Wohnen in schwindelerregender Höhe. Das ist mittlerweile nicht nur in, sondern auch abseits der Schweizer Städte möglich. Der Hochhausbau boomt. Seit Anfang Juli beziehen die ersten Mieter das höchste Wohnhaus der Schweiz – den 100 Meter hohen Jabee Tower in Dübendorf ZH. Und im bernischen Ostermundigen entsteht der ebenso hohe Bäretower. In zwei Jahren soll er bezugsfertig sein.

«Seit 2010 hat die Bautätigkeit im Hochhaussegment zugenommen, und spätestens seit 2017 richtig an Schwung gewonnen», sagt Robert Weinert, Immobilienexperte von Wüest Partner. Ihren ersten Hochhausboom erlebte die Schweiz in den 60er- und 70er-Jahren, geprägt durch eine starke Zuwanderung. Damals entstanden die meisten der heute rund 2000 Wohnhochhäuser mit über zehn Stockwerken.

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160 Hochhäuser in Planung

Die Schweizer Bevölkerung wächst weiter. Über 8,5 Millionen Menschen zählte das Bundesamt für Statistik Ende 2018. Bei einem leicht schwankenden Wachstum von um ein Prozent im Jahr, wird die Schweiz 2025 bereits 9,2 Millionen und zwanzig Jahre später 10,2 Millionen Einwohner haben.
Zu den Städten und Agglomerationen, in denen in den letzten Jahren die meisten Wohnhochhäuser mit mindestens 15 Stockwerken entstanden, zählen Zürich, Dübendorf, Zug, Lausanne und Basel.

«Man findet sie oft an zentralen Lagen, und die Wohnungen haben einen hohen Ausstattungsgrad», sagt Weinert. Er gehe davon aus, dass diese Entwicklung weiter anhalte.

Aglaya_Hochhaus

Visualisierung des Aglaya-Hochhauses: Das Gebäude entsteht in Rotkreuz bei Zug.

Quelle: Aglaya
Die neue Schweizer Skyline

Überall in der Schweiz werden Hochhäuser geplant und gebaut. Dabei könnten die Konzepte unterschiedlicher kaum sein. Drei Beispiele:

Auf dem Dreispitz-Areal in Basel sollen drei 160 Meter hohe Wohnhochhäuser mit 800 Wohnungen Platz für 1400 Personen bieten. Die Architekten Herzog & de Meuron haben den Auftrag an Land gezogen. Die Migros wird Hauptnutzerin sein.

In Ostermundigen bei Bern wird bereits am Bäre-Tower gebaut. 100 Meter wird der Wohnturm hoch und verbindet Wohnen, Gastronomie, Hotel, Büros und Retail. In zwei Jahren soll er bezugsfertig sein.

In Rotkreuz ZG entsteht das Gartenhochhaus Aglaya. Die Fassade sowie das Dach werden bewachsen sein. So etwas gab es in der Schweiz bisher nicht. 31 Stockwerke plus Penthouse sollen 85 Eigentumswohnungen mit 1,5 bis 5,5 Zimmern bieten. Auf den ersten vier Etagen sind Büro- und Gewerbeflächen geplant. 77 der 85 Wohnungen sind bereits verkauft oder reserviert. Einzug ist für den November geplant.

Ob das 14-stöckige Solitaire in Horw LU, ein geplanter 100-Meter-Turm auf dem Spengler-Areal in Münchenstein BL oder das bewachsene Gartenhochhaus Aglaya in Rotkreuz ZG – überall sind Hochhäuser im Bau oder in Planung. Laut Wüest Partner schweizweit aktuell um die 160 Stück.

Vermehrt Luxussegment

Bauland in Schweizer Städten ist rar und teuer. Laut der Immobilienberatungsfirma Iazi sollen in und um Zürich 2021 die letzten Baulandreserven aufgebraucht sein. In Wallisellen bereits nächstes Jahr. Das treibt die Bodenpreise in die Höhe: Seit den 70er-Jahren sind diese im Kanton Zürich um über 400 Prozent gestiegen, in der Stadt gar um über 700 Prozent, schreibt die Zürcher Kantonalbank (ZKB) in einer Studie.

Dass in den letzten Jahren wieder vermehrt Hochhäuser gebaut werden, bestätigt auch Stefan Kurath, Leiter des Instituts Urban Landscape an der ZHAW in Zürich. Jedoch weniger aus Gründen der städtischen Verdichtung, sondern vielmehr zu Prestigezwecken. «Hier präsentieren sich die Unternehmen, die in den meisten Fällen Besitzer der Immobilien sind», sagt er.

