Gute Ideen allein reichen nicht. Damit ein Unternehmen als innovativ gelten kann, müssen sie auch umgesetzt werden. Und letztlich entscheidet der Erfolg am Markt, ob eine Innovation tatsächlich etwas taugt.

Als besonders innovative Schweizer Firmen hat das Beratungsunternehmen A.T. Kearney nach einem Evaluationsverfahren dieses Jahr das Logistikunternehmen Kühne + Nagel sowie die Post-Tochter PostFinance auserkoren (siehe Kasten «Das Projekt ‹Best Innovator›» auf Seite 61).

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In beiden Fällen spricht der wirtschaftliche Erfolg für die Richtigkeit der Wahl. Die Zahlen, die Kühne + Nagel im März für das vergangene Jahr ausgewiesen hat, haben zum wiederholten Mal beeindruckt: Um 21 Prozent hat das Logistikunternehmen den Umsatz gesteigert, um 19 Prozent den Betriebsgewinn (Ebita) und um sagenhafte 32,3 Prozent den Reingewinn, der mit 315 Millionen Franken so hoch ausgefallen ist wie noch nie in der 116-jährigen Geschichte des Unternehmens. Kein Wunder, zeigt seit Jahren auch der Aktienkurs steil nach oben, seit März 2003 hat dieser sich vervierfacht.

Auch die zur Post gehörende PostFinance kann sich über den Erfolg am Schweizer Markt nicht beklagen. Ungefähr 129 000 Konten wurden im letzten Jahr neu eröffnet, insgesamt sind es jetzt mehr als 3 Millionen. 319 Millionen Franken beträgt der Jahresgewinn für das vergangene Jahr, nach 283 Millionen Franken im Vorjahr. Damit ist PostFinance mit einem Gewinnbeitrag von etwa 40 Prozent die eigentliche Cash Cow des Post-Mutterhauses.

Ideenmanagement bei Kühne + Nagel

An neuen Ideen mangelt es bei Kühne + Nagel nicht. Jeder der etwa 40 000 über den ganzen Globus im Einsatz stehenden Angestellten ist grundsätzlich dazu aufgerufen mitzudenken. «Wir stehen immer wieder vor der Herausforderung, neue Trends frühzeitig zu erkennen und mit viel Ideenreichtum Veränderungen in unserem Dienstleistungsangebot abzuleiten», erklärt Klaus-Michael Kühne, Verwaltungsratspräsident und noch immer Hauptaktionär des börsenkotierten Unternehmens, «damit unseren Kunden daraus handfeste Vorteile erwachsen.»

Die meisten konkreten Vorschläge kommen aus den Bereichen, in denen die Mitarbeiter direkt auf die Kunden treffen. Hier ist das Verständnis für deren Bedürfnisse am grössten. Die Herausforderung besteht letztlich darin, Ideen zu sammeln und zu prüfen, wie neue Geschäftsfelder entstehen können.

Damit befasst sich bei Kühne + Nagel Rod Franklin. «Meine Rolle besteht darin, an die Front zu gehen, zu schauen, was die da machen, und mich mit ihnen zu unterhalten», erklärt er bescheiden seine Funktion, denn «Innovation entsteht unmittelbar im Feld». Franklins Aufgabe ist es, Ideen zu sammeln und diese daraufhin zu prüfen, ob sie umgesetzt werden können. Dabei muss vor allem geklärt werden, wie weit eine Neuerung generalisierbar ist und ob ein Markt existiert, der gross genug ist, um eine neue Geschäftsidee profitabel einführen zu können.

Zu was das konkret führen kann, zeigt eindrücklich das Beispiel von «Supply the Sky». Für dieses Logistikangebot hat Kühne + Nagel im vergangenen Jahr den in der Branche begehrten Deutschen Logistikpreis gewonnen. Worum geht es? Im Bereich der Luftfahrt gibt es eine ganze Reihe von Logistikbedürfnissen. Diese beginnen bei der Produktion von Flugzeugen, bei der die einzelnen Komponenten – wie bei Airbus – zuweilen an verschiedenen Orten erstellt werden, am Ende aber zusammengeführt werden müssen. Wenn die Flugzeuge einmal im Einsatz sind, müssen sie ständig mit einer Vielzahl von Gütern versorgt werden. Dazu zählen die Mahlzeiten an Bord, aber auch Ersatzteile für das Flugzeug müssen im Bedarfsfall rasch verfügbar sein.

Kühne + Nagel bietet nun all diese einzelnen Logistikdienste im Gesamtpaket an. So hat das Unternehmen sowohl mit führenden Flugzeugherstellern wie auch mit Fluggesellschaften Logistikverträge abgeschlossen. Angeboten wird gleich die ganze logistische Organisation. So stellt zum Beispiel das Unternehmen sicher, dass Ersatzteile im Bedarfsfall überall rund um die Uhr und an jedem Tag rasch geliefert werden.

