Ich bin ein Berliner!» Dieser an sich lapidare Satz hat noch heute, nach über vierzig Jahren, eine überwältigende Wirkung und lässt Bilder und Gefühle in uns auferstehen, die uns auch nach Jahrzehnten noch packen.
Wie ist so etwas möglich?
Diese Worte wurden von der richtigen Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort gesagt: John F. Kennedy sprach sie als US-Präsident inmitten des Kalten Krieges in einer geteilten, einst stolzen Stadt zu den isolierten Berlinern, umgeben vom «Feind» auf den Wachtürmen, nur ein paar Hundert Meter entfernt.
Eine dramatische Situation, ein einfacher Satz, der heute in jedem Geschichtsbuch zu finden ist, weil er prägnant aussagte: Wir sind für euch, wir sind mit euch, auf uns dürft ihr zählen. Diese Worte erreichten nicht nur die Köpfe, sie erreichten vor allem auch die Herzen der Menschen.
Kommunikation muss zeitgerecht und zielgruppenkonform Fakten vermitteln, Sicherheit schaffen, Initiativen auslösen, vertrauensbildend und integrativ wirken, ehrlich sein, fordern, fördern. Und noch vieles mehr. Ist das utopisch? Oder aber: Wie kann ein derartiger Anspruch eingelöst werden?
Diese Frage beschäftigt mich laufend, und ich versuche sie auf Grund meiner Erfahrungen zu beantworten. In meiner beruflichen Laufbahn vom Forschungsmitarbeiter zum Verwaltungsratspräsidenten und CEO rückte Kommunikation immer stärker ins Zentrum. Ich habe mehrere Grundsätze identifiziert, die für mich wegleitend sind.
Die Hauptaufgabe der obersten Firmenverantwortlichen sind die Entwicklung und Festlegung der Vision und daraus abgeleitet die Strategie für die Positionierung des Unternehmens in der Zukunft. Für deren Umsetzung braucht es die richtigen Persönlichkeiten, charakterlich wie fachlich. Die Strategie ist so gut wie das Tempo und die Qualität ihrer Umsetzung. Und die Implementierung ist ein zeitintensives Business, weil sie nur über die direkte Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern funktioniert, welche die Strategie in die Praxis umsetzen.
Die Frage, wie viel Zeit ich für welche Aufgaben einsetze, ist daher schnell beantwortet: Weit über die Hälfte davon widme ich der Kommunikation – in all ihren Facetten. Für Führungskräfte bedeutet Kommunikation nur zum kleinen Teil Wissensvermittlung, vor allem aber Vertrauen zu erhalten und zu gewinnen. Vertrauen gewinnt man, indem man Visionen und Strategien verstehbar und erlebbar macht, Ziele vorgibt und diese Ziele auch immer wieder offen und ehrlich überprüft.
Das geht aber nur dann, wenn trotz schnellem Wandel genug Konstanten da sind, an denen sich die Mitarbeitenden orientieren können. Unternehmen als «strategische Dauerbaustellen», das lehrt uns die jüngste Geschichte, sind nicht mehr führbar. Die Kommunikation verliert ihre Wirkung und wird bestenfalls als Vernebelungstaktik wahrgenommen: Niemand hört mehr hin, denn morgen gilt vielleicht schon nicht mehr, was heute als wegleitend verkündet worden ist.
Für eine erfolgreiche Laufbahn ist es wichtig zu lernen, was man delegieren kann – und was man nicht delegieren kann: insbesondere Kommunikation.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen von ihrem Vorgesetzten direkt hören, welche Ziele er anstrebt, welche Lösungsansätze er verfolgt. Sie erwarten aber genauso und zu Recht, dass ihr Vorgesetzter ihnen zuhört, ihre Äusserungen und Fragen ernst nimmt und darauf eingeht. Und da mit jeder Führungsstufe die Zahl der direkt und indirekt unterstellten Mitarbeitenden exponentiell zunimmt, nimmt auch das Gewicht der Kommunikationsaufgaben überproportional zu.
Die Strategie und andere zentrale Botschaften für das Gesamtunternehmen müssen von oberster Stelle kommuniziert werden. Mit jeder Delegation an die nächste Führungsstufe geht ein Teil der Botschaft verloren. Die Kommunikation ist Chefsache und muss alle Mitarbeitenden in der Firma erreichen. Deshalb habe ich weltweit bereits mehr als vierzig Werke besucht und über 10 000 Mitarbeitende direkt angesprochen.
Die interne Kommunikation hat für mich wenn immer möglich Vorrang. Selbst bei der Publikation der Finanzresultate trete ich persönlich zweimal im Jahr zuerst vor 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Vorgesetztenfunktion in der Region Basel, bevor ich den Medien und Finanzanalysten zur Verfügung stehe.
