So also sieht eine Geheimnisträgerin aus. Hubertine Underberg-Ruder ist ein Energiebündel: Gross, spontan, effizient und nicht misszuverstehen. «Be specific» hatte schon ihre Vorgesetzte an der Universität Tübingen gepredigt. Dort hatte die Mikrobiologin 1990 promoviert. Gemeinsam mit ihren Eltern und drei katholischen Priestern hütet sie das bitter-süsse Geheimnis der Rezeptur des Underberg Kräuterlikörs. Selbst ihrem Mann darf sie es erst nach der Silberhochzeit verraten.
Das klingt nach leicht verstaubter Tradition oder einem cleveren Marketing-Schachzug. Irrtum, denn schliesslich haben viele Nachahmer versucht, den erstmals 1846 mit Kräutern aus 43 Ländern gemixten Magenbitter, aber auch die Verpackung, zu kopieren. Die Underbergs reagierten darauf stets rigoros mit vielen einzelnen Klagen.
«Die Marke darf nicht verwässert werden», an diesen Grundsatz haben sich alle Generationen gehalten. Das geheime Herstellungsverfahren wird «Semper idem» genannt, was so viel heisst wie «stets gleiche Qualität und Wirkung».
Mit 28 Jahren ans Ruder
Emil Underberg, der heute 64-jährige Seniorchef am Rheinberger Stammsitz, wählte 1990 die erst 28-jährige Hubertine als Nachfolgerin unter den vier Geschwistern aus. Bis 2010 soll Hubertine Underberg-Ruder die alleinige Führung der gesamten Underberg-Gruppe übernehmen. Eine Mikrobiologin als Alleinherrscherin? Diese Frage irritiert sie keineswegs: «Wenn ein Chef von Novartis, Ciba oder Sandoz als Arzt oder Chemiker ein Unternehmen führen kann, warum sollte ich nicht auch als Biologin Underberg führen?»
Die Präsidentin des Verwaltungsrates der Underberg Zürich AG, dazu ausgestattet mit weiteren Mandaten von den zur Underberg-Gruppe gehörenden Unternehmen Schlumberger Wien und Zwack Unicum Rt. in Budapest, ist viel unterwegs.
Zu Hause im aargauischen Fricktal braucht es daher ein gut eingespieltes Team, damit bei den vier Kindern, zwei Mädchen und zwei Buben zwischen zweieinhalb und fast 15 Jahren, und im Haus alles rund läuft.
Nicht ohne meinen Mann
In der Underberg AG Zürich spielt Ehemann Franz Ruder, Studienfreund und Biochemiker, dazu mit einem St. Galler MBA und einem Controller-Abschluss versehen, als Direktor für die Bereiche Finanzen und Beteiligungen eine wichtige Rolle. «Er ist gleichzeitig mein Sparringpartner, der mich bei allen wichtigen Entscheidungen auch aus analytischer Sicht berät. Da wird aber auch konstruktive Kritik geübt und werden Höchstleistungen gefordert. Ohne ihn könnte ich dieses Rad nicht drehen», sagt sie klipp und klar.
Die Underberg-Gruppe ist dezentral gewachsen und wird von Hubertine Underberg-Ruder aus diesem Grund auch dezentral geführt, «um die lokale Kultur, sei es in Ungarn, Österreich oder der Schweiz, zu respektieren und damit nahe beim Kunden zu sein».
Bei dem vergleichsweise kleinen internationalen Player spürt sie so schnell die Veränderungen der Branche und kann darauf sofort reagieren. Heute liegt für die Chefin der Underberg Schweiz die Herausforderung darin, auf globale wie auch vermehrt wieder regionale Sehnsüchte zu reagieren. «Die Menschen suchen wieder regionale Produkte, zum Beispiel den Dettling-Kirsch aus Brunnen oder Käse aus dem Appenzell.»
Die 25 Mitarbeiter in der Schweizer Muttergesellschaft dürften Hubertine Underberg als sehr offene Führungsfrau erleben. Sie erwartet, dass man auch mit Fragen oder Kritik an sie herantritt. «Konstruktive Unter-Vier-Augen-Kritik ist besser als zig Coaching-Seminare», betont sie.
Allerdings müsse man selbst mit gutem Beispiel vorangehen, um glaubwürdig zu sein. Das schafft man nach ihrer Meinung am besten mit einer guten Balance zwischen Verantwortung und Humor. Denn wer immer nur ernst ist, nimmt Menschen nur als Mitarbeiter wahr und reduziert sie so.