Als ohnehin schon global agierendes Unternehmen hat man sich bei Kühne + Nagel überlegt, dass man für diese ebenfalls internationale Dienstleistung besonders gut prädestiniert sein müsste. Die hohe Komplexität der Logistikanforderungen im Luftfahrtbereich schliesslich erachtete man als weiteren spezifischen Vorteil, denn hier hat sich Kühne + Nagel auch schon anderweitig ausgezeichnet. Schliesslich rechnet man damit, die Erfahrungen und das Gelernte aus diesem Geschäft wiederum zur Verbesserung von anderen Logistikangeboten zu nutzen.

Der Aufbau des «Supply the Sky»-Angebots war ein detailliert geplanter Prozess. Am Anfang stand der Aufbau des weltweiten Netzwerks, an zweiter Stelle folgten dann die Verdichtung dieses Netzes und der Ausbau der Dienstleistungen. Heute kann Kühne + Nagel auf 750 Standorte in mehr als 100 Ländern zugreifen. Schliesslich hat das Logistikunternehmen auch viel in die Qualifikation seiner Mitarbeiter in diesem Bereich investiert. Denn nicht nur an die Logistikprozesse werden hier höchste Ansprüche gestellt, sondern auch an die Ausbildung und die Fähigkeiten des Personals.

«Supply the Sky» steht als besonders ausgeklügeltes Beispiel für das, was sich generell Kontraktlogistik nennt. Damit ist gemeint, dass Unternehmen ihre Logistikanforderungen weitgehend an ein Logistikunternehmen auslagern und nicht mehr Einzelaufträge für Transporte oder Lagerungen erteilen. Heute ist Kühne + Nagel weltweit der drittgrösste Anbieter in diesem Bereich.

Alles eine Frage der Kultur

Diese Positionierung verdankt das Unternehmen allerdings vor allem dem erst diesen Januar vollzogenen Zukauf von ACR Logistics. Das in Paris beheimatete Unternehmen ist bereits in der Kontraktlogistik tätig. Mit der Akquisition hat sich der Mitarbeiterbestand von Kühne + Nagel um volle 15 000 Personen vergrössert, was einem Zuwachs von 60 Prozent des vormaligen Bestandes von 25 000 Personen entspricht.

Die bestausgeklügelten Systeme garantieren keine Innovationen. Was es letztlich immer braucht, ist eine Kultur, die Innovationen fördert und deren Umsetzung möglich macht. Eine solche Kultur ist stets das kaum imitierbare Ergebnis der Geschichte eines Unternehmens. Grosse Übernahmen, wie sie Kühne + Nagel mit ACR vollzogen hat, können deshalb potenziell eine Gefahr sein. Es können Integrationsprobleme entstehen, die negativ auf die bewährte Kultur abfärben.

Klaus Herms sieht hier keine Gefahr: «Zwischen Kühne + Nagel und ACR gibt es so gut wie keine Überschneidungen», sagt der CEO des Logistikunternehmens, «die Aktivitäten sind komplementär.» Herms betont, dass es eine Managementaufgabe sei, die ACR-Beschäftigten an die Kühne-und-Nagel-Philosophie heranzuführen.

Ein Teil dieser Kultur geht darauf zurück, dass an der Spitze des Unternehmens mit Klaus-Michael Kühne noch immer ein Spross der Gründerfamilie sitzt. Dessen Grossvater August Kühne hat die Firma im Jahr 1890 mit seinem damaligen Kompagnon Friedrich Nagel in der Hansestadt Bremen gegründet. Das Geschäft drehte sich damals ausschliesslich um Speditionen per Schiff. Fortwährende Innovationen und Anpassungen an neue Marktentwicklungen haben das Unternehmen über die vergangenen 116 Jahre stark verwandelt. Der Seefrachtbereich hat im vergangenen Jahr noch 53 Prozent des Gesamtumsatzes ausgemacht, die Luftfracht bereits 21 Prozent und der Landverkehr 15 Prozent, die Kontraktlogistik etwa 10 Prozent.

Eine besondere Herausforderung für die Entwicklung des Logistikunternehmens war stets die Konkurrenz von oftmals staatlichen und geschützten Anbietern, wie den Postdiensten. Dass ausgerechnet die Tochter eines solchen Staatsbetriebs, die PostFinance, von A.T. Kearney neben Kühne + Nagel als besonders innovativ ausgezeichnet worden ist, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie.

PostFinance – Innovationen aus der Not

Bei PostFinance ist man über das Etikett des Staatsbetriebes ohnehin nicht besonders glücklich. Umso weniger, als die Politik der Post-Tochter Geschäftsmöglichkeiten vorenthält, die man sehr gerne wahrnehmen würde. So darf PostFinance keine Bank sein, die Lizenz dazu hat ihr die Politik bisher verweigert. Das Unternehmen befindet sich daher in der Situation, nur das so genannte Passivgeschäft eigenständig betreiben zu dürfen, das heisst Geld über die Postkonti entgegennehmen zu dürfen und den Zahlungsverkehr anzubieten. Das Aktivgeschäft hingegen ist ihr untersagt. So kann sie kein Geld als Kredite oder Hypotheken selbständig ausleihen. «Nun müssen wir unsere Kundengelder mehrheitlich im Ausland anlegen, weil sich hierzulande nicht genügend Möglichkeiten bieten», bedauert PostFinance-Chef Jürg Bucher. «Am liebsten würden wir sie stattdessen für Kredite an Retailkunden verwenden, doch das dürfen wir nicht.»