Kommunikation ist immer ein Zweiwegprozess. Zuzuhören ist eine der wichtigsten Quellen für neue Einsichten. Keine Berater mit noch so klugen Analysen und Konzepten können einem die Führungsaufgabe abnehmen, ins eigene Unternehmen hineinzuhören.
Dabei ist es wichtig, möglichst viele Stimmen aus allen Führungsebenen, Funktionen und Weltteilen zu einem Bild zu formen, und dies möglichst ungefiltert. Deshalb bewege ich mich meist ohne Begleitung im Unternehmen, führe viele Gespräche ohne die Vorgesetzten der jeweiligen Mitarbeitenden. Und erlebe dabei eine grosse Offenheit Gemeinsame Erfahrungen, gemeinsame Bezugspunkte sind die Basis für erfolgreiche Kommunikation zwischen ganz unterschiedlichen Menschen. Deshalb ist es zwingend, sich stets zu fragen, wer der «Empfänger» ist, welcher Hintergrund, welche Erwartungen bestehen.
Es ist viel von den Ansprüchen an die Sozialkompetenz und auch von emotionaler Intelligenz bei Führungskräften die Rede. Als Mensch aufzutreten, die eigene Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen, auch Ecken und Kanten zu zeigen, hat einen wesentlichen Einfluss auf den Reibungskoeffizienten, auf den Erinnerungswert der Kommunikation.
Kommunikation hängt direkt mit Charisma – dem des «Absenders» – zusammen. Die Menschen merken rasch, ob jemand mit Freude kommuniziert oder ob es eine Pflichtübung ist. Die eigene Überzeugung ist die Voraussetzung, dass der Funke auf die Zuhörenden überspringt.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie wird die Reputation einer Unternehmung mit über 50 Prozent von der Reputation des CEO abhängig gemacht. Und ob dieser als glaubwürdig und integer wahrgenommen wird, ist wiederum eine direkte Folge der Fähigkeit zu kommunizieren. Kommuniation ist matchentscheidend. Ehrliche Kommunikation, die auch schwierige Aspekte nicht ausblendet, ist ebenso wichtig wie Konsistenz und Nachvollziehbarkeit.
Es ist die Aufgabe des CEO sicherzustellen, dass die Kommunikation des Managements synchron und widerspruchsfrei ist. Verschiedene Meinungen vor dem Entscheid sind erwünscht; nach dem Entscheid sind unterschiedliche Auffassungen aber nur noch verwirrend. Erfolgreiches Umsetzen erfordert ein geschlossenes Auftreten des Topkaders in der Sache.
Sorgfältige Abstimmung der Kommunikation ins Unternehmen, zu den Medien wie auch zu den Investoren und Aktionären ist sehr wichtig. Die Kommunikation darf keine Widersprüche aufweisen, muss aber zielgruppenkonform nuancieren.
Kommunikation in schwierigen Zeiten ist wichtig und erheblich anspruchsvoller als in guten Zeiten. Medien, Analysten und Investoren, aber auch Mitarbeitende werden skeptisch, wenn in schwierigen Zeiten der Kommunikationsfluss versiegt. Natürlich ist es angenehmer und faszinierender, über Erfolge zu berichten, aber die Kommunikation über vielleicht unpopuläre Schritte ist nicht nur anspruchsvoller, sondern auch wichtiger.
Kommunikation verlangt Reduktion von Komplexität, die Konzentration auf das Wesentliche.
Eine Botschaft soll daher einfach sein, damit man sie versteht. Sie soll aber nicht simpel sein, weil sie sonst den Wert und den Effort mindert, den es braucht, um eine Botschaft umzusetzen. Und selbst die einfachsten Inhalte lassen sich nur erfolgreich kommunizieren, wenn man sie wiederholt. Man muss unablässig gewisse Grundaussagen mit aktuellen Inhalten verknüpfen. Nur so kommt die Botschaft an.
Meine Erfahrung ist, dass all die wirklich Grossen unserer Geschichte, die als begnadete Kommunikatoren zu bewegen vermochten, etwas gemeinsam hatten: die Freude am Wort, aus dem bekanntlich Taten werden können, und die Liebe zu oder die Achtung vor den Mitmenschen, aus denen allein das Wir-Gefühl entstehen kann, mit dem sich wiederum bekanntlich Berge versetzen lassen.
Armin Meyer (54) ist Präsident des Verwaltungsrates und CEO der Ciba Spezialitätenchemie und Mitglied des Verwaltungsrates der Zurich Financial Services. Der promovierte Ingenieur (Dr. sc. techn.) war während zwölf Jahren nebenamtlich Titularprofessor an der ETH in Zürich. Armin Meyer ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern.