Bringen die Menschen ihr Geld grosszügig in den Umlauf, vibriert der Wirtschaftsmotor wie geschmiert. Doch die Stimmung bei den Schweizer Konsumenten lässt nach wie vor zu wünschen übrig – und liegt weiterhin deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau. In den grossen Volkswirtschaften sparen die Leute derzeit ebenfalls mehr, als den Firmen lieb ist. Das kriegt die Schweizer Wirtschaft zu spüren. «Anfang Jahr haben viele noch mit einem Soft Landing und einer schnelleren Erholung der Weltwirtschaft gerechnet», sagt Matthias Geissbühler (49), Anlage-Chef bei der Raiffeisen. «Inzwischen wurden die Anleger von der Realität eingeholt», führt er aus.
Fehlt die Lust aufs Shoppen, drückt das bei den Herstellern von Konsumgütern direkt aufs Ergebnis. In den letzten Tagen haben viele Schweizer Konzerne ihre Halbjahreszahlen präsentiert. «Dabei zeigt sich eine ausgeprägte Schwäche bei den Konsumtiteln. Doch es gibt auch Lichtblicke», sagt Geissbühler.
Die klassische Industrie leidet
Einer der schwächelnden Konsumtitel ist die Swatch Gruppe, die im ersten Halbjahr deutlich weniger Uhren als noch im Vorjahr absetzte. Umsatz und Gewinn tauchten gewaltig. Der Uhrenhersteller büsste besonders auf dem chinesischen Markt massiv ein. Die chinesischen Kunden halten sich wegen der anhaltenden Immobilienkrise zurück. «Das trifft gerade die Hersteller von Luxusgütern stark» so Geissbühler. Auch der Schweizer Luxusgüterhersteller Richemont leidet darunter. Doch dank breiterer Produktpalette konnte der Konzern in etwa das Vorjahresniveau halten.
Der starke Franken setzte vielen Konzernen im ersten Halbjahr erneut zu. «In den letzten Monaten ist es jedoch zu einer Entspannung gekommen. Ich rechne damit, dass der Währungseffekt im zweiten Halbjahr keine so grosse Rolle mehr spielt», gibt Geissbühler Entwarnung.
Zahlreiche klassische Industriebetriebe durchleben schwierige Zeiten. Bei Bystronic mit Fokus auf die Blechindustrie sank der Umsatz im ersten Halbjahr deutlich und es resultierte ein Verlust. Beim Textilmaschinenhersteller Rieter blieb trotz massiver Umsatzeinbusse ein kleiner Gewinn. Bei den Unternehmen ist Sparen angesagt. Die Auftragsbücher weisen bei vielen Industriebetrieben wachsende Lücken auf. Ein zentraler Grund ist die schwächelnde Weltwirtschaft. Das kriegen auch Bauindustriezulieferer wie Geberit, Arbonia oder Zehnder zu spüren, die unter der Bauflaute in Europa leiden.
Diese Konzerne wachsen losgelöst vom Markt
Doch es gibt auch Konzerne, die sich trotz schwierigem Umfeld sehr gut schlagen. Omar Brem (34), Leiter Research bei der Zürcher Kantonalbank, nennt Givaudan. Der Hersteller von Duftstoffen und Aromen wuchs im ersten Halbjahr deutlich und legte beim Gewinn um gut 30 Prozent zu. «Givaudan hat es mit seinem Businessmodell geschafft, bei schwacher Konjunktur ebenfalls wachsen zu können. So sind seine Inhaltsstoffe beispielsweise in teuren sowie in günstigen Lebensmitteln. Der Konzern profitiert also auch, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten vermehrt zu günstigen Produkten greifen», so Brem.
Der Research-Leiter der ZKB hebt noch eine andere Stärke des Konzerns hervor. «Givaudan ist im Markt so stark positioniert, dass sie ihre Preise trotz tieferen Rohstoffpreisen nicht senken mussten.» Andere Konzerne wie beispielsweise der Nahrungsmittelkonzern Nestlé mussten die tieferen Preise an ihre Kunden weitergeben.
Auch der Technologiekonzern ABB trotzt den widrigen Bedingungen. «Der Konzern schafft es, dank seiner Affinität für die Digitalisierung und Automatisierung und dem Bereich Robotics losgelöst vom Markt zu wachsen», so Brem.
Aufschwung lässt auf sich warten
Ein weiterer Treiber an der Schweizer Börse ist in diesem Jahr die Pharmabranche. «Novartis und Roche haben solide Zahlen abgeliefert und ihre Jahresziele erhöht. Die Kosteneinsparungsprogramme wirken», sagt Raiffeisen-Anlagechef Geissbühler. Zudem hat der Pharmazulieferer Lonza die Talsohle erreicht und befindet sich wieder auf Wachstumskurs.
Die Schweizer Wirtschaft zeigt sich einmal mehr ziemlich krisenresistent. Eine deutliche Erholung auf breiter Ebene dürfte gemäss den beiden Experten aber noch einige Zeit auf sich warten lassen. «Ich rechne frühestens im Verlauf des nächsten Jahres mit einer Anhebung der Konsumentenstimmung», sagt Brem. In diesem Jahr dürfte die Entwicklung zaghaft bleiben, so Geissbühler. «Ich rechne in der zweiten Jahreshälfte gerade in den USA mit einer schwächelnden Konsumstimmung. Die Überschussersparnisse aus der Corona-Zeit sind aufgebracht.»
Die Unsicherheiten bleiben gross: sei es die geopolitische Lage, Versorgungssicherheit, Inflationsentwicklung oder auch der grosse Schuldenberg, der viele Länder künftig zum Sparen zwingen könnte.