Raus aus der Anflugschneise», lockt die Anzeige, die eine repräsentative Residenz für 6,9 Millionen Franken anpreist, «auf nach Ottoberg TG.» Auch in anderen Immobilieninseraten taucht neben den Verweisen auf die sonnige Lage oder die gute Verkehrsanbindung immer häufiger ein weiterer auf: «Ohne Fluglärm.» Die Hausbesitzer in der Agglomeration Zürich warten verunsichert auf den Oktober, wenn die Südanflüge auf den Unique Airport einsetzen. Dann dürften sie nicht nur unter dem Fluglärm leiden, sondern auch unter der Werteinbusse ihrer Liegenschaften. Gemäss einer Studie der Gesellschaft für Siedlungsentwicklung und Umwelt werden Preiseinbrüche im ganzen Gebiet östlich von Limmat und Zürichsee erwartet. Am stärksten betroffen sind die Gemeinden Herrliberg, Meilen und Zollikon: die Goldküste. Hier, schätzt die Studie, könnten die Wertverluste bis dreissig Prozent betragen.
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Zum Fliehen ist es zu spät. So melden sich beim Zürcher Hauseigentümerverband nur wenige Liegenschaftenbesitzer, die verkaufen möchten. Prekär könnte die Lage werden, wenn die Zinsen steigen, die Eigentümer ihre bis ans finanzielle Limit belasteten Häuser abstossen müssen. Dann übernimmt niemand die Villen zu ihren bisherigen Marktwerten. Wer heute eine repräsentative Liegenschaft bauen oder kaufen will, sieht sich nach Landstrichen mit ähnlichen Vorzügen, aber ohne Fluglärm um. Wo?
Ottoberg, das bisher nur als Zweitwohnsitz des ehemaligen SBG-Präsidenten Robert Holzach bekannt war, dürfte kaum einen Ansturm erleben. Dafür fehlen dem Dorf im Mittelthurgau jene Qualitäten, auf die es den begüterten Ansiedlungswilligen ankommt: eine grosszügige Aussicht aufs Wasser und vor allem eine bescheidene Steuerbehörde. Diesen Kriterien – samt guter Verkehrsanbindung zum Unique Airport und nach Downtown Switzerland – entsprechen Gemeinden in verschiedenen Kantonen: BILANZ stellt sie auf den folgenden Seiten vor. Dazu gehören bekannte Steueroasen wie Freienbach. Zusammen mit Wollerau und Feusisberg/Schindellegi wertet die Gemeinde das linke, als «Pfnüselküste» verschriene Ufer des Zürichsees in Ausserschwyz zur «Diamantenküste» auf. Zu begehrten Wohnorten entwickeln sich auch die Gemeinden am Ägerisee, Bottighofen bei Kreuzlingen am Bodensee oder Meisterschwanden am Hallwilersee.
Gemeinsam ist ihnen, neben der malerischen Lage am Wasser, das milde Steuerklima. In einzelnen Fällen hängen die Gunst von Geografie und Fiskus zusammen, so in den renommierten Orten, wo der Vierwaldstättersee am schönsten ist. Oder am Untersee: Nach den Konstanzer Patriziern liessen sich hier im 19. Jahrhundert gekrönte Häupter aus der Familie Napoleons ihre Schlösser bauen, zu republikanischeren Zeiten wussten die Fischergemeinden aus ihrer bevorzugten Lage aber kaum mehr Kapital zu schlagen. Bis in die jüngere Zeit litt der Thurgau zudem unter einem strengen Steuerklima. Noch heute zieht er vorwiegend begüterte Deutsche an, die am Untersee die weite Aussicht ins Heimatland und die Pauschalbesteuerung geniessen.
An anderen Orten sorgten einzelne reiche Mitbürger für das Steueraufkommen und damit die Steuersenkungen. So lebte Bottighofen vom Mowag-Gründer Walter Ruf. In Meisterschwanden brachte, neben einer Stiftung mit Steuerrückständen, Nicolas Hayek viel Geld in die Kasse, in Risch liefern Daniel Vasella und Henri B. Meier die richtige Medizin für die Gemeindefinanzen.
Oder Martin Ebner. Er gibt sich als heimatverbundener Schwyzer und brachte als selbst ernannter «grösster Steuerzahler der Schweiz» seiner Wohngemeinde so viel Geld ein, dass sie es nicht mehr sinnvoll einzusetzen wusste. Sie senkte deshalb den Steuerfuss immer weiter: Auf eine Million Franken an steuerbarem Einkommen sind, wie der BILANZ-Vergleich zeigt (siehe Seite 127), noch 18 Prozent Steuern zu bezahlen – 11,5 Prozent davon macht die Bundessteuer aus, die Freienbacher zahlen also für Gemeinde und Kanton weniger als die Hälfte der Meggener, die sich ebenfalls als steuergünstig verstehen.
«Es ist unsäglich, wenn eine Gemeinde im Kanton Schwyz einen völlig unrealistisch tiefen Steuersatz festlegt, damit reiche Steuerzahler anzieht, aber der nächstgelegenen Grossstadt sämtliche Zentrumslasten überlässt», sagte Moritz Leuenberger als Bundespräsident in einem Interview zum 1. August 2001. «Das gefährdet den eidgenössischen Frieden.» Der Gemeinderat protestierte, zeigte sich aber auch nicht begeistert, als Ebner an der Gemeindeversammlung und mit einer Broschüre an alle Haushalte des Kantons eine weitere Steuersenkung forderte. Freienbach gedeiht übrigens nach dem Sturz des Financiers weiter, muss aber den Steuerfuss deutlich anheben. Ein Steuerparadies bleibt die Gemeinde dennoch.
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Die Gemeinden wissen alle, dass es nicht genügt, die Reichen mit einem tiefen Steuersatz anzulocken: Sie wollen und müssen ihren Mitbürgern etwas bieten, vom Online-Schalter bis zur Luxus-Entsorgungsanlage. Die meisten Gemeinden verfügen auch über Leitbilder, wie sie sich weiterentwickeln wollen. Sogar Freienbach will so seinen Dorfcharakter bewahren, und es möchte auch die neuen Einwohner vermehrt für die Übernahme politischer Verantwortung gewinnen. Daniel Vasella machte in Risch einen Anfang, indem er vor den versammelten Lehrkräften über die Volksschule im Zeitalter der Globalisierung sprach.
Die Prominenten geniessen gelegentlich Vorrechte – aber ausgerechnet Salenstein mit seinem adligen Erbe gibt sich betont republikanisch. «Wir haben es nicht nötig, jemanden aufzunehmen, der glaubt, er könne sich über alles hinwegsetzen, weil er Geld bringe», sagt Gemeinderat Rolf Kälin, der die Beteiligungsgesellschaften Netinvest und Progress Now führt. «Die Vorschriften gelten für alle gleich.»
Das bekam Kurt Weber zu spüren, der Gründer der IT-Dienstleisterin Paninfo, der an seinem Wohnort Herdern eine Schulklasse aus dem eigenen Sack finanzierte, welche die Gemeinde abschaffen wollte: Der Gemeinderat lehnte sein Bauprojekt ab, weil es dem Geschmack des Volkes nicht entsprochen hätte. Salenstein bewahrt seine Attraktivität mit strikter Kostenkontrolle, schafft also kein Tanklöschfahrzeug an, wenn es ein Druckfassanhänger zum Traktor auch tut. Rolf Kälin weiss ebenfalls: «Es ist die beste Werbung, wenn wir hin und wieder den Steuerfuss senken können.»
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