Schlaue Schuldner wissen, dass kaum mehr ein Gläubiger für eine Forderung von weniger als 3000 Fr. vor Gericht geht», sagt Hans-Rudolf Thoma, Mediensprecher des Verbandes Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI) und selbst Inhaber eines Inkassobüros. Gewiefte Schuldner kalkulierten das Ausbleiben rechtlicher Konsequenzen schon beim Kauf der Ware. Folgen betreibungsrechtliche Schritte dennoch, missbrauchten sie den Rechtsvorschlag als Zahlungsverzögerungsmittel.

Thoma hätte das unlautere Rezept lieber nicht in der Zeitung. Jetzt muss er angesichts der neusten Erhebungen in seinem Verband aber Alarm schlagen: Die vorrechtliche Erfolgsquote ist 2002 um ein Viertel gesunken. Während das von den Inkassoinstitutionen übernommene Forderungsvolumen etwa gleich geblieben ist und die Zahl der Mandate sogar noch zugenommen hat, konnten die Geldeintreiber insgesamt nur noch 513 Mio Fr. (2001: 566 Mio ) lockermachen (?9%). Und für Thoma ist am Schlimmsten: Von diesen 513 Mio kamen nur noch 206 Mio (-27%) nach wiederholten Mahnungen herein, der ganze Rest musste mittels kosten- und zeitaufwändigen Betreibungen geltend gemacht werden.

*Volkswirtschaftlicher Milliardenverlust*

Der Grund dafür findet sich nach den Inkassoinstituten in einem einfachen Teufelskreis: Die schlechtere Wirtschaftslage beschert Unternehmen und Privaten weniger Einnahmen. Gewollt oder gezwungenermassen verschlechtern sie ihre Zahlungsmoral und setzen einen Teufelskreis in Gang, in dem ihre Gläubiger wiederum ihre Rechnungen nicht bezahlen können, weil sie den Cash von ihren Schuldnern nicht erhalten.

Die Inkassofirma Intrum Justitia hat ausgerechnet, dass einem typischen KMU durch Zins- und Inkassokosten sowie endgültige Debitorenverluste jährlich 1,5 Umsatzprozente verloren gehen. Auf die Schweizer Gesamtwirtschaft aufgerechnet macht das 8,5 Mrd Fr., «welche wieder auf die Konsumentenpreise geschlagen werden», so Rolf Meyer, Leiter Inkasso bei Creditreform. Demgegenüber erscheint der Betrag, den Thomas 51 Verbandsmitglieder jährlich eintreiben, wie eine Spinnwebe in der leeren Debitorenkasse.

Thoma wie Meyer betonen, dass es immer noch zu viele Unternehmen gibt, die kein professionelles Mahnsystem anwenden; zum Beispiel ein Garagist, der Mahnungen ohne Einzahlungsschein verschickt oder KMU, die ihre Kunden monatelang gewähren lassen, weil sie ihnen blindlings vertrauen und die nächste Bestellung nicht gefährden möchten.

In diese Lücke springen Inkassobüros wie Creditreform oder Thomas Creditincasso, welche versuchen, die übernommenen Forderungen mit System und ohne Emotionen einzutreiben. Doch mit der Umsetzung scheints immer mehr zu hapern: «Von zehn Schuldnern müssen wir fünf betreiben. Ein Drittel zahlt dann auf Lohnpfändung, für zwei Drittel schauen nur noch Verlustscheine heraus», bestätigt Meyer die negative Tendenz auch bei Creditreform.

*Big Brother für schlechte Zahler*

Die schlechteste Zahlungsmoral beobachtet Meyer in der Gastronomie und immer mehr auch bei Privathaushalten, die ihre Kreditkarten überziehen. Intrum Justitia spricht von einem erstmals markant höheren Kreditrisiko bei Dienstleistungsbetrieben. Vorher konzentrierte sich die Masse säumiger Schuldner noch eher auf Fabrikationsbetriebe oder den Grosshandel, jetzt werden auch Leistungen, die in Reisebüros oder bei Zahnärzten von Angesicht zu Angesicht ausgehandelt werden, immer häufiger nicht auf Anhieb beglichen. Ausserdem verschlechtert sich auch die Moral der Zahlenden: Anfang 2002 kamen 65% ihren Forderungen noch innert 30 Tagen nach, Ende Jahr waren es gemäss Risk-Index der Intrum nur noch 58%.

Manche Geldeintreiber setzten ihre Zechpreller per Inserat in die Zeitung, so hat Meyer in Panama beobachtet. Andere fahren mit einschlägig etikettierter Karrosse ins Wohnquartier, um den Schuldner unter den Augen der Nachbarn gefügig zu machen. In der Schweiz aber, mit ihrem «ausgesprochen starken Schuldnerschutz», so Thoma, sei das verpönt. Letzteres gelte sogar als Nötigung.

Die Inkassoinstitute haben sich gegen die Verflüchtigung der Zahlungsmoral längst Neues einfallen lassen: Den Bonitätscheck, der potenziell schlechte Zahler bereits am Verkaufspunkt identifizieren soll. Über 550000 Schweizer sind heute bei Intrum erfasst. Für den Geldeintreiber mit Firmensitz in Stockholm scheint sich dieses Geschäft mit dem Abchecken zu lohnen. Die Gruppe wächst jährlich um 20% Gemäss Thoma schöpft auch die restliche Branche im Durchschnitt 5 bis 6% vom Forderungsvolumen als Erfolgshonorar ab. «Dumm und dämlich verdient sich damit bestimmt keiner», wie der Verbandssprecher ergänzend bemerkt. Ebenso wenig scheinen die stellvertretenden Geldeintreiber bis dato an der schlechten Zahlungsmoral geändert zu haben.

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