Herr Ledermann, mit dem Libor verschwindet Ende 2021 die wichtigste Zahl im weltweiten Finanzsystem. Grosse Fussstapfen, in die es für den SARON zu treten gilt?

So ist es. Jeder nutzt Libor, weil jeder Libor nutzt. Und zwar in Finanzprodukten wie Krediten, Derivaten, aber auch als risikofreier Zins im Accounting oder in Risikomodellen. Allein in US-Dollar basieren Finanzkontrakte in Höhe von circa 200 Billionen auf USD-Libor, wobei der Grossteil auf das Derivategeschäft fällt.

Weshalb muss der Libor weg?

Seine Basis steht auf wackeligen Beinen. Aktuell gibt es den Libor in fünf Währungen und sieben Laufzeiten. Täglich liefert eine ausgewählte Gruppe von Panel-Banken dem Libor-Administrator Zinssätze, welche gemittelt und jeweils um 11.55 Uhr London Zeit publiziert werden. Das grundlegende Problem ist, dass sich Banken seit der Finanzkrise immer weniger – ohne Pflicht zur Hinterlegung von Sicherheiten – Geld für mehrere Monate ausleihen. Die Grundlage des Libor, eben dieses Interbanken-Geschäft, fällt zusehends weg.

Von Panel-Banken wird Objektivität verlangt. Gleichzeitig bauen diese bezüglich der täglichen Eingaben grösstenteils auf Expertenschätzungen. Ein Widerspruch, nicht?

Genau. Folglich wollten sich Panel-Banken vermehrt zurückziehen. Das wäre das Aus für den Libor. Genau dieser Fall wurde jedoch in den allermeisten Verträgen nie spezifiziert. Angesichts des riesigen Volumens wäre dies eine grosse Herausforderung. Also haben sich die Panel-Banken und der Regulator geeinigt, bis Ende 2021 weiterzumachen. Gleichzeitig musste in den fünf Währungen eine Alternative zum Libor gefunden werden.

Was waren konkret die Anforderungen an einen Libor-Nachfolger?

Er muss repräsentativ und robust sein. Will heissen, er muss möglichst auf der Basis von tatsächlich stattfindenden Transaktionen beruhen – unabhängig davon, wie sich der Markt entwickelt.

Und der SARON erfüllt diese Bedingungen?

Das tut er. SARON steht für Swiss Average Rate Overnight. Es ist ein Tagesgeldsatz, der sowohl die tatsächlichen Transaktionen als auch die verbindlichen Preisstellungen des besicherten Geldmarktes im Schweizer Franken widerspiegelt. Die Methodik von SARON gewährleistet Robustheit und Zuverlässigkeit. SIX, das Unternehmen, welches die Infrastruktur für den Schweizer Finanzplatz betreibt und den Informations- und Geldfluss zwischen den hier tätigen Akteuren sichert, fixiert zu Tagesende den Satz. Aber eben, SARON ist ein Tagesgeldsatz und hat sonst keine Laufzeiten wie der Libor.

Dies ist ein fundamentaler Richtungswechsel gegenüber dem Libor.

In vielerlei Hinsicht. Beim Libor haben wir eine einheitliche Methodik. Neu sehen wir unterschiedliche Methoden in den fünf Währungen, aber noch wichtiger: nur noch eine Laufzeit. Denn die relevanten Arbeitsgruppen sind zum gleichen Schluss gekommen, dass die neuen Referenzzinsen Tagesgeldsätze (Overnight) sein werden. Auf der Kreditseite bedeutet dies einen Paradigmenwechsel. Weiss man beispielsweise bei einer Libor-Hypothek bereits am Anfang der Zinsperiode, was man in drei Monaten bezahlen muss, lässt sich dieser Betrag bei der SARON-Hypothek auf den Franken genau erst am Ende der Zinsperiode festlegen.

Wie haben sich Libor und SARON während der Turbulenzen rund um Covid verhalten?

Im Schweizer Franken und noch viel ausgeprägter im US-Dollar hat sich Libor gegenüber den neuen Referenzzinsen verteuert. Dieser Verlauf war zu erwarten und mit der Situation rund um Covid im März konnten wir erstmals die Erwartungen auch bestätigt sehen.

Dann ist der SARON gar besser als der Libor?

Für den Kunden ist der SARON attraktiver und weniger volatil. Während beim Drei-Monats-Libor immer Erwartungen an mögliche Zinsschritte der Zentralbanken eingepreist sind, fällt dies bei einem Tagesgeldsatz weg. Wozu spekulieren, wenn der Satz nur bis morgen gültig ist? Hinzu kommt, dass der Libor das unbesicherte Interbankengeschäft repräsentiert. Wenn Banken sich gegenseitig nur noch gegen hohe Risikoprämien und ohne Sicherheiten Gelder für drei Monate leihen, dann steigt der Libor. Der SARON repräsentiert dagegen den besicherten Geldmarkt. Hier leihen sich die Finanzakteure Geld gegen Sicherheiten. Die Risikoprämie bei einem besicherten Overnight-Geschäft ist deutlich geringer.

So gesehen ein unattraktives Modell für die Bank.

Dies ist mit ein Grund, warum die Diskussionen im USD an diesem Punkt noch weiter kontrovers geführt werden. Einerseits würde der Markt einen wichtigen Indikator für Stress im Interbankengeschäft verlieren. Denn je grösser die eingepreiste Risikoprämie im Libor, desto grösser der Stress. Andererseits verlieren die Banken eine Möglichkeit, die gestiegenen Refinanzierungskosten zeitnah an die Kunden weiterzugeben.

Mit dem SARON als verbindlicher Lösung nimmt die Schweiz im Vergleich zu anderen Märkten eine Vorreiterrolle ein?

