Beim Lesen des Vorabdrucks von «Sturmflug» von André Dosé kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn was ich längst vermutet hatte, wurde nun durch André Dosés Aufzeichnungen bestätigt:
– Die Swissair, die Mitarbeitenden und ich in meiner damaligen Funktion wurden von Dosé und Mario Corti hintergangen und angelogen.
– Alle Bemühungen von Seiten der Swissair zur Verbesserung der Situation der drei Airlines Swissair, Sabena und Crossair liefen ins Leere, weil von Anfang an im Hintergrund die Fäden anders gezogen wurden.
– Die Wahrnehmungen betreffend der Unehrlichkeit der handelnden Akteure haben sich leider bewahrheitet.
Alles, was rund um die Swissair geschehen ist, inklusive der überstürzten Gründung der Swiss, hat mich als Betroffenen wie Tausende anderer Menschen auch sehr berührt. Das Geschehene kann nicht ungeschehen gemacht werden. Nachtrauern nützt nichts, und deshalb habe ich mich bisher bemüht, das Ganze zu überwinden und zu verarbeiten. Der Vorabdruck des so genannten Tagebuchs von Dosé hat mich aber derart aufgewühlt und wütend gemacht, dass ich das Geschriebene nicht unwidersprochen stehen lassen kann.
Ich war seit 1995 Leiter des Flugbetriebs Swissair, als Ende Januar 2001 Philippe Bruggisser abrupt seines Postens als Konzernchef enthoben wurde. Am gleichen Tag wurde ich zu meiner Überraschung vom Verwaltungsratspräsidenten Eric Honegger angefragt, ob ich die Leitung der damaligen Rumpf-Swissair übernehmen wolle. Diese bestand im Wesentlichen nur noch aus dem Bereich Flugoperationen und kleineren, versprengten Teilen – der Rest war in einer Gesellschaft namens Airline Management Partnership (AMP) zusammen mit Sabena ausgelagert. Ich hatte eine neue Aufgabe nicht gesucht, nahm jedoch auf Drängen interner Kreise und aus Verantwortungsgefühl an. Gleichzeitig wurde André Dosé bei der Crossair Nachfolger von Moritz Suter, der neu als Chef der SAirLines mein direkter Vorgesetzter wurde. Suter sagte mir vom ersten Tag an, dass er meine Ernennung zum Chef der Swissair missbillige. Und handelte danach: Er liess mich meine Aufgabe zu keinem Zeitpunkt erfüllen, sodass ich meine Verantwortung nicht wahrnehmen konnte.
Nach mehreren Anläufen auf Stufe Verwaltungsratspräsident ersuchte ich dringend um Klärung der Situation. Eine Besprechung war für den 6. März 2001 zwischen Honegger, Suter und mir vorgesehen. Zu meiner Überraschung erschien Suter nicht, stattdessen wurde mir gesagt, was Suter gefordert hatte: «Entweder Schär oder ich.» Unerwartet für mich, entschied sich Honegger gegen Suter.
Jahrelang hatte die Zusammenarbeit zwischen Swissair und Crossair nie richtig geklappt, das wollte ich mit Hilfe des neuen Crossair-Chefs André Dosé ändern. Wir vereinbarten, gegenseitig Ehrlichkeit und Offenheit walten zu lassen und keine Aktivitäten hinter dem Rücken des andern zu entwickeln. Wir wollten uns miteinander und nicht gegeneinander für die Meisterung der schwierigen Situation im übergeordneten Interesse des Konzerns einsetzen. Aus den nun publizierten Tagebuch-Notizen geht hervor, dass André Dosé entgegen seiner Abmachung mit mir während der ganzen Zeit hinter dem Rücken der Konzernleitung, der Swissair und von mir als Kollege mit Moritz Suter zusammengearbeitet hat.
Im April 2001 übernahm Mario Corti nach dem Weggang von Honegger die Konzernleitung. Er bildete sein Führungsteam um, und neu nahmen Dosé und ich dort Einsitz. Schon nach kurzer Zeit machte ich Corti darauf aufmerksam, dass sich Hinweise häuften, dass auch er, Corti, mit Suter Kontakte pflege und dieser etwas im Schilde führe. Mehrmals konfrontierte ich Corti damit, er wies derartige Hinweise stets als unwahr zurück. Aus den Äusserungen von Dosé geht nun hervor, dass Corti mit Suter trotz gegenteiligen Beteuerungen Kontakte hatte und auch mit dem Crossair-Gründer zusammengearbeitet hat.
Unter der Oberaufsicht von Corti wurde ein Projekt ins Leben gerufen, das zum Ziel hatte, den Flugbetrieb beider Fluggesellschaften betriebswirtschaftlich zu optimieren. Dabei sollten Doppelspurigkeiten eliminiert und die Kapazitäten am Markt ausgerichtet werden. Das hätte zu einem Abbau in Zürich bei der Swissair und auch in Basel bei der Crossair geführt. Die Probleme bei den ausländischen Beteiligungen wären dadurch zwar nicht gelöst worden, das eigene Airline-Haus jedoch wäre bei einem konsequenten Vorgehen in Ordnung gebracht worden. André Dosé lehnte es jedoch ab, dieses Projekt ohne Vorbehalte zu unterstützen. Die Begründung: Die Minderheitsaktionäre der Crossair (deren Anteil unter dreissig Prozent lag) seien nicht bereit, einen derartigen Ansatz zu genehmigen. Corti, immerhin der Chef von Dosé, akzeptierte dieses Verdikt, obschon die SAirGroup die Mehrheit an der Regional-Airline besass. Damit wurde das Projekt zu einem Papiertiger reduziert und war zum Scheitern verurteilt.
Innerhalb der Swissair war bekannt, dass hinter unserem Rücken immer wieder Vorschläge von Crossair, das heisst auch von André Dosé selbst, an Corti unterbreitet wurden. Auch wir von der Swissair präsentierten Verbesserungsvorschläge – wir taten dies jedoch in einem offenen und transparenten Prozess. Am Tag nach den Terroranschlägen vom 11. September sagte ich Corti, dass nun all unsere Bemühungen und Projekte Makulatur seien. Am Tag danach ersuchte ich ihn, dringlich eine ausserordentliche Konzernleitungssitzung anzusetzen. Er tat dies auf mein Drängen hin Tage später, am 19. September. Ich wusste damals nicht, dass Corti an Dosé bereits einen Geheimauftrag erteilt hatte. Somit war dieses Treffen eigentlich eine Farce.
Nach den Terroranschlägen in den USA erarbeitete ich mit meinem Team eine neue Analyse, welche die Operationen von Crossair, Sabena und Swissair auf die neue, dramatisch verschlechterte Lage der internationalen Luftfahrt ausrichten sollte. Sie sah eine Halbierung der Flotten von Swissair und Crossair vor. Meine Überlegungen unterbreitete ich Corti am 20. September.
Über das darauf folgende Wochenende bemühte ich mich bei den Behörden in Bern (EVED, BAZL) im Auftrag von Corti, beim Bund eine Garantie zur Deckung der Terrorrisiken zu erwirken – ähnlich, wie das in den USA auch der Fall war. Nach den Anschlägen vom 9. September hatten die Versicherungen diese Deckung gekündigt oder die Prämien in Schwindel erregende Höhen getrieben, sodass diese praktisch unerschwinglich wurden. Es drohte das Risiko, dass wir den Flugbetrieb wegen mangelnder Versicherungsdeckung ab dem 24. September hätten einstellen müssen. Am Abend des Vortags, einem Sonntag, war eine Sondersitzung des Krisenstabs Swissair im Operations-Center anberaumt. Corti ersuchte mich, vorher bei ihm vorbeizuschauen. Ich ging davon aus, dass er über die Situation und das geplante Vorgehen orientiert werden wollte. Als ich den Balsberg betrat, fand ich Dutzende mir unbekannte Personen vor, jedenfalls niemand aus der Swissair. Corti informierte mich zu meiner Überraschung über den Geheimauftrag und das Projekt «Swiss Air Lines» und dass er Dosé als dessen Leiter einsetzen wolle. Er entschuldigte sich mehrmals und erklärte, Dosé und er würden mich gerne bis auf weiteres als Leiter der Flugoperationen Swissair behalten. Sie hätten volles Vertrauen in mich. Ich erklärte Corti, dass ich kein Vertrauen mehr in ihn hätte und ich daher nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten könne. Folglich, meinte ich, solle er mich sofort von allen meinen Funktionen entlasten. Er bat mich, auch mit Dosé zu sprechen, was ich tat. Auch dieser sprach mir sein Vertrauen aus. Ich erwiderte beiden, dass ihr Vertrauen in mich nichts mehr nütze, denn ich hätte kein Vertrauen mehr in sie, und deshalb sei es für mich unmöglich, weiterhin mit ihnen zusammenzuarbeiten. Am Tag danach wurde ich meiner Funktionen enthoben.
Im darauf folgenden Tohuwabohu ging die Chartergesellschaft Balair/CTA fast vergessen. In der Folge bemühte ich mich in Absprache mit dem Sachwalter der Swissair um eine Lösung für die Charter-Airline, obschon ich eigentlich keine Funktionen mehr innehatte.
Von aussen und auf Grund der vielen mir zugetragenen Informationen nahm ich auch das Grounding etwas anders wahr, als dies André Dosé beschreibt. Aber das ist eine weitere, andere Geschichte.