Er ist einer derjenigen, die die Schweizer Industriegeschichte der vergangenen Jahrzehnte mitgeschrieben haben und immer noch mittendrin sind. LafargeHolcim-Verwaltungsratspräsident und Anwalt Beat Hess (70) hat drei multinationale Unternehmen durch Fusionen, zermürbende juristische Prozesse und Krisen geführt. Die letzte Krise ist noch nicht ganz überwunden.
Sie zogen die Fäden bei den Grossfusionen von Asea mit Brown Boveri zu ABB sowie von Lafarge mit Holcim. Wer war einfacher, die Schweden oder die Franzosen?
Beat Hess: Die Geschwindigkeit, mit der die Fusion mit den Schweden umgesetzt wurde, hat vieles einfacher gemacht. Konzernchef Percy Barnevik hat das Heft am ersten Tag in die Hand genommen und noch während den Verhandlungen alles aufgegleist. Es ging dann sehr schnell.
Das können Sie von Frankreich nicht sagen.
Bei LafargeHolcim gab es am Anfang ein paar kulturelle Schwierigkeiten und Differenzen zu überwinden. Konzernchef wurde nicht der Vorgesehene, dann kam es zu Wechseln im Verwaltungsrat. Dies führte zu Verzögerungen. Das wünscht man sich nicht, wenn man eine Fusion effizient umsetzen will. Aber die wichtigste Fusion, die ich begleitet habe, war die beim Mineralöl- und Gaskonzern Shell (die britische Shell Transport and Trading fusionierte mit der holländischen Royal Dutch; Anm. d. Red.).
Der in Genf und den USA ausgebildete Obwaldner Jurist Beat Hess (70) übernahm das Verwaltungsratspräsidium von Lafarge Holcim 2015 mitten in der Krise. Schwierige Fusionen erlebte er bereits als Chefjurist bei BBC Brown Boveri (später ABB) sowie bei Royal Dutch Shell von 2003 bis 2011. Heute ist er zudem Vize-Verwaltungsratspräsident von Sonova sowie Verwaltungsrat bei Nestlé.
Aller guten Dinge sind drei. Oder planen Sie eine vierte Fusion?
Nein, ich glaube nicht. Jede der Fusionen war auch mit grossen Krisen verbunden. Bei ABB hatten wir Klagen wegen Asbest, bei Shell wegen der falschen Deklaration von Öl- und Gasreserven – das war eine grosse Krise.
Welche Fusion fanden Sie am schwierigsten?
Am schwierigsten finde ich es, wenn eine Fusion den Angestellten Unsicherheit bringt. Wenn die Angestellten nicht zufrieden sind, kann es dem Unternehmen nicht gut gehen.
Nach Sparkurs und Personalabbau ist LafargeHolcim wieder auf Wachstumskurs. Gibt es jetzt einen Ausbau?
Ja, wir möchten nun weiter wachsen. Meine Hauptaufgabe war es am Anfang, Ruhe in das Unternehmen zu bringen, die Kulturen zusammenzuführen. Gegen 80'000 Mitarbeiter in 80 Ländern weltweit in eine Organisation zu bringen, war eine grosse Aufgabe.
Trotz der Erholung des Konzerns bleibt ein kleiner Schönheitsfehler – der hohe CO2-Ausstoss. Was unternimmt LafargeHolcim dagegen?
Es ist nicht «ein kleiner Schönheitsfehler». Für uns hat es im Moment oberste Priorität, den CO2-Ausstoss unserer Produkte zu senken. Seit 1990 haben wir den CO2-Ausstoss pro Tonne Zement bereits um 25 Prozent verringert. Wir verwerten zudem sehr viel Abfall für unsere Zementöfen. Wir machen sehr viel, aber genug macht man nie.
Seit neustem bieten Sie Zement und Beton an, deren Gesteinsinhalte bei der Erhitzung weniger CO2 verusachen als herkömmliche. Wie läuft der Verkauf?
Der Umsatzanteil dieser Produkte ist noch zu klein, wir wollen ihn erhöhen. Doch auch die Bauindustrie muss weltweit mitspielen. Diese denkt zwar auch um und ist offen für Produkte mit weniger CO2-Ausstoss. Aber sie schaut auch auf die Kosten. Wahrscheinlich ist Zement in vielen Ländern noch zu günstig. Darum haben wir auch immer eine Regelung befürwortet, die CO2 einen fairen Preis gibt.
Also eine CO2-Steuer?
Wir finden, dass der CO2-Ausstoss etwas kosten soll. Das ist noch nicht in allen Ländern der Fall.
