Dass es so schnell ginge, hatte ich nicht erwartet. 1997 schrieb ich in einem meiner Bücher, dass die Doktrin vom Shareholder-Value und die darauf aufbauende Corporate Governance zu einer neuen Wirtschaftsfeindlichkeit führen würden und zu neuen Klassenkämpfen. Ich schrieb dort auch, dass die Shareholder-Theorie sich als noch kurzlebiger und schädlicher erweisen werde als ihre Vorgängerin, die Stakeholder-Theorie.
Jetzt ist die Kritik voll entbrannt. Sie ist emotionalisiert, wie nicht anders zu erwarten war. Es ist nicht gut, wenn Spitzenmanager frontal angegriffen und zu Objekten populistischer Treibjagden degradiert werden. Es ist jedoch unvermeidlich, wenn Manager Bodenhaftung und Augenmass verlieren und elementare Gesetzmässigkeiten sozialer Systeme dauerhaft verletzen.
Schon ab 2000 zeigten sich als Folge der sinkenden Aktienkurse die ersten Risse im System. Man konnte sie noch ignorieren. Nun setzt die Kapitalismuskritik auf hoher politischer Ebene ein, besonders in Deutschland. Sie wird nicht darauf beschränkt bleiben. Nach den ersten pauschalen Zurückweisungsreflexen, die das alte und in dieser Sache ganz untaugliche Muster von links und rechts bemühten, beginnen auch Arbeitgebervertreter Einsicht zu zeigen. Das Problem lässt sich nicht an Parteifarben festmachen.
Zweifach gefährlich
Kapitalismus ist nicht das passende Wort für das, was kritisiert wird. Wir haben längst nichts mehr, was in einer sinnvollen Weise als Kapitalismus bezeichnet werden kann. Wir haben etwas Schlimmeres, nämlich einen primitiv-vulgären Geldökonomismus, das heisst ein Wirtschaftsdenken, das alles auf nur gerade eine Grösse reduziert, nämlich Geld. Geld – und nicht Kapital – ist es, das Denken und Handeln dominiert. Die Kapitalismuskritik kritisiert etwas, das es nicht gibt. Etwas auch, das diese Kritik gar nicht verstanden hat. Daher besteht die Gefahr, dass die Kritik die wirklichen Probleme nicht trifft. Es besteht aber die weitere Gefahr, dass sie auch jene Dinge kritisiert, die zwar dem Kapitalismus zugeschrieben werden, mit diesem aber nichts zu tun haben.
Was wird mit Recht kritisiert?
Dass Unternehmen Kapital brauchen, werden selbst die schärfsten Kritiker nicht leugnen können. Dass die Schaffung von Kapital durch Investitionen eine der wichtigsten Aufgaben der Wirtschaft ist, auch nicht. Es ist nämlich jene Funktion, die Wachstum und Wohlstand überhaupt erst ermöglicht. Hätten Unternehmen dies wirklich geleistet, würden sie hoch gelobt. In Wahrheit hat eine der grössten Kapitalvernichtungen stattgefunden, zuvorderst in den USA. Dass die US-Nettoinvestitionsquoten in den letzten Jahren die niedrigsten seit dem Zweiten Weltkrieg sind, scheint denjenigen nicht bekannt zu sein, die ebendiese als vorbildlich preisen.
Mit Recht zu kritisieren ist die Vorstellung, dass die Führung einer Firma und die Leistung des Managements ausschliesslich an Geldgrössen zu messen seien, dass die Steigerung des Shareholder-Value der oberste Zweck eines Unternehmens sei und dass die Performance von Unternehmen und Management zuverlässig am Börsenkurs abgelesen werden könne.
Diese Lehre ist genauso einfältig wie das Monopoly-Spiel. Sie kann auch ebenso schnell wie jenes begriffen werden, und daher hat sie sich so schnell verbreitet wie anderer Unfug von gleicher geistiger Anspruchslosigkeit. Kompetente Führungskräfte und erfahrene Unternehmer haben schnell gesehen, dass das alles ein Programm für den Ruin einer Firma ist, und haben daher zugewartet, bis ihre geldgetriebenen Konkurrenten genügend geschwächt waren, damit diese übernommen werden konnten, oder bis diese überhaupt vom Markt verschwanden. Wann hat man schon das Glück, dass sich die Konkurrenz mit neuen und scheinbar ultimativen Managementmethoden selbst zu Grunde richtet? Was müssen wir verteidigen? Nicht diese Art von Finanzkapitalismus.
Liberalismus richtig verstehen
Einsetzen muss man sich für eine Gesellschaft, die dem echten Liberalismus entspricht, nicht der Karikatur des Neoliberalismus. Echter Liberalismus heisst nicht Gewinnmaximierung. Erst lange nach Adam Smith kam die Primitivvorstellung in die Welt, einziges Ziel von Unternehmern sei die Gewinnmaximierung. Der Homo oeconomicus ist bei Adam Smith, entgegen allen unausrottbaren Legenden, nicht zu finden. Aber wer hat schon Adam Smith gelesen, gar im Original?
Der echte Liberalismus schreibt niemandem vor, wonach er sich zu richten hat. Kein echter Liberaler hat je – wie viele Neoliberale es tun – Individualismus mit Egoismus verwechselt. Der Liberalismus ist im Gegenteil das einzige System, das es den Menschen freistellt, sich so zu verhalten, wie sie es wollen, und jene Ziele anzustreben, die sie selbst wählen. Die Vorteile der Marktwirtschaft hängen nicht davon ab, dass sich die Menschen egoistisch verhalten. Jeder darf sich so altruistisch verhalten, wie er nur will.
