Die Klassiker von Le Corbusier kennt jeder: Recamière, Sessel, Stühle, Tische, Regale ... Hinter ihnen steht nicht allein der grosse Architekt: Charlotte Perriand, die 1999 im Alter von 96 Jahren starb, gehörte zusammen mit Corbusiers Vetter, Pierre Jeanneret, zum Entwerfer-Trio. Dass dies nicht ihre einzige gestalterische Leistung war, wird heute breiter bekannt. Auch einige Bücher beschäftigen sich jetzt mit ihrem Lebenswerk.

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Seit Jahrzehnten geben die berühmten «LC-Möbel» dem Käufer die Sicherheit, keinen Fehler zu machen. Sie sind die Ikonen des guten Geschmacks. Im Jahre 1928, einer Zeit, wo vielerorts an innovativen Einrichtungen gearbeitet wurde, entstanden sie. Seit den 1960er Jahren werden sie beim italienischen Möbelunternehmen Cassina wieder in Serie hergestellt. Als sich 1927 eine junge Innenarchitektin namens Charlotte Perriand im Büro Le Corbusier vorstellte, wies der Meister sie arrogant ab: «Fräulein, wir sticken hier keine Kissen.» Kurz darauf, beim «Salon d'automne», fiel ihm dieselbe junge Frau durch ihre avantgardistischen Entwürfe auf: Eine «bar sous le toit» Möbel aus Nickel, Aluminium und stark farbigem Leder. Jetzt stellte «Corbu» die 24-Jährige sofort ein, als Verantwortliche für den Bereich Möbel und Inneneinrichtung. Daneben war sie «Lehrling» im Bereich Architektur unter Arthur Roth. 1929 sorgten die neuartigen Möbelstücke aus dem Büro Le Corbusier bei ihrer ersten Vorstellung für grosses Aufsehen. Bis 1937 arbeitete die Entwerferin im Büro von Le Corbusier, stellte aber auch immer wieder eigene, freie Entwürfe aus.

Drei Finger an einer Hand

Über Charlottes Anteil an den Klassikern wurde und wird viel spekuliert. Einen unmittelbaren und höchst interessanten Einblick in diese Jahre von Perriands Arbeit vermittelt jetzt ein neues Buch über Charlotte Perriand, das im renommierten Birkhäuser-Verlag in Basel erscheint. Als Herausgeber fungiert der Le Corbusier-Experte Arthur Rüegg, Professor für Architektur an der ETH in Zürich. Er berichtet, sie selbst habe die Arbeit des Entwerfertrios Le Corbusier, Jeanneret, Perriand mit dem Zusammenspiel von drei Fingern an einer Hand verglichen. Kernstück der neuen Publikation ist die Faksimile-Wiedergabe des «Livre de bord», zweier ihrer Skizzenbücher aus den Jahren 1927 bis 1933. Hier sind Protokolle, Entwurfsskizzen und Prospektmaterial, das ihr für die Produktentwicklung wichtig war, gesammelt.

Geniale Ideen ausgeklügelte Technik

Die erstmalige Veröffentlichung des «Livre de bord» weist die Gestalterin als begabte Konstrukteurin aus, die die innovative technische Lösung ebenso wie die ästhetische suchte. Wenn man ihre persönliche Leistung beurteilen und sich aus den Diskussionen um die «Drei-Autorenschaft» an den bekannten Klassikern heraushalten will, braucht man nur die «ganzen» Perriand-Möbel anzuschauen: Sie wurden auf der Möbelmesse in Mailand erstmals wieder vorgestellt. «Ospite» heisst der Tisch «am laufenden Meter». Man zieht ihn stufenlos nach dem Rolladenprinzip aus, so weit wie man ihn gerade benötigt, maximal drei Meter. In diesem intelligenten und durchkonstruierten Entwurf von 1927 stecken alle Eigenschaften von Perriands Einrichtungsideen: Sie sind funktional, alltagstauglich, komfortabel und elegant. Einen weiteren genialen Tisch entwarf Charlotte 1972 für ihr Chalet in den französischen Alpen. Vierzehn Holzbretter sind blattartig so zu einer Tischplatte zusammengefügt, dass mehr Personen daran sitzen können als bei einer herkömmlichen Form; dadurch entsteht zudem eine äusserst interessante Optik, die im besten Sinne schlicht, ländlich und natürlich wirkt.

Westen trifft Osten

Charlotte Perriand blieb immer selbstständig, gründete aber auch Büros mit Kollegen wie Jean Prouvé. Bis ins hohe Alter war die gebürtige Pariserin als Architektin, Innenarchitektin und Designerin aktiv. Ihr Aufenthalt in Japan und Indochina von 1940 bis 1946, teils als Beraterin des Japanischen Handelsministeriums, brachte neue kulturelle Einflüsse. Sie fanden sich beispielsweise in neuartigen Badezimmerentwürfen wieder. Damals schon tat die Französin, was heute en vogue ist: Sie verband die westliche Moderne mit asiatischer Tradition. Heute würde man die Etiketten «Purismus», «Minimalismus» und «East meets West» bemühen. Die multifunktionale Bank und Sitzbank, die 1953 für ihren eigenen Gebrauch in Tokio entstand und jetzt wieder lieferbar ist, belegt dies aufs Beste.

Perriands Werkliste nach dem Zweiten Weltkrieg geht von der Umgestaltung der UNO in Genf in den 1960er Jahren bis zum japanischen Teehaus für die Unesco im Jahr 1993, von Küchenprototypen für Le Corbusiers umstrittene «Wohnmaschine» in Marseille bis zur Botschaftseinrichtung in Beirut und zum Air France-Büro in Tokio. In Savoyen, der französischen Bergregion, die sie so liebte, konzipierte sie riesige Skistationen.

Über achtzig Jahre alt, plante sie «ihre» Ausstellungen noch selbst und mit 94 Jahren entwarf sie ihren letzten Tisch aus Holz und Metall genau siebzig Jahre nach den LC-Klassikern, die heute jeder kennt.