Im Vergleich zum Hochhausboom der 60er-Jahre würde heute vermehrt im Luxussegment gebaut.

«Vieles ist Betongold. Die Investoren lagern ihr Geld lieber in Immobilien, anstatt Negativzinsen zu zahlen», erklärt Kurath. So komme es besonders im Bereich der hochpreisigen Penthäuser in den obersten Etagen der Hochhäuser vor, dass diese zur Geldanlage gekauft würden. Genützt werden sie als Zweitwohnungen.

«Besonders in Zürich herrscht ein Überangebot an Luxuswohnungen.» Und bis die nächste Krise kommt, werde der Bauboom anhalten, da ist sich Kurath sicher: «Ein Ende ist derzeit nicht absehbar.»

Je höher, desto teurer

Der Hochhausbau ist teuer. Er kostet zwischen 15 und 25 Prozent mehr als der eines regulären Hauses. Der Grund: Einsprachen verzögern den Bau, spezielle Baugeräte werden benötigt, Liftanlagen und Nebenkosten sind teuer, die Brandschutzanforderungen streng.
Die Mehrkosten werden an die Mieter in Form von Stockwerkaufschlägen weitergegeben. Das heisst: Je höher gelegen die Wohnung, desto teuer wird sie – mit Ausnahme des 13. Stocks (siehe Box).

Hochhäuser rentieren erst ab der 14. oder 16. Etage, heisst es in der ZKB-Studie. Ab dem 19. Stock sei die Wohnung gar um über 20 Prozent teurer als im ersten. Aber: «Nur wenn das Hochhaus hoch genug ist, können die höheren Kosten auf die Mieter überwälzt werden», sagt Ursina Kubli, ZKB-Immobilienexpertin (mehr dazu lesen Sie hier).

Aberglaube im 13. Stock

Kaum zu glauben, aber Aberglaube ist weiter verbreitet, als man denkt. Vor allem die Zahl 13 wird mit Unglück in Verbindung gebracht. So sucht man in Flugzeugen die Reihe 13 vergebens. Auch Hotels verzichten des Öfteren auf die Zimmernummer oder streichen den 13. Stock gar komplett auf der Fahrstuhltastatur.

Im Hochhaus kann diese gehasste Zahl dem potenziellen Mieter oder Eigentümer jedoch in die Hände spielen: Mieten oder kaufen ist in dieser Etage nämlich oft günstiger. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) hat in einer Studie herausgefunden, dass der Aufschlag, der im Hochhaus pro Etage grundsätzlich immer höher wird, im 13. Stock signifikant tiefer ausfällt. «Es scheint doch etwas Aberglaube da zu sein, da Hochhäuser bei einigen Personen auch mit gewissen Sicherheitsängsten bezüglich Feuer oder Erdbeben verbunden sind», erklärt Ursina Kubli, Immobilienexpertin der ZKB den Fund.

Die Angst vor dem «Schattenwurf»

Nicht jeder Schweizer ist erfreut über die hohen Häuser, die einige Stunden am Tag einen langen Schatten werfen. Schweizweit dürfen benachbarte Gebäude nicht länger als zwei Stunden im Schatten der Hochhäuser liegen.

In Zürich wurde diese Regel nun gelockert. Einsprachen gegen geplante Bauten sind vor allem in Städten vorprogrammiert. Wie zum Beispiel in Kriens LU: Im Nidfeld-Areal soll ein 60-Meter-Hochhaus entstehen. Die Einwohner proben den Aufstand. Auch in Zürich formierte sich Widerstand gegen die geplante Überbauung auf der Hardturm-Brache.

Wie hoch und wo ein Hochhaus gebaut werden darf, regeln die Kantone. Ein Haus im Kanton Zürich gilt ab einer Höhe von 25 Metern als Hochhaus, in Zug, wo es über 50 Hochhäuser gibt, muss hingegen die 30-Meter-Hürde geknackt werden. Und in Bern gibts zudem die Faustregel: Kein Gebäude darf höher sein, als das Münster mit seinen 100 Metern.

Dieser Artikel erschien zuerst beim «Blick» unter dem Titel: «So hoch wohnt die Schweiz».

Dieser Artikel wurde zuerst im Wirtschaftsressort des «Blick» veröffentlicht.