Hiestand: Mit dem Abgang des Gründers Fredy Hiestand ist eine neue Ära angebrochen. Konzernchef Wolfgang Werlé und Verwaltungsratspräsident Albert Abderhalden wollen nicht weiter ins Detailhandelsgeschäft einsteigen.

Wie viele Gipfeli haben Sie heute bereits verzehrt?

Wolfgang Werlé: Ich habe leider bereits schon einen Butter-, einen Laugen- und einen Rustico-Gipfel gegessen. Das tut natürlich meiner Figur nicht gut, aber es schmeckt halt sehr gut. Ich habe mir immerhin abgewöhnt, auch noch Plunder zu testen, weil ich am Anfang meiner Karriere bei Hiestand 5 kg zugenommen habe.

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So wie Ihnen geht es vielen: Sie nehmen zu viele Kalorien zu sich. Der Trend läuft in Richtung Fitness. Wann kommt das kalorienarme Gipfeli auf den Markt?

Werlé: Wir halten daran fest, unsere Gipfeli mit Butter anzufertigen. Wir werden vielleicht einst kalorienärmere Produkte herstellen. Wir produzieren aber auch Vitalbrote, die leicht verdaulich sind.

Hiestand macht also diese Fitnesswelle nicht mit?

Werlé: Nein, aber der Verbraucher sucht in unseren Produkten nicht das Leichte. Wir kommen dem Trend der Bioprodukte entgegen und erzeugen solche Backwaren. Wir schauen auf Ökologie und tiergerechte Haltung.

Albert Abderhalden: In den frühen 80er Jahren wollten wir Schwarzwäldertorten mit wenig Kalorien herstellen, aber das ist nicht auf Erfolg gestossen.

Wie viel verdienen Sie eigentlich an einem Gipfel?

Werlé: Das sagen wir ungern. Wir verkaufen zu 90% nicht an den Endkonsumenten, sondern an den Zwischenhändler.

Abderhalden: Unser Ebit liegt zwischen 9 und 10% und das entspricht der Wertschöpfung. Im Kaffeehaus zahlen Sie für einen Gipfel 1.20 Fr. oder 1.50 Fr. Wir verkaufen den gleichen Gipfel für 64 Rp. bis 75Rp.

Welche Produktinnovationen haben Sie in der Pipeline?

Werlé: Das möchte ich nicht verraten, weil wir 22 neue Produkte an der Basler Messe IGEHO Ende November vorstellen werden. Sehr erfolgreich waren wir in jüngster Zeit mit unserem Zwirbelbrot. Wir sind stark auf neue Produkte angewiesen.

Weshalb?

Werlé: Diese stehen für einen Umsatzschub. 60% unseres Umsatzes haben wir in den letzten drei Jahren mit neuen Produkten gemacht. Allein letztes Jahr haben wir einen Viertel des Umsatzes mit neuen Produkten generiert. In Deutschland sind wir sehr erfolgreich mit unserem Currywurst-Strudel. Dieser Strudel ist so was von toll. Er tropft nicht beim Abbeissen. Wir setzen auf Produkte, die der Konsument unterwegs verzehren kann.

Bis jetzt war ja Fredy Hiestand der Innovator. Im Sommer hat er seinen Hut als Verwaltungsratspräsident genommen und seine Anteile verkauft.

Werlé: Natürlich war er ein innovativer Bäcker, aber er hat nicht jedes Produkt entwickelt. Wir haben eine Entwicklungsabteilung. Fredy Hiestand war nicht allein der Motor der Entwicklung.

Abderhalden: Ich bin seit 33 Jahren in der Firma und habe zum Beispiel den Gemüsestrudel oder das Schinken-Käse-Croissant entwickelt. Zudem ist Fredy Hiestand seit eineinhalb Jahren nicht mehr aktiv in der Entwicklung bei uns.

Mit seinem Abgang hat sich einiges verändert.

Werlé: Eine neue Ära hat begonnen.

Sind Sie erleichtert?

Werlé: Keinesfalls.

In der Mitteilung haben Sie aber geschrieben: «Ein Highlight im ersten Halbjahr war der Verkauf des Aktienpakets von 22% durch Alfred Hiestand an IAWS.» Das tönt gegenüber Fredy Hiestand nicht sehr positiv.