Nehmen Ihre Kinder an den Klimastreiks teil und haben Sie Verständnis für die jungen Menschen, die auf die Strasse gehen?
Ich lehne jede Form von Gewalt ab. Meine Kinder nehmen an keinen Demonstrationen teil. Aber das Thema wird bei uns diskutiert. Mir macht die Verwüstung der Ozeane mit Plastik enorme Sorgen. Am liebsten würde ich allen Plastik aus den Weltmeeren sammeln und in unseren Zementöfen verwerten.
Wie umweltfreundlich ist es, Plastik zu verbrennen?
Es handelt sich dabei um Plastik, der nicht mehr recycelt werden kann. Dieser Plastik wird in unseren Öfen ohne Rückstände verwertet. Unsere Tochterfirma Geocycle ist darauf spezialisiert, Stoffe – auch Chemieabfälle – in den Zementöfen unschädlich zu machen.
Sie haben schon mehrere Prozesse erlebt. In Paris läuft eine Untersuchung wegen Terrorismusfinanzierung durch Lafarge in Syrien. Wie erleben Sie den Fall?
Bei ABB und Shell war ich operativ mittendrin und habe das auch geleitet. Heute als Präsident des Verwaltungsrats habe ich eine andere Rolle. Der Syrien-Fall ist für mich unangenehm, weil er eine starke moralische Komponente hat. Die Situation wurde damals falsch eingeschätzt. Angestellte bezahlten offenbar bei Strassenblockaden, um zur Fabrik zu gelangen. Doch wir konnten nie herausfinden, wohin das Geld geflossen war.
Erwarten Sie, dass die Untersuchung gegen LafargeHolcim eingestellt wird, wenn im Oktober über die Einsprachen entschieden wird?
So einfach wird es nicht sein. Das Gericht wird in erster Linie entscheiden müssen, ob wirklich Verletzungen von Menschenrechten vorliegen. Dann gibt es technische Fragen, zum Beispiel ob eine Firma überhaupt für eine solche Verletzung eingeklagt werden kann. Das liegt in den Händen des Gerichts.
Wenn nochmals Wegzölle an Ihr Unternehmen herangetragen würden, was würde passieren?
Da gilt heute Nulltoleranz. Wir sind in teilweise schwierigen Ländern tätig. Ich kann nicht naiv behaupten, man habe immer zu jeder Tag- und Nachtzeit jeden Mitarbeiter unter Kontrolle. Aber wenn irgendetwas auf den Tisch kommt, das unsere Regeln verletzt, dann heisst es für die Schuldigen, dass sie uns verlassen müssen. Wir akzeptieren das nicht. Das sind nicht nur moralische Überlegungen.
Sondern?
Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass eine Person im Unternehmen die Existenz eines ganzen Unternehmens mit 80'000 Mitarbeitern gefährden kann. Das wollen wir nicht. Heute haben wir eine Hotline und anonyme Meldemöglichkeiten. Wir sind sehr sensibilisiert und gehen allem und jedem nach.
Wieso sind Sie gegen die Konzernverantwortungs-Initiative?
Die Initiative ist eine gigantische Absurdität, die unseren Wirtschaftsstandort enorm schwächen wird. Ich habe nichts dagegen, dass die Schweizer Unternehmen für Schäden im Ausland verantwortlich gemacht werden. Aber das werden sie ja heute bereits. Shell oder auch LafargeHolcim werden im Ausland immer wieder eingeklagt.
Dann müssten Sie die Initiative ja nicht befürchten ...
Es wäre arrogant von der Schweiz zu sagen, nur wir können entscheiden, ob im Ausland Menschenrechte verletzt werden oder der Umwelt geschadet wird. Ich kenne sehr hochstehende Urteile aus Drittweltländern, die auch gegen uns waren. Trotzdem mussten wir «Chapeau» sagen, weil sie den Sachverhalt professionell abgeklärt und das Recht angewendet haben. In Holland und England etwa wurde Shell wegen der Verletzung von Rechten von Fischern im Niger-Delta verurteilt.
Wo sehen Sie Risiken für die Schweiz?
Nichtregierungsorganisationen werden in diesen Ländern herumreisen und Unterschriften sammeln gegen LafargeHolcim, Nestlé oder andere und klagen. Die Schweizer Gerichte werden bis ans Limit belastet. Manchmal möchte ich diese Initianten in eine Verwaltungsratssitzung als Beobachter einladen, damit sie sehen, wie sensibel man heutzutage ist.
Dieser Artikel erschien zuerst beim «Blick» unter dem Titel: «CO2 soll was kosten».