Sie arbeiteten 17 Jahre im Silicon Valley...
Thilo Koslowski: Es waren sogar fast zwanzig.
Und sitzen jetzt hier in Ludwigsburg zwischen Autowaschanlage, Call-Center und Döner-Bude.
So schlecht ist es hier nicht. Aber es ist vieles anders als im Silicon Valley, komplett anders.
Was hat Sie am meisten schockiert?
Im Silicon Valley glaubt jeder an die Idee, dass alles machbar ist, es gibt keine Grenzen, kein Bremsen. Diesen Spirit vermisse ich in Deutschland manchmal.
Und sonst?
Die Serviceorientierung gegenüber dem Kunden – auch da gibt es grosse Unterschiede. Meiner Frau fällt das besonders auf, sie ist Kalifornierin. Denken Sie daran, wenn Sie im Supermarkt an der Kasse stehen. Sie sind als Kunde heilfroh, wenn Ihre Ware gescannt ist, Sie bezahlt haben und wieder draussen sind. Hektik und Gedränge überall. Kundenfreundlichkeit sieht anders aus, da sind uns die Amerikaner meilenweit voraus. In den USA wird der Kunde als König behandelt. Er soll beim Einkaufen ein Erlebnis haben. Ein anderes Beispiel: Beim Autofahren bricht in Deutschland regelmässig die Telefonverbindung ab. Im Silicon Valley funktioniert das auch ausserhalb von Ortschaften. Das kennt dort keiner anders. Technologie ist vielmehr selbstverständlich im Alltag. Wenn ich dort in einer Kaffee-Bar sitze, fährt alle zehn Minuten ein autonomes Fahrzeug im Testmodus vorbei. Keiner schaut mehr hin.
Wie oft haben Sie sich in den letzten beiden Jahren gesagt: Mensch, Thilo, was willst du in diesem Europa?
Am Anfang vielleicht einmal (lacht). Aber ich verfolge hier eine Mission, die alles übertrumpft. Deshalb habe ich die Aufgabe mit riesiger Freude angenommen, Porsche Digital aufzubauen und zu führen. Ich war schon als Kind ein Porsche-Fan, später bin ich Kunde geworden, dann fuhr ich den 911er auf der Rennstrecke.
In der Nacht von Porsche geträumt?
Sicherlich auch das. Porsche hat mich immer fasziniert. Im Silicon Valley habe ich oft darüber nachgedacht, welche Möglichkeiten Porsche durch die Digitalisierung hat. Dies jetzt aktiv gestalten zu dürfen, ist eine grossartige Herausforderung und Chance.
In der Hoffnung, dass die Kids auch mal Fans werden?
Im Moment fahren sie im 911er noch auf dem Rücksitz mit. Dass sie später ebenso fasziniert sind, das ist genau mein Ziel. Und sicherlich haben wir dafür noch ein gutes Stück Arbeit vor uns. Faszinierende Sportwagen zu bauen, wird weiterhin die Voraussetzung sein. Darüber hinaus wollen wir die Digitalisierung nutzen, um das Fahr- und Kundenerlebnis noch weiter zu steigern und dem Kunden noch mehr zu bieten. Dafür nehme ich alles in Kauf, selbst den Umzug aus der Bay Area nach Ludwigsburg.
Sie haben 2016 Porsche Digital gegründet. Reichlich spät, würde Elon Musk sagen, der hat sein Model S bereits 2012 lanciert.
Was ich im Silicon Valley gelernt habe: Der «First Mover Advantage» funktioniert in den meisten Fällen gar nicht. «At the right time», zum optimalen Zeitpunkt an den Start zu gehen, ist viel wichtiger. Man kann auch zu früh sein für die Kunden. Ich habe mich zwanzig Jahre mit dem Thema Marktreife beschäftigt und kann, glaube ich, ziemlich genau abschätzen, wann Technologien relevant und reif sind und wann der Kunde die Angebote annimmt. «Earlywarning detection» nenne ich das. Und das ist für mich am Ende entscheidend.
Sie relativieren. Porsche ist bei der Digitalisierung spät unterwegs.
Die Autoindustrie ist derzeit extrem in Bewegung. Wenn Porsche zwei Jahre länger gewartet hätte, dann wäre es schwierig geworden.
Die ganze Autoindustrie hat den Digitaltrend verschlafen. Weshalb?
Bei meinem alten Arbeitgeber Gartner war unsere Prognose: 2016 werde der Tipping-Point sein. Bis dahin muss jeder für sich entschieden haben: Gestalte ich die Transformation aktiv oder fahre ich das Pflichtprogramm? Und wenn diese Frage beantwortet ist, dann müssen die Weichen entsprechend gestellt werden. Wer diese Hausaufgabe versäumt hat, der wird es schwer haben, in einer dieser Rollen erfolgreich zu sein. Wir haben uns entschieden: Porsche nimmt die Chance der digitalen Transformation bewusst wahr und will sie für sich tatkräftig ausgestalten.
Der grösste Widerstand?
