiedene Liegenschaften, vorwiegend in der Region Bern.