Werlé: Er hat entschieden, zu verkaufen. Eigentlich haben wir geplant, dass er sich auf die Position eines Chefentwicklers zurückzieht. Das war aber von ihm mehr ein Lippenbekenntnis. Er kann nicht unter jemandem arbeiten. Als er realisiert hat, dass er dem CEO unterstellt ist, hat er sich nicht mehr wohl gefühlt. Für ihn war ein Unternehmen an der Börse eine Bürde. Die Börse ist nicht die Welt von Fredy Hiestand. Er hat auch das Unternehmen in eine Richtung entwickelt, die nicht nur gut war. Wir sind heute noch an Dingen, die wir korrigieren müssen.

Zum Beispiel?

Werlé: Wir haben uns aus den USA zurückgezogen. Das war ein Verlustgeschäft. Den Markt in Singapur müssen wir korrigieren, indem wir Malaysia und Singapur zusammenlegen. Wir müssen unseren Markt in Österreich völlig umstrukturieren. Dort existiert das Backmarktkonzept, das er initiiert hat und überall durchsetzen wollte.

Worin besteht das?

Werlé: Beim Backmarkt wird Produktion, Verkauf, Gastronomie und Grosshandel unter einem Dach vereint.

Und weshalb klappt das nicht?

Werlé: Das ist sehr kapital- und personalintensiv. Zudem sind wir einfach keine Detailhändler. Wir haben keine Kernkompetenz im Betreiben von Shops. Wir haben zwar 40 Shops in Polen und 12 Shops in Singapur. Das ist eine andere Geschichte. Retail heisst, Standorte in Hochfrequenzlagen zu suchen. Mit eigenen Verkaufsgeschäften würden wir zum Beispiel in der Schweiz unsere Kunden, wie Tankstellenshops, Bäckereien oder Coop, konkurrenzieren. Wir wollen uns aber auf unsere Kernkompetenz Produktion, Verkauf Business-to-Business und auf unsere Einkaufskompetenz konzentrieren. Fredy Hiestand aber wollte ins Retailgeschäft gehen, unter anderem ins Confiseriegeschäft. Er wollte Bäckereien übernehmen. Das haben wir im Verwaltungsrat abgelehnt.

Sie werden die Backmärkte also aufgeben?

Werlé: Wir werden sicher keine neuen eröffnen. In Österreich sind wir aber mit einem Acht-JahresVertrag an den Standort gebunden. Wir müssen schauen, dass wir dort auch mal Gewinn erzielen.

Und weshalb halten Sie am Retailgeschäft in Polen fest? Das läuft ja nicht gut.

Werlé: In Polen mussten wir die Marke Hiestand unterstreichen und haben dort vor zwei Jahren die Firma Fleury Michon gekauft, die neben einer Produktionsstätte in Krakau über 50 Läden in Polen verteilt besass. Die werden im Moment umpositioniert und werden die Marke Hiestand im Brand aufnehmen. Wir werden aber dort keine weiteren Läden eröffnen und haben verlustbringende Läden abgestossen. Im Übrigen laufen die Läden innerhalb unserer Erwartungen mit positiver Tendenz.

Was bedeutet die neue Ära?

Werlé: Die neue Ära heisst: Fokussierung auf Kernkompetenzen und Kernsortimente der Produktion. Bevor wir die neue Ära eingeläutet haben, haben wir alles produziert, von der Wähe über Patisserie, Schokolade bis zu den Donuts. Solche Produkte werden wir nicht mehr fabrizieren. Wir kaufen aber solche Produkte ein und liefern sie unseren Kunden zusammen mit unseren Premium-Produkten direkt ins Haus. Wir sind unschlagbar bei den Gipfeli, den Spezialbroten und Brötli, Plundern und Snacks. In unseren Produktionsstätten konzentrieren wir uns auf diese Kernsortimente. Alles das, was andere besser können, zum Beispiel Pralinen, Patisserie und Torten herstellen, lassen wir von anderen anfertigen.

Die irische IAWS ist mit 22% eingestiegen. Was bringt Ihnen das?

