Konsumenten des mittleren Marktsegments greifen immer öfter zu Qualitätsmarken, vor allem bei den so genannten «neuen Luxusgütern», bei Lebensmitteln, Getränken und Autos. Dies stellten Michael Silverstein und Neil Fiske in ihrem kürzlich erschienenen Managementbestseller «Trading up: the American Luxury» fest. Doch daneben hat fast unbemerkt ein zweiter Umschwung stattgefunden, der den gesamten Markt für Luxusartikel betrifft, von Bulgari-Uhren bis zum Schmuck von Cartier.

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Eine Studie von Bain & Company, in der jüngst 170 Luxusmarken in den Bereichen Mode, Parfümerie, Lederwaren, Schmuck, Uhren und Brillen analysiert wurden, hat Folgendes ergeben: Das Wachstum der Luxusindustrie ist nach sieben Jahren stetiger Steigerung mit jährlichen Zuwachsraten von etwa zehn Prozent zum Stillstand gekommen. Im Jahr 2002 wurde mit einem Gesamtumsatz von 132 Milliarden Euro ein Höhepunkt erreicht, der schwer zu übertreffen sein dürfte. Dies muss nicht weiter schockieren, wenn man zwei Tatsachen in Betracht zieht: Erstens ist das weltweite Wirtschaftswachstum generell zurückgegangen, und zweitens sind die wichtigsten Wachstumsmärkte für Luxusgüter vom Einbruch der Tourismusindustrie besonders betroffen – namentlich internationale Flughäfen und die Ein- kaufsmekkas für Luxusartikel.

Die Studie von Bain & Company hat jedoch gezeigt, dass neben dieser Wachstumsflaute ein tief greifender Wandel im Konsumentenverhalten stattfindet, der sowohl die Hersteller als auch den Vertrieb von Luxusgütern aufrütteln sollte. Wichtigste Feststellung: Luxury goes local.

Die Attentate vom 11. September 2001 haben eine Trendwende ausgelöst. Vor diesem Schlüsselereignis wurden Luxusgüter, insbesondere in Europa, mit Vorliebe im Rahmen von Tourismusreisen erworben. In den grossen europäischen Städten waren über 60 Prozent der Käufer von Luxusartikeln Ausländer. Heute ist der Tourismus stark zurückgegangen und damit auch der Anteil der Reisenden unter den Kunden von Qualitätsmarken. Entsprechend müssen Hersteller und Vertreiber von Markenprodukten ihre Strategie anpassen. Es empfiehlt sich, einerseits mehr Augenmerk auf die einheimische Kundschaft zu richten, die in der Vergangenheit unter Umständen etwas vernachlässigt wurde. Anderseits muss man versuchen, die Kunden, die früher als Touristen in Erscheinung traten, an ihren Heimatorten zu erreichen.

Bester Beweis dafür sind die Finanzresultate jener Unternehmen, die frühzeitig auf den Wandel im Markt reagiert haben. Die Avantgarde konnte Verluste mindern, indem sie vermehrt auf die lokalen Märkte setzte. In manchen Fällen war diese Strategie pures Gold wert. Das Wachstum kam für Unternehmen, die vor allem auf Touristenströme setzten, im Jahr 2002 zum Erliegen. Firmen hingegen, die stark im lokalen Markt verwurzelt waren, wiesen immerhin noch Zuwachsraten von 3,1 Prozent auf (gegenüber 7,5 Prozent in den vorangehenden Jahren).

Der gleiche Effekt lässt sich auch in der regionalen Entwicklung der Verkaufszahlen beobachten. In den USA, wo die Luxusindustrie vor allem den Touristenströmen folgt, verzeichnete der Umsatz einen Rückgang um vier Prozent, während er in Europa, wo viele Marken lokal hergestellt und vertrieben werden, einen Zuwachs um drei Prozent erreichte.

Kundennähe ist die wichtigste Voraussetzung geworden, um auf den Pfad des Wachstums zurückzukehren. Während der Kunde sich früher damit begnügte, eine Marke oder ein Produkt zu kaufen, wünscht er heute Service, Innovation und besondere Events. Er will sich mit der Marke, der er sein Vertrauen schenkt, verbunden fühlen und auch zum Verkäufer hinter dem Tresen eine Beziehung aufbauen.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Vertriebsstrategie? Wenn man bedenkt, dass die Luxusmarken sich im letzten Jahrzehnt vor allem auf die Schaffung internationaler Vertriebsnetze konzentriert haben, um ihre Produkte zu verkaufen und ihre Marken zu bewerben, so muss dieses Konzept heute neu überdacht werden. Internationale Netze müssen heute eher als «Kette lokaler Läden» verstanden werden, aus denen man ein organisches Wachstum schöpfen kann. Dieser unabdingbare Umdenkprozess stellt die grossen Marken vor einige Herausforderungen, angefangen vom Verkaufspersonal über die IT-Konzepte bis hin zur Preispolitik.