Indirekt betreibt PostFinance das Aktivgeschäft allerdings dennoch, so wie sie auch Fonds verkauft – vor allem über eine Kooperation mit der Grossbank UBS. Die Grossbank verlangt für die Refinanzierung und für die übernommenen Risiken einen Beitrag, ansonsten ist PostFinance aber frei in der Preisgestaltung. Die so genannten «gelben Fonds» sind ebenfalls von der UBS.

Die geschäftliche Einschränkung hat indes zumindest einen Vorteil, wie man selbst bei PostFinance eingesteht: Sie zwingt förmlich zu Innovationen. Eine Menge Denkarbeit im ganzen Unternehmen hat allein die Klärung der Frage erfordert, wie sich über Kooperationen Kredite anbieten lassen. «Für unsere Kultur gilt stets: Neu ist gut», betont Jürg Bucher. Auch bei PostFinance sind alle Mitarbeiter dazu eingeladen, Ideen einzubringen. Eine Maske auf ihrem Computer regt sie dazu an: «Postidea» heisst das Tool, mit dem sie ihre Vorschläge einbringen können. Damit nicht jede Bieridee hier hereinkommt, müssen die Mitarbeiter allerdings begründen, worin der Vorteil ihrer Idee für das Unternehmen liegen würde. Ob die Idee dann weiterverfolgt wird, entscheidet als erster Filter der direkte Vorgesetzte. Wird sie umgesetzt und hat Erfolg, wird der Ideenlieferant am Erfolg seines Vorschlags beteiligt. 1000 Vorschläge werden so jährlich eingereicht.

Zudem hat jeder Mitarbeiter die Möglichkeit, sich direkt an den obersten Chef Jürg Bucher zu wenden – die E-Mail-Adresse findet er auf dem Kalender, der auf jedem Tisch steht. Tatsächlich lädt Bucher jeden Monat ein halbes Dutzend der Schreibenden zum Essen ein.
Aber auch bei PostFinance machen viele Ideen noch nicht unbedingt eine Innovation aus. «Am wichtigsten ist letztlich die Ausführung», sagt Jürg Bucher. Die Firma unternimmt viel, um herauszufiltern, was sinnvoll umgesetzt werden kann. Da ist etwa Markus Schawalder. Seine Funktion ist ähnlich jener von Rod Franklin bei Kühne + Nagel: Er wirkt als eine Art Moderator zwischen Ideenlieferanten und Unternehmensführung. Nicht die Innovationen selbst sind seine Aufgabe, sondern vielmehr das Innovationsmanagement. Das Unternehmen hat zudem stets eine Reihe von Projekten laufen, in denen Neuerungen konkret geplant, berechnet und schliesslich schrittweise umgesetzt werden. An diesen Projekten sind jeweils Sachverständige aus allen Bereichen des Unternehmens beteiligt – «damit wir nicht abheben», wie Jürg Bucher erklärt.

Die Zusammenarbeit mit der UBS und anderen bringt auch Ideen und Lerneffekte mit sich und wird keineswegs nur als notwendiges Übel betrachtet: «Verschiedene Kooperationen würden wir auch nicht aufgeben, wenn wir eine Banklizenz hätten», sagt der PostFinance-Chef. Die wichtigste Erfahrung aus der Zusammenarbeit ist ein stärkeres Selbstbewusstsein bei PostFinance: «Wir haben gesehen, dass andere auch mit Wasser kochen.»

Viele Innovationen drehen sich bei PostFinance um das Kerngeschäft des Zahlungsverkehrs. Eine besondere Rolle hat dabei die Internetplattform Yellownet. Geplant ist ausserdem unter anderem, Zahlungen auch über das Handy möglich zu machen oder eine multifunktionale Postcard, die direkt als Ticket für verschiedene Anlässe dienen könnte.

Weder bei Kühne + Nagel noch bei PostFinance ist eine spezielle Forschungsabteilung für die Innovationen zuständig. Bei beiden Unternehmen ist dafür grundsätzlich jeder Mitarbeiter angesprochen. Das reicht aber nicht, wie beide Beispiele zeigen. Selbst Unternehmen mit einer ausgeprägten Innovationskultur brauchen formelle Abläufe und Verantwortliche, die dafür sorgen, dass neue Ideen gesammelt, geprüft, gesiebt und letztlich umgesetzt werden. Eine gute Idee kann nur dann zur erfolgreichen Innovation werden, wenn die Unternehmensleitung sich des Ideenmanagements aktiv annimmt.

Markus Diem Meier,
ständiger Mitarbeiter der BILANZ,
redaktion@bilanz.ch