Werlé: Die IAWS ist unheimlich stark in Irland, England, den USA und Kanada. Sie produziert nur ein Produkt, das Baguette, alles andere handelt sie. Nun verkaufen wir unsere Verkaufsorganisationen in England an IAWS. Wir können die Verkaufsorganisationen der IAWS in Nordamerika für unsere Produkte brauchen.

Wird die IAWS Hiestand einmal ganz übernehmen?

Werlé: Kurz- und mittelfristig sicher nicht. Was in fünf Jahren passiert, können wir nicht sagen.

Sie wollen geografisch noch weiter expandieren. Die geografische Diversifikation erweist sich heute als Nachteil, da verzettelt man sich und besitzt in den meisten Märkten eine unterkritische Grösse.

Werlé: Wir haben Korrekturen vorgenommen und sind aus den USA ausgestiegen.

Aber dort steigen Sie ja wieder ein.

Werlé: Aber komplett anders. Wir hatten dort eine eigene Organisation, eine eigene Verkaufsmannschaft, eine eigene Logistik. Jetzt wollen wir nur noch unsere Produkte dorthin exportieren. Alles andere überlassen wir IAWS. Wir bereinigen nun England. Und auch das Irlandgeschäft wird in die Hände von IAWS gelegt. Asien ist aber nach wie vor wichtig für uns: Japan ist der drittgrösste Markt mit 21 Mio Fr. Umsatz, wo wir aber nichts produzieren. Wir wollen in Zukunft nicht mehr eigene Verteilorganisationen in neuen Ländern aufbauen, sondern nur noch an Grosshändler liefern wie etwa in Australien und in den Mittleren Osten. Wir wollen auch nach Russland liefern. Unser Ziel ist es, 1 Mrd Fr. Umsatz bis 2010 zu erreichen.

Auch in Ihrem grössten Markt, der Schweiz, wollen Sie expandieren.

Werlé: Wir bauen zusammen mit Coop eine Produktionsstätte in Dagmersellen, an der Hiestand 60% und Coop 40% beteiligt ist. Ab 2005 wird Coop alle Tiefkühlbackwaren von dort beziehen. Coop wird seine eigene Produktion einstellen. Das wird uns einen Produktionsumsatz von 60 bis 70 Mio Fr. bescheren.

Der deutsche Markt entwickelt sich erstaunlich positiv. Weshalb?

Werlé: Dort führen wir eben keine Läden. Wir wachsen in Deutschland sehr schön, während der traditionelle Backwarenmarkt um 12 bis 20% schrumpft.

Sind Sie für ein Unternehmen an der Börse mit einem Umsatz von rund 300 Mio Fr. für 2002 nicht fast zu klein?

Werlé: Wir bewegen uns bezüglich der Grösse sicher an der Grenze. Aber die Börse bringt uns viel. Wir kommen besser zu Talenten. Wir sind als börsenkotiertes Unternehmen für Führungskräfte attraktiver.

Abderhalden: Ich sehe nur Vorteile. Vorher wirkte Fredy Hiestand wie ein Zauberlehrling, der sehr initiativ war, der aber auch sehr viel Macht ausübte und Angst bekam, die Übersicht als CEO und VR-Präsident zu verlieren.

Profile:Steckbrief

Name: Wolfgang Werlé

Alter: 55

Wohnort: Zumikon

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Karriere

19921995 Geschäftsführer Gate Gourmet

19962001 Mitglied Swissair-Konzernleitung, Leiter SairRelations

2001 CEO Hiestand Steckbrief

Name: Albert Abderhalden

Alter: 59

Wohnort: Zürich

Familie: Verheiratet, ein Kind

Karriere

Seit 1970 zusammen mit dem Gründer Hiestand aufgebaut. Heute grösster privater Aktionär.

Seit 2003 Präsident des Hiestand- Verwaltungsrates

Hiestand Letzter Kurs: Fr. 440

FAZIT Nach dem Einstieg der irischen Nahrungsmittel-Gruppe IAWS eröffnen sich für Hiestand grössere und neue Absatzmärkte in England, Irland, den USA und Kanada. Mit der Konzentration auf ihre Kernkompetenz stärkt sie die Kräfte für den Gipfelsturm.