Die Bank Hottinger ist nach fast 230 Jahren Konkurs – ein Einzelschicksal oder Teil des oft zitierten Massensterbens Schweizer Privatbanken?
Bernhard Koye*: Der Konkurs ist ein unmissverständliches Signal für den verschärften Wettbewerb in der Branche. Viele Banken haben es in den vergangenen Jahren verpasst, neue Beratungs- und Ertragsmodelle zu erschliessen.

Wie kommt das?
Es gab über Jahrzehnte kaum echte Differenzierungsnotwendigkeit, das hat viele Branchenplayer träge werden lassen. Nun ist das Bankgeheimnis gefallen und die Erträge der Institute stehen durch die Baisse der Märkte und die Regulierungs- und Steuerstreitaufwendungen so unter Druck, dass die notwendigen Investitionen in zukunfts- und digitalisierungsfähige Wertschöpfungsmodelle nicht mehr vorgenommen werden können. Diese Tatsache stellt vor allem viele kleine und mittlere Institute nun vor die Abgründe ihrer Existenz.

Seit Jahren wird das Sterben von Vermögensverwaltern und Privatbanken prognostiziert. Aktuell halten sich viele aber hervorragend.
Das mag auf den ersten Blick und vordergründig stimmen. Doch hinter den Kulissen herrscht vielerorts Alarmstimmung. Bei so mancher Privatbank endet die Digitalisierung damit, den Kontoauszug dem Kunden als PDF-Datei bereitzustellen. Die Ertragssituation ist schwierig und viele suchen händeringend nach der Antwort auf die Frage, wofür die Kunden auch in Zukunft bereit sind zu zahlen.

Wofür ist der Kunde bereit zu zahlen?
Ich denke, für eine integrierte Beratung, die sich am Lebenszyklus des Kunden orientiert. Die Credit Suisse macht das gut: Dort können Kunden die Beratungsintensität persönlich bestimmen. Im Basispaket gibt es ein Gespräch pro Jahr. Die Intensität kann gegen höhere Gebühren aufgestockt werden. Da liegt es dann am Berater zu überzeugen: Ist er so gut, dass der Kunde ihn nicht nur einmal, sondern viermal pro Jahr kontaktieren will? Auch die UBS ist mit ihren Robo-Advisors auf einem guten Weg, der die technologischen Möglichkeiten als Basis nutzbar macht.

Sie nennen nur die beiden Grossbanken. Und wie sieht es bei den anderen Anbietern aus?
Bei allen Instituten mussten in den letzten Jahren massiv Managementkapazitäten in den Steuerstreit und die Regulierungsaktivitäten gesteckt werden. Das rächt sich nun dort, wo nicht oder nur rudimentär an dieser Neuausrichtung gearbeitet werden konnte. Für alle Banken gilt, dass die Industrialisierung nur die Eintrittskarte ist für den nun beginnenden Prozess der Neuausrichtung in der Vermögensverwaltung.

Also machen UBS und CS etwas richtig?
Die grossen Banken haben ihre Kunden, die Gelder im Heimatland mutmasslich nicht versteuert hatten, im Übergang in die Legalität umfassend begleitet und den Prozess mit ihnen konsequent getrieben. So konnte in vielen Märkten das Gros der Kundengelder auf legalisierter Basis behalten werden. Damit sind also nun auch sukzessive Kapazitäten für den Aufbau von zukunftsfähigen Beratungsansätzen vorhanden.

Wer sich also noch nicht ernsthaft mit der Digitalisierung auseinandersetzt hat, für den ist es zu spät?
Bei den grossen Banken wird die Digitalisierung jetzt mit einer exponentiellen Kraft vorangetrieben. Wer diesen Prozess noch nicht oder nur rudimentär begonnen hat aufgrund der operationellen Herausforderungen und zögerlichem Managementverhalten, der könnte nun den Anschluss verpassen. So gesehen kann das Verschwinden der Bank Hottinger durchaus als Wetterleuchten am Horizont gesehen werden - und als Einladung an das Management aller Privatbanken, die Situation professionell einzuschätzen und zukunftsgerichtete Massnahmen einzuleiten, bevor es zu spät ist.

Wie gross ist die Bedrohung der wachsenden Schweizer Fintech-Szene für die etablierten Firmen?
Die Entwicklung in diesem Bereich ist exponentiell: Vor gerade einmal zwei Jahren gab es in der Schweiz nur eine Hand voll Startups, heute sind es über 120 Firmen, die sich allein hierzulande auf die gesamte Wertschöpfungskette oder auf einzelne Elemente fokussieren und diese deutlich professionalisieren. Die Innovationskraft ist nicht zu unterschätzen - und somit nun auch der Bedarf für alle Banken, hier einen eigenen Weg zu wählen und die eigene Bank, strategisch, strukturell und auch kulturell netzwerkfähig zu machen.

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* Professor Bernhard Koye ist Leiter des Schweizerischen Instituts für Finanzausbildung (SIF) an der Kalaidos Fachhochschule. Er arbeitete als Bereichsleiter bei der Swiss Banking School (heute: Swiss Finance Institute), bei der UBS AG als Leiter des Bereichs «Marktstrategie/Entwicklung» sowie als Projektleiter und Netzwerkpartner bei Königswieser & Network.