Wichtig sind Ressourcen, um mit Vollgas loslegen zu können. Und natürlich schnell mit Projekten konkret zu werden. Digitalisierung ist nicht einfach ein Algorithmus – gerade in diesem Kontext stehen in der Autoindustrie komplexe Prozesse dahinter.
Der Markenkern von Porsche ist Technik, Mechanik, Geschwindigkeit, Fahrerlebnis. Mit der Digitalisierung und E-Mobilität geht ein grosser Teil der Emotionalität verloren. Das fängt schon beim Motorengeräusch an.
Wir werden im Mission E sicherstellen, dass der emotionale Faktor Sound angemessen berücksichtigt wird – in einer Porsche-typischen Ausprägung und mit einem klaren Bezug zur Technik. Da kommt einiges aus dem Rennsport, die Hybridmotoren dort tönen wirklich cool. Der Markenkern bleibt weiter bestehen, auch mit einem Elektroantrieb.
Finden Sie autonomes Fahren auch cool und emotional?
Absolut, der Wagen kann Ihnen zum Beispiel auf der Rennstrecke zeigen, wie man die Ideallinie fährt. Damit Sie dann diese Linie nachfahren können. Wir wollen eine Porsche-spezifische Ausprägung des autonomen Fahrens. Für mich ist klar: Es gibt derzeit Veränderungen in der Mobilität, die werden auf alle Hersteller Auswirkungen haben. Wir konzentrieren uns auf unser Käufersegment und auf all die Vorteile, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Wenn ich mich auf die sportliche und exklusive Mobilität fokussiere, kann ich unsere Produkte noch attraktiver machen.
Wie denn? Indem man die Ideallinie erkennt?
Das ist natürlich nur ein Beispiel. Wenn ich mit dem 911er im Stau stehe, drücke ich den Knopf fürs autonome Fahren. Wenn sich der Stau auflöst, will ich wieder selbst das Steuer übernehmen. Wenn dann gerade bei einer kniffligen Kurve das Telefon klingelt, wird der Anruf automatisch auf die Combox umgeleitet. Stehe ich an der Ampel, wird mir die Combox-Nachricht eingespielt. Diese oder ähnliche Innovationen machen mich effizienter, sicherer, kreativer.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf der Autobahn von einem Tesla überholt werden: Drücken Sie aufs Gas?
Seien wir ehrlich: Auf der Autobahn ein anderes Fahrzeug zu überholen, ist wirklich nichts Besonderes. Spannender ist die Rennsituation. Und da fährt Porsche vorneweg.
Sehen Sie eine Zukunft für Tesla? Die Firma steht für chronische Lieferengpässe, mangelhafte Produktion, tiefrote Zahlen.
Tesla ist ein Pionier. Ich habe grossen Respekt vor Elon Musk. Er hat eine Vision und hat diese auch in der Öffentlichkeit klargemacht. Ich denke aber, solche Pläne müssen dann auch erst einmal umgesetzt werden. Und das passiert nicht von heute auf morgen. Wir bei Porsche konzentrieren uns auf uns selbst und sind damit immer gut gefahren. Und so werden wir das auch in Zukunft machen. Für uns ist es wichtig, dass wir auch im Zeitalter der E-Mobilität weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sind und bei unseren E-Fahrzeugen die Porsche-spezifischen Charakteristika ins Zentrum rücken. Ich bin überzeugt, dass unser Mission E, der 2019 auf den Markt kommt, neue Standards setzt.
Mit einer Reichweite von 500 Kilometern?
Der Mission E hat eine Reichweite von 500 Kilometern, ja. 600 PS von 0 auf 100 Stundenkilometer in deutlich weniger als 3,5 Sekunden und eine Ladezeit von 15 Minuten für 400 Kilometer. Das bietet zurzeit niemand.
2018 und 2019 ist der grosse Rollout von E-Fahrzeugen in der Autoindustrie – Audi mit dem E-Tron Quattro, Mercedes mit dem EQ, BMW mit iPerformance, Porsche mit Mission E. Was bleibt Tesla?
Man muss mit den meisten E-Fahrzeugen das Fahrverhalten ändern. Dieses hängt von der Reichweite ab und von den Ladestationen. Ab 2019 wird das anders sein. Da ist eine hohe Reichweite normal – und es wird flächendeckend Schnellladestationen geben, wo man das Auto in 15 Minuten ausreichend laden kann. Wir bauen zusammen mit anderen Autoherstellern intensiv die Ladeinfrastruktur aus. Bis Ende des Jahrzehnts stehen allein in Europa 400 Schnellladeparks an den Hauptverkehrsachsen, auch in der Schweiz.
Und dann wird die Luft dünn für Tesla?
Der Wettbewerb wird sich intensivieren, keine Frage. Das ist genau so wie bei den Verbrennungsmotoren.
Der Auto-Visionär
Name: Thilo Koslowski
Funktion: Chef Porsche Digital
Wohnort: Ludwigsburg, Deutschland
Familie: verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Betriebswirt, Universität Aachen
Karriere: Koslowski arbeitete zuerst bei Audi als Marketingmanager, wechselte dann zu Gartner nach Kalifornien in die USA. Zuletzt war er dort Leiter der Forschungsabteilung über Auto-Technologie und IT sowie Smart Mobility. Seit 2016 ist Koslowski Chef von Porsche Digital.
