Er kenne «die integrierte Bahn à fond» und sei «in der ÖV-Branche, in der Politik und mit den Sozialpartnern» sehr gut vernetzt: So begründet SBB-Präsidentin Monika Ribar die Wahl von Vincent Ducrot zum Konzernchef der Bundesbahnen. Die SBB bestätigten am Mittag, was zuvor schon herausgesickert war: Vincent Ducrot folgt im Frühjahr 2020 auf Andreas Meyer. Der Direktor der Freiburger Verkehrsbetriebe TPF sei «die ideale Persönlichkeit für die kommenden Herausforderungen, die geprägt seien von einem starken Verkehrswachstum und vielen Bauarbeiten», so die Mitteilung.
Die Wahl war überraschend – alleine schon, weil sich Ducrot selber vermeintlich aus dem Rennen genommen hatte: Er habe keine Ambition, sagte er den «Freiburger Nachrichten» im September – «ich bin zu alt dafür». Auch familiäre Gründe sprächen gegen den Wechsel. Vincent Ducrot ist 57 Jahre alt und Vater von sechs Kindern.
Einmal Bähnler, immer Bähnler
Allerdings war damals auch klar, dass der Bundesbetrieb grosses Interesse am Freiburger hatte – so dass sich TPF-Präsident Georges Godel zitieren liess mit dem Satz: «Ich hoffe, er (Ducrot) erliegt nicht den Sirenengesängen der SBB.»
Tatsächlich könnte man Vincent Ducrot als idealen Konkordanz-Chef des Service-Public-Riesen sehen: Er ist zweisprachig, besitzt einen Abschluss als Elektroingenieur der EPFL und hat vor allem ein Vierteljahrhundert Erfahrung als Bähnler. Er begann seine Karriere in der SBB-Informatik und wurde dann etwas allgemeiner bekannt als ÖV-Delegierter für die Expo02. Seine Aufgabe: Ducrot hatte für die Landesausstellung zwischen Biel, Neuenburg und Yverdon 1'700 Züge für 3,5 Millionen Besucher bereitzustellen.
Von 1999 bis 2011 leitete er dann den Fernverkehr bei den SBB – wobei in seiner Zeit auch der Kauf von über 60 Doppelstockzügen aufgegleist wurde. Die grösste Fahrzeugbeschaffung in der Geschichte der Bundesbahnen gibt bekanntlich bis heute Anlass zu Sorgen.
«Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit»
Für Ducrot selber stehen laut der heutigen SBB-Mitteilung «Sicherheit, Pünktlichkeit, Sauberkeit» bei der neuen Aufgabe an erster Stelle. Wichtig sei ferner eine gute Information für die Reisenden. Aber auch der Dialog mit den Mitarbeitenden, den Kunden, den Bestellern und den Sozialpartnern seien ihm wichtig.
2011 hatte er die SBB verlassen: Vincent Ducrot wechselte zu den Freiburger Verkehrsbetrieben TPF, einer Organisation, die heute rund 11,5 Millionen Fahrkilometer leistet, 32 Millionen Passagiere transportiert und eine Pünktlichkeit von 95,88 Prozent erreicht (Zahlen 2018).
Der Bau-Meister
«Ich langweile mich schnell, wenn sich nichts bewegt», hat er einmal gesagt. Ducrot reorganisierte die Transports publics fribourgeois und schuf eine Holding-Struktur mit drei Gesellschaften (Verkehr, Infrastruktur, Immobilien), wobei er eine Umgewichtung vornahm: Der Mobilitäts-Betrieb engagierte sich intensiver im Immobiliengeschäft und begann, sein Land in Bulle, Châtel St.Denis und Estavayer-le-Lac für neue Überbauungen zu öffnen. «Mittelfristig werden die Immobilienprojekte ein Drittel des Umsatzes ausmachen», sagte der Chef im Januar 2015. Es ist eine Ertragsidee, die bekanntlich auch von den SBB mit Eifer verfolgt wird.
Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV sprach in einem ersten Statement von einer «guten Wahl»: Vincent Ducrot kenne den Service Public gut. Der Eisenbahnerverband SEV äusserte dabei die Hoffnung, dass der neue SBB-Chef «die richtigen Schwerpunkte» setzen werde.
«Keine einfache Aufgabe»
Ducrot habe aber sicher keine einfache Aufgabe vor sich, sagte SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Er müsse nun Ruhe ins Unternehmen bringen.
Als grösste Baustelle bezeichnet sie die Bereiche Personenverkehr und Unterhalt. Der Aufbruch der eingespielten Prozesse beim grössten Reorganisationsprojekt im Personenverkehr habe sich als schwierig herausgestellt. Deshalb hätten die SBB auch eine Denkpause eingelegt. Das Unternehmen müsse jetzt noch einmal über die Bücher. Zudem habe es dabei beim Personal eine für die SBB ungewöhnlich hohe Fluktuation gegeben.
Vincent Ducrot in einem Kommentar zum Geschäftsjahr 2018 der TPF:
Spalinger hofft, dass sich auch die Pünktlichkeit verbessern wird, wenn der Betrieb «wieder stabiler läuft». Denn dort zeigten sich die Auswirkungen der Probleme im Unternehmen.
Ducrots Rolle bei der Beschaffung der Bombardier-Doppelstockzüge wollte die SEV-Vertreterin indes nicht überbewerten: Er habe den Entscheid sicher nicht alleine getroffen. Die SBB hatten 2010 insgesamt 62 Züge bestellt. Ursprünglich hätten sie 2013 geliefert werden sollen. Bei der Auslieferung des 1,9 Milliarden teuren Beschaffungsprojekt kam es aber immer wieder zu Verzögerungen. Bisher wurden nämlich erst 25 der Züge an die SBB übergeben, wobei noch nicht alle in Betrieb sind. Erst im Sommer 2021 soll die ganze Flotte ausgeliefert werden.
(rap — sda)