Das Kanarienvögelchen zwitschert nicht mehr – und schon herrscht Alarmstimmung an den Finanzmärkten. Die nämlich nutzen den US-Mischkonzern General Electric (GE) seit jeher als Frühindikator. Geht es GE gut, sind auch die Aussichten für die US-Konjunktur gut. Schwächelt GE, droht Unheil für alle. So wie damals, als die Minenarbeiter immer einen Kanarienvogel tief in den Stollen hineingeschickt haben, um zu prüfen, wie schlecht die Luftqualität da drinnen war. Hörten sie ein Zwitschern, dann war alles okay. Hörten sie nichts, war das Vögelchen tot.
GE ist zwar nicht tot, aber die einstmals wertvollste Firma der Welt könnte tatsächlich der Kanarienvogel in der Kohlenmine des Kreditmarktes sein. Ihre Anleihen stürzten vergangene Woche kräftig ab. Nichts weniger als die gute Bonität des Mischkonzerns steht auf dem Spiel.
Abstieg in den Schrottstatus droht
Schon bald könnte das Kreditrating von «investierbar» in «nicht investierbar» zurückgestuft werden. Das ist ein Warnschuss für alle Gläubiger. Weltweit schulden Firmen mehr Geld denn je, die Qualität ihrer Kredite und Anleihen hat sich massiv verschlechtert. Wie GE droht immer mehr Firmen ein Abstieg in den Schrottstatus – auch «Junk» genannt.
Nach Berechnungen von Bloomberg befindet sich die Hälfte des fünf Billionen Dollar schweren Marktes für Investment-Grade-Anleihen nur noch knapp im investierbaren Bereich. Sprich: die Bonitätsnoten der Konzerne liegen gerade noch ein, zwei oder drei Noten über Junk. Sollte sich das globale Wirtschaftswachstum verlangsamen, könnten sich die Gewinnprognosen der Unternehmen zu optimistisch herausstellen und ein Downgrade durch die Ratingagenturen wäre unabwendbar.
Es drohen verheerende Folgen
Mit verheerenden Folgen. Über den Märkten bräche ein Tsunami von Schrottanleihen herein, die Kurse der Anleihen fielen ins Bodenlose, für die Firmen würden die Verschuldungskosten in die Höhe schiessen. Viele grosse Investoren wie Lebensversicherungen oder Pensionsfonds, die nur Anleihen von «investierbaren» Unternehmen halten dürfen, müssten sich von den Papieren trennen.
Gleichzeitig ist die Aufnahmebereitschaft der Investoren, die in Junk-Papiere investieren, begrenzt. Entsprechend turbulent ginge es an den globalen Kreditmärkten zu. Die abgestuften Unternehmen könnten dann nur noch zu deutlich höheren Zinsen ihre Anleihen beziehungsweise Kredite verlängern.
GE war nur ein Vorgeschmack
Spezialanleihen von GE verloren in der vergangenen Woche gleich ein Viertel ihres Wertes. GE sei ein Vorgeschmack auf das, was passiert, wenn ikonische Unternehmen vor dem ultimativen Downgrade stehen, sagte Josh Lohmeier, Leiter Kreditanlagen bei Aviva Investors, gegenüber Bloomberg: «Es wird chaotisch und schmerzhaft.»
Das kränkelnde Konglomerat GE mag ein extremer Fall sein, aber es offenbart vieles von dem, was in den letzten zehn Jahren in den USA und auf der ganzen Welt passiert ist. Historisch niedrige Zinssätze trieben einen massiven Kreditboom an, der es gesunden Unternehmen ermöglichte, ihre Geschäftstätigkeit auf Pump auszuweiten, Konkurrenten zu schlucken oder eigene Aktien zurückzukaufen.
Schuldenhebel ab drei gilt als ungesund
GE hat etwa im Jahr 2015 den Rivalen Alstom für elf Milliarden Dollar erworben. Der Kauf des französischen Gasturbinen-Herstellers hat sich als riesiger Fehler entpuppt. GE musste nicht nur den Kaufpreis abschreiben, sondern auch noch Wertberichtigungen vornehmen. Inzwischen liegen die Nettoschulden bei 63 Milliarden Dollar, fast fünf Mal so hoch wie der Nettogewinn von 13 Milliarden Dollar.
Ein Schuldenhebel von mehr als drei gilt als ungesund, gerade auch dann, wenn sich die Konjunktur abzuschwächen beginnt. Noch vor der Finanzkrise gehörte GE zu den Firmen mit der Spitzenbonität AAA, heute liegt das Rating gerade noch bei BBB+, drei Stufen über Schrott.
EZB kauft Papiere auf
In Europa feuerte die Europäische Zentralbank (EZB) die Verschuldung noch zusätzlich an. Mit dem Kauf von Unternehmensanleihen animierte sie viele Firmen noch dazu, auf Pump Konkurrenten aufzukaufen. Anleihen im Volumen von 175 Milliarden Euro hat die EZB inzwischen erworben und damit auch milliardenschwere Übernahmen begünstigt.
Im EZB-Portfolio finden sich Anleihen des deutschen Pharma- und Agrarkonzerns Bayer genauso wie vom belgisch-amerikanischen Bierbrauer Anheuser-Busch InBev. Bayer hatte im Juni für 63 Milliarden Dollar die Übernahme von Monsanto abgeschlossen. Nun liegt der Schuldenhebel bei 3,3. Das klingt moderat im Vergleich zu fünf beim Brauereiriesen Anheuser-Busch. Der hatte 2016 den Konkurrenten SAB Miller geschluckt und dabei seine Verschuldung zusätzlich erhöht.
EZB hält viele kritische Anleihen
In den EZB-Büchern finden sich viele weitere Schuldtitel von Firmen, die im nächsten Abschwung auf Schrott-Niveau gestuft werden könnten. Beispielsweise der Baukonzern HeidelbergCement mit einem Schuldenhebel von 3,2, der nur noch eine Note über Junk rangiert oder Bonds von Vonovia mit einem Leverage von fast vier.
Ein Blick auf die Papiere von K+S zeigt, was mit gefallenen Engeln passiert, wie der Verstoss aus dem Investment-Grade-Paradies auch genannt wird. Bereits die Drohung führt zu einem deutlichen Kursverfall. Der eigentliche Downgrade sorgt nur noch für einen kurzen Ausverkauf. Allerdings fand die Abstufung bei K+S im Jahr 2016 in einem Umfeld statt, in dem die Stimmung noch gut war.
Französische Konzerne mit hohen Schulden
Sollte der Junk-Tsunami über die Märkte rollen, würde die Verwüstungen drastischer als bei K+S ausfallen. Unternehmensanleihen gehören zu den riskantesten Anlagen derzeit, sagt Jeffrey Gundlach, Fondsmanager-Legende bei DoubleLine Capital. Die Verschuldung der US-Konzerne ist nach Angaben von Thomson Reuters auf einem Rekordwert von mehr als 73 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Höhe geschossen.
Vor der Finanzkrise 2008 lag dieser Wert nie über 65 Prozent. Die Schuldenquote der französischen Unternehmen im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) ist in den letzten zehn Jahren um fast ein Drittel und die Chinas um mehr als zwei Drittel gestiegen. Im Reich der Mitte beträgt die Schuldenquote der Firmen 160 Prozent des BIP.
Kein Wunder, dass die Kreditanleger wie weiland die Minenarbeiter bei ihren Investitionen auf jedes Kanarienvögelchen genau achten.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Die globalen Finanzmärkte fürchten den Junk-Tsunami».