Mit Luftfahrt hat Eric Honegger inzwischen nichts mehr am Hut. Gemeinsam mit seiner Ehefrau führt der ehemalige Swissair-Chef inzwischen «eine Existenz in der Ruhe und landschaftlichen Schönheit des Burgenlandes». So heisst es auf der Internetseite des Arkadenhofes, den das Ehepaar in der österreichischen Ferienregion führt. Doch auch wenn Honegger mit seiner Vergangenheit bei der gescheiterten National-Airline abgeschlossen hat – sie lebt weiter. In zahlreichen Vorlesungssälen auf der ganzen Welt.
In der Fallstudien-Datenbank European Case Clearing House sind 29 Studien von Universitäten von Bangalore über Helsinki und Harvard bis nach Paris zu finden, die sich mit dem Fall Swissair befassen. Die jüngste stammt von der Uni St. Gallen und stammt von 2012.
Too big to fail
Autor Stefan Grösser ist inzwischen Professor für strategisches Management an der Berner Fachhochschule. Er lässt seine Studenten für die Fallstudie in die Rolle von Swissair-Chef Honegger schlüpfen, als er am 1. Mai 2000 das Ruder von Swissair kurzzeitig übernahm. «Von seinem Vorgänger Hannes Götz erbt er ein Unternehmen, mit dem es im vorangegangenen Jahrzehnt bergab ging», heisst es in der Aufgabenstellung. «Welche Vorgänge muss er anpassen, welche Strukturen neu schaffen, um das Ruder herumzureissen?»
Auf die Idee für die Fallstudie kam Grösser aus persönlichen Gründen. Er kenne einige ehemalige Mitarbeiter der Airline. Zusätzlich sei der Fall auch interessant, weil das Unternehmen Swissair neben Markenkraft auch einen nationalen Stellenwert gehabt habe. «Man könnte sagen, Swissair war too big to fail – von der durch die Politik und Gesellschaft wahrgenommenen Wichtigkeit und auch vom Selbstbild her betrachtet», so der Professor.
«Für mich als Management- und Entscheidungsforscher ist es immer von Interesse, wenn grosse Anstrengungen unternommen werden, um strategisch heikle Situationen zu verbessern, und wenn Experten durch ihre gutgemeinten Interventionen gerade zu einer Verschlechterung beitragen», erklärt er. Das sei bei Swissair passiert.
Komplexes Firmenkonstrukt
Auch Matthias Mölleney findet: «Man kann eine Menge lernen aus dem Fall Swissair.» Etwa über die Probleme, ein sehr komplexes Firmenkonstrukt wirksam zu führen, über die Gestaltung der Kontrolle des Konzernchefs durch den Verwaltungsrat oder über die Notwendigkeit, eine Unternehmensübernahme nicht nur finanziell, sondern auch personell stemmen zu können.
Mölleney selbst ist schon an verschiedenen Business Schools den Fall Swissair mit Studenten durchgegangen. Den Personalexperten qualifiziert dabei, dass er Augenzeuge des Untergangs der Airline war. Mölleney war der letzte Personalchef der Swissair-Gruppe. Inzwischen führt er mit PeopleXpert seine eigene Personalmanagement-Firma.
Die Frage der Schuldigkeit
Bitter ist er inzwischen nicht mehr, sieht sogar positive Auswirkungen. Die sogenannte «Hunter-Strategie» – also aggressive Zukäufe –, die zum Untergang der Swissair beigetragen hat, sehe man zwar heute auch bei anderen Fluggesellschaften. «Ich denke aber, die meisten haben aus dem Debakel der Swissair gelernt und die Ressourcen auf der Ebene von Führung und Personalmanagement verstärkt, bevor sie auf «Einkaufstour» gegangen sind.»
Und wer war nun schuld am Debakel? Die Case-Studies kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sind sich aber einig: Es ist kompliziert. «Vom Gesetz her trägt immer der Verwaltungsrat die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern einer Strategie», sagt denn auch Mölleney, fügt aber an: «Aber natürlich ist auch eine Unternehmensführung, die ausschliesslich nach Kennzahlen führt und den menschlich-sozialen Aspekt stark ausblendet, nicht unschuldig am Untergang der Swissair.»
Einfach ist es nicht
Auch Grösser ist der Meinung: «Ein Sachverhalt alleine und eine Person alleine sind meist nicht ursächlich. Eine Analyse muss die Verkettung von Sachverhalten und mehreren Entscheidungen in ihrem Kontakt berücksichtigen.»
Für seine Recherchen zu dem Fall hatte Grösser auch Kontakt zum ehemaligen Top-Management gesucht – so auch zu Honegger. «Es bestand aber leider kein Interesse an einem Gespräch», so Grösser. Ganz abgeschlossen mit der Schweiz – und deren Luftfahrtbranche – hat Honegger dann aber doch nicht. «Gute Nachricht für unsere Gäste aus der Schweiz!», heisst es in einem Eintrag auf der Webseite seines Hotels. «Der Arkadenhof ist jetzt noch besser erreichbar! Die Swiss bietet wieder direkte Flüge Zürich–Graz an!»