Echter Liberalismus fordert nicht Gewinn, schon gar nicht Gewinnmaximierung, nicht einmal Gewinnorientierung. Die Marktwirtschaft ist überhaupt nicht durch den Gewinn definiert, sondern durch die Liquidität. Der echte Liberalismus verlangt auch nicht, dass wir alle Ziele der Wirtschaft unterstellen sollen. Niemand hat deutlicher gesagt als der grosse Liberale und Nobelpreisträger Friedrich von Hayek, dass letztlich alle Ziele nicht ökonomischer Natur seien. Wir würden viele einflussreiche Gegner, zum Beispiel Künstler, zu Befürwortern eines freien Wirtschaftssystems machen können, wenn wir von ihnen nicht ständig verlangten, alles der rein ökonomischen Ratio unterzuordnen. Was der Liberalismus aber verlangt, ist, dass jeder für seine Handlungen einzustehen hat. Das muss auch für Manager gelten.
Den Markt richtig verstehen
Man muss sich einsetzen für eine Wirtschaft, deren wichtigstes Regulativ ein funktionierender Markt ist. Dies hat mit Kapitalismus aber nichts zu tun. Funktionierende Märkte gab es, lange bevor es einen Kapitalismus gab; und Kapitalismus in Allianz mit totalitären Regierungen hat regelmässig den Markt ausser Kraft gesetzt. Welcher Kapitalist hat sich schon jemals einen Markt gewünscht? Er musste ihm noch immer aufgezwungen werden, dem Privat- wie dem Staatskapitalismus.
Man darf den Markt nicht überfordern, und man darf den Menschen nicht ständig predigen, die Marktwirtschaft sei das beste aller Systeme. Wer so spricht, tut es aus einer privilegierten Position oder aus Unkenntnis heraus. Das Gegenteil kommt den täglichen Erfahrungen der Mehrheit der Menschen näher. Eine Marktwirtschaft ist brutal, unerbittlich, gnadenlos und im Alltagsverständnis der Menschen ungerecht. Die grossen Liberalen wussten: Die Marktwirtschaft ist nicht das beste System, sondern ein miserables – nur sind alle anderen Systeme noch viel schlechter, wie die Geschichte bewiesen hat.
Der Markt erbringt viele Leistungen nicht, für die er gelobt wird. Wer behauptet, der Markt schaffe ein Maximum an Wachstum und Sozialprodukt, macht einen schweren Fehler. Friedrich von Hayek sagt glasklar: «Das so genannte ‹Maximum›, das wir auf diese (marktwirtschaftliche) Weise erreichen können, kann natürlich nicht als eine Summe bestimmter Mengen von Gütern definiert werden.»
Es ist naiv, wenn Neoliberale sagen, der Markt werde schon alles richten. Der Markt führt keine wirtschaftliche Leistung herbei; er verhindert auch nicht Fehler, er bestraft sie nur; er korrigiert sie auch nicht in einem gebräuchlichen Sinne des Wortes, nämlich rechtzeitig, sondern er mobilisiert die Leichenbestatter, wenn der Patient tot ist. Das sind zu krude Methoden für eine komplexe Gesellschaft. Daher braucht es zusätzliche Mechanismen, um die Schwächen des Marktes zu kompensieren, darunter eine funktionierende Unternehmensaufsicht und richtiges Management.
Unternehmensführung richtig verstehen
Einsetzen muss man sich für eine Unternehmensführung, die nicht an Interessengruppen orientiert ist, seien es Aktionäre oder Arbeitnehmer, sondern am Unternehmen selbst. Ziel muss das gesunde, lebensfähige Unternehmen sein, wofür wir heute die Kriterien sehr genau kennen. Eine Firma, die Gewinne macht, ist deswegen noch lange nicht gesund. Sie kann am Ende sein, auch wenn es sich noch nicht in den Zahlen zeigt. Andererseits steht eine gesunde Firma auch ein paar schlechte Jahre unbeschadet durch, wenn sie vorher Reserven bilden konnte und diese nicht an Aktionäre, Manager oder Arbeitnehmer ausschütten musste.
Im Zentrum eines gesunden Unternehmens steht die Schaffung zufriedener Kunden. Wer Kunden hat, kann immer Aktionäre und Mitarbeiter zufrieden stellen. Wer keine Kunden hat, kann nichts mehr leisten. Kunden besser zu bedienen, als es die Konkurrenz kann, ist der Massstab aller Unternehmensführung.
Privatmanager müssen wissen, dass sie sich immer in der Öffentlichkeit bewegen, auch wenn sie Privatfirmen führen. Sie sind sichtbar, und sie prägen das öffentliche Bild der Wirtschaft, ob sie es wollen oder nicht. Eine wirtschaftsfeindliche Gesellschaft ist kein gutes Umfeld für prosperierende Unternehmen. Wer dies nicht versteht und es nicht genauso ernst nimmt wie Währungskurse oder Rohstoffpreise, wird für sein Unternehmen zum Risiko.
Fredmund Malik (60) ist Inhaber und Verwaltungsratspräsident des Malik Management Zentrums St. Gallen, einer international tätigen Management-Beratungs- und -Ausbildungsorganisation mit 170 Mitarbeitern und Standorten in St. Gallen, Zürich, London und Wien. Malik lehrt seit 1974 Unternehmensführung an der Universität St. Gallen und ist Autor von mehreren Management-Publikationen.