Kein Industrieunternehmen in der Schweiz erhielt in den letzten Jahren ähnlich viel Applaus wie Georg Fischer (GF). Weder Skandale noch Überraschungen trübten das Bild des Traditionskonzerns. Die Aktie legte bis vor kurzem stetig wie ein Uhrwerk zu. Röhren für Schiffe, Bauteile für die Automobilindustrie: So unspektakulär die Produkte auch sein mögen, die Anleger jubelten Chef Yves Serra stets zu.
Doch nun mehren sich murrende Stimmen aus dem Aktionariat und der Analystengemeinde. Zu wenig transparent und vielleicht etwas zu selbstherrlich sei die Führung bei Georg Fischer geworden, lautet die Kritik. Inzwischen würden den Investoren wichtige Zahlen nicht einmal mehr auf Nachfrage geliefert. Noch befindet sich der Widerstand in einer frühen Phase, und mit seinem Namen hinstehen will keiner.
Mehr Marge
Entzündet hat sich die Sache am kürzlichen Verkauf von zwei Eisengiessereien in Deutschland. Die Transaktion war keine Bagatelle. 15 Prozent des Gesamtumsatzes stiess GF damit ab, und 2000 Arbeiter stehen nun nicht mehr im Sold von Serra. Die beiden Werke in Singen und Mettmann sind auf den Bau von Eisenteilen für die Autoindustrie spezialisiert und standen zuletzt im Gegenwind. Wegen des Booms von Elektro- und Hybridautos sind schwere Eisenteile weniger gefragt als solche aus Aluminium. Die beiden Werke hatten im letzten Jahr keinen nennenswerten Gewinn mehr abgeworfen. «Beim Verkauf der beiden Betriebe in Singen und Mettmann handelt es sich um einen weiteren Schritt in der Strategie 2020, sich auf höherwertige Geschäftsfelder zu fokussieren», teilt der Konzern mit.
Seit 2015 verfolgen Serra und sein Finanzchef Andreas Müller diese Strategie Richtung höhere Marge. Dass dabei die Eisengiessereien dereinst aus Rang und Traktanden fallen würden, war offenbar nicht absehbar. In Mettmann investierten Serra und Müller noch vor wenigen Jahren 100 Millionen Franken, in Singen liessen sie für 65 Millionen unter anderem eine neue Produktionslinie aufsetzen.
Risiken bleiben im Konzern
Gegen Serras Strategie – künftig mehr auf Aluminium- statt auf Eisenteile zu setzen – hat im Markt niemand etwas einzuwenden. Was sauer aufstösst, ist die Intransparenz rund um den Verkauf der Giessereien an drei bisherige Manager. So etwa gab der Konzern den Verkaufspreis nicht bekannt. Klar ist einzig, dass GF den drei Managern ein Darlehen gewährte, damit diese den Kauf überhaupt stemmen konnten. Doch weder die Darlehenshöhe noch die Konditionen desselben weist GF aus. Auch nicht auf Nachfrage von Analysten. Dazu sagt der Konzern: «Mit den Käufern wurde Stillschweigen vereinbart. Wir werden weitere Details wie üblich im Rahmen des Jahresergebnisses aufzeigen.»
Bei einigen Aktionären kommt das schlecht an. «Das ist Salami-Taktik», sagt einer. Und ein Analyst meint: «So können sich die Anleger vorderhand gar kein Bild machen über die Risiken, die mit diesem Kredit verbunden sind, und die Entschädigung, die der Konzern dafür erhält.»
Die Risiken der Eisengiessereien wird der Konzern nämlich nicht los. Sie verschieben sich einfach. Statt operationeller Risiken trägt der Konzern wegen des Darlehens nun finanzielle Risiken. Deshalb ist im Markt – wenn auch vereinzelt – von «Pseudoverkauf» die Rede, solange das Darlehen nicht zurückgezahlt worden ist. Ganz vollständig ist der Verkauf ohnehin nicht: Laut der deutschen Zeitung «Südkurier» bleibt GF Eigentümer des Geländes und der Hallen in Singen.
Trotzdem hat die Transaktion Konsequenzen für Georg Fischer, vor allem für die Kennzahlen, die der Öffentlichkeit jeweils präsentiert werden. So steigt die Marge um einen ganzen Prozentpunkt, weil mit dem Verkauf der Werke kaum Gewinn, sondern nur Umsatz wegfällt.
Kapitalkosten sinken
Georg Fischer gibt sich optimistisch, dass die neuen Eigentümer die Eisengiessereien noch lange profitabel betreiben können. Trotzdem ist der Konzern nun bei einigen Kennzahlen abgesichert, falls das Eisengeschäft in Europa dereinst doch Verluste bringen sollte und Restrukturierungen nötig würden: Diese schlügen sich bei Georg Fischer wohl nur noch indirekt, nämlich im Finanzergebnis, nieder – falls das Darlehen neu bewertet werden müsste. Der operative Gewinn bliebe unangetastet. Dazu sagt GF: «Die Frage nach der Werthaltigkeit des Darlehens stellt sich nicht, da die Firmen profitabel sind und Cash generieren.»
Der Giessereiverkauf spiegelt eine ältere Kontroverse um die Strategie bei GF. Sie gipfelt in der Frage, ob das kapitalintensive Autozulieferergeschäft überhaupt profitabel genug ist, um die Kapitalkosten zu decken. Der «return on invested capital» (ROIC) ist hier die entscheidende Kennzahl. Auch diese dürfte sich nun verbessert haben, da die kürzlich erneuerten Anlagen in Deutschland nun in der Bilanz wohl nicht mehr den Bereich Automotive belasten.
Vorderhand kann die Branche darüber mangels konkreter Angaben nur spekulieren. Sicher ist einzig, dass neben dem Streben nach operativen Erfolgen zuletzt mindestens ebenso die Kennzahlen Beachtung fanden. Der Trend dürfte anhalten: An der Generalversammlung im April wechselt Serra als Präsident in den Verwaltungsrat. Neuer Chef wird der bisherige Finanzchef Müller.