Ja. Denn mangels Alternativen war die Lösung relativ schnell klar. Die NAG (Nationale Arbeitsgruppe für Referenzzinssätze in Franken mit Vertretern der Schweizerischen Nationalbank und der Privatwirtschaft) setzte schon früh konsequent auf den SARON.

Wie hat die Tatsache, dass Libor-Hypotheken im Vergleich zu anderen Ländern in der Schweiz ein Mainstream-Produkt sind, diese Arbeit beeinflusst?

Sie zwang uns, vorwärtszugehen. Für die geschätzt 180 Milliarden Franken in Libor-Hypotheken musste eine Lösung gefunden werden. Im ersten Schritt wurden Ende 2018 die Verträge für neue Libor-Hypotheken auf einen möglichen Wegfall des Libor angepasst. Als zweiten Schritt mussten wir das Konzept der rückblickenden Zinsberechnung anwendbar machen. Und hier kamen die Stärken, insbesondere die konstruktive und professionelle Zusammenarbeit, der NAG zum Tragen. Die Schweiz ist derzeit weltweit das erste Land mit einem umfassenden Kreditangebot auf diesen neuen Referenzzinsen.

Alfred Ledermann, 45, stammt aus Immenstadt im Allgäu DE. In seiner Funktion als Head of Lending & Deposit Products vertritt er UBS Schweiz in der Nationalen Arbeitsgruppe für Referenzzinssätze in Franken. Ledermann lebt seit zwölf Jahren in der Schweiz und wohnt mit seiner Frau, zwei Kindern und einer Katze in Feldmeilen. Sport ist seine Qualitytime und der Triathlon seine grosse Passion.

28.10.2020; ZŸrich; Wirtschaft - UBS - Portrait Alfred Ledermann; Portrait von Alfred Ledermann, Leiter Produktmanagement Kreditprodukte bei der UBS,  fotografiert an der Europaallee in ZŸrich. © Valeriano Di Domenico
Quelle: Valeriano Di Domenico
An einem solch historischen Thema mitzuarbeiten muss spannend sein?

Es ist ein Karriere-Highlight! Die Begeisterung dafür spüre ich auch in der NAG oder UBS intern. Ganz besonders stolz bin ich auf die Art, wie wir innerhalb von UBS an die Entwicklung der SARON-Produkte herangegangen sind. Wir gingen im Produktdesign neue Wege, orientierten uns an der Design-Thinking-Methode und testeten wiederholt Prototypen mit echten Kunden. Diese Herangehensweise und das agile, interdisziplinäre Projektteam haben sich mehr als nur bewährt.

Wie sehen die entsprechenden Hypothekarprodukte aus?

Mit UBS SARON Hypothek und UBS SARON Flex Hypothek bieten wir zwei unbefristete Produkte an, welche die Libor-Hypotheken abgelöst haben. Die Zinsbelastung wird am Ende der Zinsperiode auf Basis des Compounded SARON berechnet. Diesen berechnet SIX auf dem Durchschnitt der täglich aufgezinsten SARON-Sätze. Bei beiden Produkten besteht die Möglichkeit, sich gegen steigende Zinsen zu schützen. Innerhalb weniger Arbeitstage kann ganz oder teilweise zu einer mehrjährigen UBS Festhypothek gewechselt werden. Die Flex Variante bietet zusätzlich die Möglichkeit, den Schuldbetrag mehrmals pro Jahr flexibel anzupassen. Das Offering wurde von unseren Kunden sehr gut aufgenommen.

Was heisst die Umstellung konkret für Libor-Hypothekarkunden?

Die Umstellung wird für Privatkunden sehr geordnet und einfach ablaufen. Das Vorgehen ist jedoch nicht bei allen Libor-Kunden, aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen, gleich. Ich rechne damit, dass alle Banken, ähnlich wie UBS, ihre Kunden rechtzeitig und situativ informieren werden.

Anspruchsvoller wird die Umstellung für Firmenkunden.

Wir empfehlen eine frühzeitige Auseinandersetzung. Erfahrungsgemäss müssen neue Verträge von diversen Gremien bewilligt werden. Ausserdem muss abgeklärt werden, wo überall Libor drinsteckt. Oft stehen auch technische Umstellungen an. Wir wissen, dass viele Firmenkunden wegen Covid die Vorbereitungen zurückstellen mussten. Bei UBS ist uns wichtig, dass wir den Dialog mit den Kunden frühzeitig führen können. Dafür haben wir Ende Oktober das UBS Floating Rate Darlehen lanciert, welches in allen fünf relevanten Währungen auf den neuen Referenzzinsen basiert.

Welche Erwartungen stellen Sie an das Übergangsjahr 2021?

Eine entscheidende Komponente fehlt noch immer: Die offizielle Ankündigung, dass der Libor verschwindet. Spannend bleiben zudem die Diskussionen in USD. Es könnte sein, dass die Ablösung des USD-Libor anders laufen wird als in CHF. Wir rechnen aber damit, dass mit dem Franken-Libor per Ende 2021 Schluss ist.

Wie haben Sie als Experte Ihre Liegenschaft finanziert?

Ich wohne zur Miete (lacht). Als ich in die Schweiz kam und nach Feldmeilen gezogen bin, hatte ich keine Pläne, mich langfristig niederzulassen. In der Zwischenzeit sind meine beiden Jungs geboren, gehen zur Schule, spielen Fussball etc. Meine Frau und die Kinder würden aktuell einen Wegzug aus Feldmeilen nie tolerieren. Daher ist ein Eigenheim ein noch nicht realisierter Traum von mir.

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Quelle: UBS