Diverse Autofirmen kooperieren mit externen Partnern, VW mit Google, Volvo mit Uber. Der neue Trend: IT und Auto?
Ich war gerade wieder im Silicon Valley. Da reden wir natürlich mit allen möglichen Firmen, auch IT-Unternehmen. Da hilft auch mein altes Netzwerk. Wir wollen mit IT-Firmen zusammenarbeiten. Porsche ist in erster Linie ein Sportwagenhersteller mit Fokus auf Lifestyle.
Sie meinen: Niemand braucht einen Porsche.
Aber viele wollen einen Porsche. Wenn wir Technologien nutzen wollen, um das Erlebnis ausserhalb des Fahrzeugs zu erhöhen, suchen wir uns die richtigen Partner. Wir werden diese Innovationen aber immer orchestrieren und zusammenführen. Wir möchten nützliche Informationen für unsere Kunden bündeln und sie dem Fahrer in verwertbaren Info-Mengen zuspielen. Und zwar genau dann, wenn er sie benötigt, ohne dass er danach fragt, ohne abzulenken und nur, wenn es sinnvoll ist. Wir möchten so die Fahrt, ja das Leben anreichern und noch spannender, noch mehr «Porsche-Like» machen.
Statt das Smartphone soll das Auto zur multifunktionalen Plattform werden?
Wir möchten unseren Kunden Services anbieten, die den Lebensstil komfortabler, produktiver und spannender machen. Indem wir dem Fahrer oder der Fahrerin je nach Wetter eine Route anbieten, die er oder sie am Wochenende fahren könnte, vielleicht verbunden mit einem tollen Hotel-Angebot. Wir möchten den Kunden bestmöglich unterstützen, um seinen Lebensstil zu bereichern, um Arbeiten abzunehmen und zu helfen, kreativer und effizienter zu sein – natürlich verbunden mit der besten Fahrmaschine.
Kann Porsche überhaupt Lifestyle? Sind da nicht zu viele Ingenieure am Werk?
Unser Ziel ist es, die physische Welt mit der virtuellen Welt zu vereinen. Da gibt es ganz viele Möglichkeiten: Ich komme zu meiner Lieblingstankstelle, werde automatisch erkannt und erhalte die Meldung, nach dem Tanken stehe mein Lieblings-Cappuccino zum Abholen bereit. Genau nach meinem Wunsch.
Sie investieren stark in Startups. Zeigt dies, dass Porsche zu wenig innovativ ist und sich die Ideen von aussen holen muss?
So viel ist sicher: Porsche war, ist und bleibt innovativ. Gerade im Rennsport fährt man als Erster über die Ziellinie, wenn man innovativer ist als die anderen. Alles müssen wir aber nicht selber entwickeln. Deshalb öffnen wir uns und arbeiten an einem Ökosystem mit Partnern, die zu uns passen.
Was ist das nächste grosse Ding in der Autobranche? Autonomes Fahren ist ja schon durch.
Es sind noch einige Schritte zu gehen, aber in den nächsten Jahren wird sich da sehr viel tun. Wenn ich weiterdenke, sehe ich Roboter, die eigene Autoflotten betreiben. Das dürfte in zehn Jahren so weit sein.
Und in den nächsten fünf Jahren?
Schneller geht es bei der autonomen Fahrzeugflotte: Da fährt man mit dem eigenen Wagen nach Zürich und wird an der Stadtgrenze vom Citycar abgeholt und ins Zentrum chauffiert. Ausserdem wird die Konnektivität verschiedener Verkehrsträger ganz wichtig. Bei dieser Entwicklung ist der VW-Konzern mit Moia ganz vorne dabei. Die Kollegen setzen auf Vans, die durch die Innenstädte kurven.
Artificial Intelligence?
Künstliche Intelligenz wird jetzt schon für die unterschiedlichsten Anwendungsfälle genutzt. Was damit möglich ist: Der Computer realisiert, wenn Sie aufstehen, und bereitet Ihren Alltag vor, inklusive Fahrroute zum ersten Meeting oder zum autonomen Citycar.
Das Ende der Fahrlehrer.
Es kann sein, dass man keinen Fahrlehrer mehr braucht, weil das Auto den Fahrschüler selber instruiert.
Uber und Google planen ein fliegendes Auto.
Das finde ich spannend, das muss man sich anschauen.
Teleportation?
Noch ist das nicht greifbar, aber ich glaube: Auch das ist nicht unmöglich.
Porsche hat eine hohe Marge von zuletzt fast 18 Prozent. Ist sie zu halten?
Porsche ist sehr profitabel. Diesen Erfolg werden wir in Zukunft weiterschreiben. Unser übergeordnetes Ziel ist wertschaffendes Wachstum. Wir werden bei Porsche nichts machen, was nicht darauf einzahlt. Wir kaufen nicht wild Firmen und Beteiligungen zusammen, sondern gehen Schritt für Schritt vor.
Wie werden Ihre Kinder rumfahren?
Auch mit einem Porsche. Wie er sich dann anhören wird, da können wir uns noch überraschen lassen.