Sie lässt ihrem Team möglichst viel operative Freiheiten und macht sich Gedanken über Wertewandel und Unternehmungsführung der letzten Jahrzehnte. Ihr Grossvater hatte in den 50er Jahren noch ganz im Zeitgeist der alten Patrons im zerstörten Nachkriegsdeutschland seinen Mitarbeitern Hemden und warme Socken geschenkt und für die Rheinberger ein Schwimmbad bauen lassen, eine Art Vater-Kind-Beziehung also. «Heute wollen Mitarbeiter mit dem Management auf Augenhöhe sprechen und persönliche Erfahrungen einbringen.» Semper idem hat für Hubertine Underberg auch in der Führungsrolle eine spezielle Bedeutung. Sie sieht es gerne wie schon die Generationen vor ihr , wenn Mitarbeiter «eine längere Strecke» mit ihr gehen. Schliesslich ergeben die Kompetenzen langjähriger, gut ausgebildeter Mitarbeiter einen klaren Wettbewerbsvorteil.
Auch die gewünschte Loyalität zum Unternehmen klingt wie ein Begriff aus früheren Zeiten. Besteht da nicht die Gefahr, Kopfnicker um sich zu scharen? Die Antwort von Frau Underberg-Ruder ist eindeutig. Für sie hat Loyalität mit Bindungsfähigkeit zu tun, eine heute seltener gefragte Kompetenz, die aber auf Gegenseitigkeit beruhen muss.
Bezeichnend auch, dass sich die grüne Underberg-Farbe durch viele Bereiche zieht: Vom Corporate Design über die grünen Fenster und Teppiche am Dietliker Hauptsitz bis zur Arbeitskleidung in der Produktion und den Kostümen der Aussendienst-Mannschaften. «Das dient dem Wir-Gefühl, und so ein Potenzial wollen wir nicht mutwillig verschenken.»
Dass die Familie Underberg Mitglied beim Bund Katholischer Unternehmen in Deutschland ist und daher ihre moralische Leitschnur als christlich versteht, ist ein wichtiges Indiz. «Das ist die Basis der Zusammenarbeit, auch für die Mitarbeiter aus anderen Religionen, sonst sind sie am falschen Platz.» Was in einigen Ländern als moralisch akzeptiertes Bakschisch gilt, wird schliesslich in Europa als Bestechung ausgelegt. An diesen Werten soll nicht gerüttelt werden, auch später nicht, wenn eventuell die 6. Generation am Ruder sein wird.
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Zur Person
Hubertine Underberg-Ruder wurde am 17. Juli 1962 in Hamburg geboren. Sie repräsentiert die 5. Generation der Familie Underberg. Nach dem Abitur am Stiftgymnasium Xanten folgte das Biologiestudium in Tübingen. Seit 1991 ist sie Präsidentin des Verwaltungsrates der Underberg Zürich AG, Zürich. Dr. Hubertine Underberg ist verheiratet mit Dr. Franz Ruder und hat vier Kinder.
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Underberg-Gruppe: Starke Marken - starker Umsatz
Unter dem Dach der Underberg AG, Dietlikon, vereint die Underberg-Gruppe alle Beteiligungen. Von besonderer Bedeutung sind die Semper idem Underberg AG, Rheinberg, in der die deutschen Aktivitäten zusammengefasst sind, sowie die Schlumberger AG, Wien. Für den Schweizer Markt ist die Dettling & Marmot AG, Wollerau, verantwortlich. Die Gruppe setzt weltweit pro Jahr mit etwa 1000 Mitarbeitenden rund 500 Mio Euro um. Auf die Semper idem Underberg AG entfällt rund die Hälfte des Umsatzes. Ausserhalb des deutschsprachigen Raums liegt der Schwerpunkt in den Ländern der EU sowie im Duty-Free- und Travel-Value-Bereich.
In Deutschland ist die Marke Underberg Marktleader im Kräuter-bitter-Segment (25,5%). Im Duty-Free-Bereich liegt Underberg weltweit auf Platz 19 von 50 Topmarken. Die Marke Asbach Uralt (Markenbekanntheit in Deutschland 93%) ist gemäss einer Reader's Digest Umfrage zum 4. Mal in Folge «Most Trusted Brand». Marktanteil 35,5% in der Gastronomie, 29,3% im Handel.
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Hubertine Underbergs Führungsprinzipien
1. Wir wollen Kundennähe und überlassen daher die relevanten operativen Entscheidungen den Verantwortlichen vor Ort.
2. Effiziente, straffe Führung, wenig Leerlauf. Straff darf nicht zentralistisch sein.
3. Glaubwürdigkeit vorleben durch Beispielgeben.
4. Konstruktive Kritik zulassen.
5. Menschliche Bindung zu den Mitarbeitern aufbauen.
6. Innere Gelassenheit, Puffer-zeiten einplanen.