Erstens muss eine Frontline her, die in der Lage ist, grosse Mengen an Kunden- und kulturellen Informationen zusammenfliessen zu lassen. Nur so ist es möglich, in Echtzeit auf neue Trends zu reagieren und sowohl die Dienstleistungen als auch die Produktpalette auf die lokalen Gegebenheiten abzustimmen, womit wiederum das Vertrauen und die Treue der wertvollen lokalen Kunden erobert werden.

Zweitens: Mit Customer-Relationship-Management (CRM) ist es heute möglich, attraktive Kundensegmente zu identifizieren und zu binden. Solche Managementsysteme sind zu einem der wichtigsten Hilfsmittel für globale Marken geworden, wenn sie auf lokale Strategien setzen. Mit einem gut funktionierenden CRM ist es möglich, einen Touristen, der einmal einen Einkauf im Flughafen Changi von Singapur getätigt hat, an seinem Heimatort im Rheinland ausfindig zu machen und ihn zum Beispiel mit der Boutique in Düsseldorf in Verbindung zu bringen. Einige Global Player haben dieses Prinzip verstanden und handeln danach, zum Beispiel Ermenegildo Zegna, Hersteller von Herrenbekleidung im Hochpreissegment mit einem Umsatz von 700 Millionen Euro. Ermenegildo Zegna besitzt Läden von Shanghai über Moskau bis New York und hat CRM eingeführt, um Kunden zu identifizieren und in Zielgruppen einzuteilen. Gleichzeitig wurde ein Prozess in die Wege geleitet, um die CRM-Daten aus dem Vertriebsnetz für die Entscheidungsfindung in den Läden heranziehen zu können. Dieses Projekt, das mit Unterstützung der Firma Bain & Company umgesetzt wurde, erlaubte es, neue, viel versprechende Kundensegmente zu entdecken und die Marketingkonzepte deren Bedürfnissen anzupassen. Es wurden zudem Organisationsstrukturen geschaffen, die es ermöglichen, das CRM in die Businessprozesse einzubetten.

Drittens stellen die lokalen Kunden, wenn man sie denn einmal erreicht hat, wesentlich höhere Ansprüche in Sachen Preispolitik und Produktinnovation. Laut der Studie zeichnet sich der Kunde von heute durch ein individuelles Verhalten aus. Er mixt ohne weiteres Tiefpreisprodukte mit hochwertigen Luxusartikeln und pickt sich aus dem Angebot die Rosinen heraus. Dies hat zur Folge, dass gewisse Produktkategorien noch wachsen, während andere stagnieren oder an Umsatz einbüssen. Zum Beispiel sind Designerbrillen als Einstieg in die Welt der Mode für ein breites Kundensegment erschwinglich – und es greift auch bereitwillig danach. Aus diesem Grund stieg der Umsatz dieser Produktkategorie, bei ansonsten stagnierendem Markt, im Jahr 2002 noch um drei Prozent. Ein weiterer Paradigmawechsel stellt dar, dass immer mehr Männer ihre Kleider und immer mehr Frauen ihren Schmuck selber kaufen und dabei auch öfter zugreifen als früher. Dies führte dazu, dass sowohl Herrenbekleidung als auch Schmuck im letzten Jahr einen Zuwachs von einem Prozent zu verzeichnen hatten, während der Umsatz in verwandten Bereichen rückläufig war.

Summa summarum können die Hersteller und Vertreiber von Luxusgütern wie Zegna, die ihre Produktpalette und ihre Vertriebsstrategie so ausrichten, dass sie mit dem Kunden vor Ort in Tuchfühlung bleiben, optimistisch in die Zukunft blicken. Für jene Marken, die diesen Wandel noch nicht vorgenommen haben, ist es noch nicht zu spät, einen Strategiewechsel ins Auge zu fassen, frei nach dem Motto «Less global, more local». Oder mit anderen Worten: Back to basics.

Ermenegildo Zegna (49) ist CEO der Ermenegildo Zegna Group. Er studierte Wirtschaft an der University of London und ist Inhaber des Bachelor of Science. Dazu kam ein einjähriger Managementkurs an der Harvard Business School. Ermenegildo Zegna ist mit Elena Capüra verheiratet, zusammen haben sie zwei Söhne, Edoardo und Angelo. In seiner spärlichen Freizeit liebt es Zegna, Ski zu fahren, zu golfen und zu reisen.