Sie gingen sich schon immer aus dem Weg, der feinsinnige Kunstfreund und der rastlose Macher. Doch jetzt ist das Verhältnis der beiden Stadtzürcher SP-Stars unwiderruflich zerrüttet. Noch nie ist Moritz Leuenberger, der politische Dünnhäuter mit dem Gedächtnis eines Elefanten, so frontal attackiert worden wie von Stadtrat Elmar Ledergerber, dem Vater des Zürcher Wirtschaftsbooms. Was Leuenberger am 23. April in Berlin ausgehandelt habe, sei für den Flughafen Zürich, «die zentrale Infrastruktur» des Wirtschaftsstandorts Schweiz, schlicht «katastrophal», erklärte Ledergerber – und kündigt «Gegenwehr auf allen Ebenen» an.
Tatsächlich wird dem Flughafen Kloten gemäss den Eckwerten des Staatsvertrags ein An- und Abflugkorsett verpasst, das ihn in seiner Entwicklung massiv behindert. Die Zahl der Flüge aus dem Norden muss bis im Jahr 2004 von heute 160 000 um mehr als ein Drittel auf unter 100 000 gesenkt werden. An Wochenenden herrscht über den Wipfeln des Südschwarzwaldes künftig von 20 Uhr bis 9 Uhr morgens ausgedehnte Nachtruhe. «Eine solche Kontingentierung gibt es nirgendwo in Europa. Bedenklich stimmen auch die Beschränkungen am Abend und am Wochenende», kritisiert Hannes Ziegler, Sprecher des Verbandes Deutscher Flugleiter. Dabei soll der Luftverkehr europaweit weiter boomen. So schätzt die EU, dass sich die Zahl der Bewegungen im europäischen Luftraum zwischen 2000 und 2010 von 8 auf 11,9 Millionen erhöhen wird. Folgerichtig bauen Zürichs Konkurrenzflughäfen München und Frankfurt ihre Kapazitäten weiter aus.
Im Clinch mit dem «Grossstaat Deutschland» (SVP-Nationalrat Christoph Blocher) hat Bern die Waffen sehr früh gestreckt, wie unveröffentlichte Dokumente belegen. Die Verantwortlichen dachten nie daran, die Verhandlungen über den Staatsvertrag schlimmstenfalls platzen zu lassen und die Auseinandersetzung auf die juristische Ebene zu verlagern. Es sei «unbedingt davon abzusehen, eine internationale Instanz mit dieser Frage zu befassen, da keinerlei Garantie abgegeben werden kann, dass solches mit einem günstigen Spruch enden würde», schrieb die Direktion für Völkerrecht am 14. Februar 2001. Wenn ein Verfahren beim Rat der internationalen Zivilluftorganisation (ICAO), der im internationalen Flugverkehrsrecht vorgesehenen Instanz, angestrengt werde, so bestehe «die Gefahr, dass es sich über lange Zeit hinziehen würde». Mit solchen Allgemeinplätzen präparierten Aussenminister Joseph Deiss’ Experten das Terrain für eine rasche Kapitulation. Die von «helvetischer Duckmäusigkeit» befallene Berner Administration habe sich auf «mediokre Gutachten» gestützt, schimpft Ledergerber. Tatsache ist, dass SVP-Nationalrat Christoph Blocher für einmal einig ist mit dem Zürcher Genossen: «Wir geben überall nach. Das merkt der Gegner sofort.»
Dabei war das Argumentationsgebäude der Deutschen alles andere als wasserdicht, wie eine Expertise des renommierten Völkerrechtlers Rüdiger Wolfrum, Direktor des Max-Planck-Istituts in Heidelberg, belegt. Das von ihnen angedrohte Flugbeschränkungsgebiet über Süddeutschland sei «völkerrechtswidrig». Die geplanten Regelungen gingen «weit über das Mass hinaus», was an Einschränkungen auf internationalen Flughäfen in Deutschland gelte, und sie seien als aktive Lärmschutzmassnahmen an einem vergleichbaren deutschen Flughafen «wohl unzulässig». Angesichts dieser Doppelbödigkeit platzt selbst Hans-Kaspar Schiesser, Funktionär der grünen Verkehrslobby VCS, der Kragen: «Dass die Deutschen auch noch damit Werbung machen, auf dem Flughafen Köln/Bonn könne praktisch rund um die Uhr gestartet und gelandet werden, ist eine Schweinerei.»
Siegestrunken liess der deutsche Verkehrsminister Kurt Bodewig verlautbaren, er freue sich besonders, dass die süddeutsche Region mit ihren «vielen Heilbädern» entlastet werde. Nur: Bisher hatte Bodewigs Ministerium alle Anträge von deutschen Kurorten, vom Fluglärm ganz oder teilweise befreit zu werden, aus rechtlichen Gründen stets abgelehnt. Nicht zuletzt wegen der Befürchtung, solche Sonderregelungen könnten Schule machen, was zu einer übermässigen Verengung des deutschen Luftraums führen könnte.
Völlig unerklärlich ist, wie leichtfertig unsere Unterhändler ihr wichtigstes Pfand, das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU, aus der Hand gegeben haben. Mit dem Vertrag erhält die Swissair den diskriminierungsfreien Zugang zum liberalisierten europäischen Luftraum. Doch dieses Zugeständnis musste sich die Schweiz sehr teuer erkaufen. Bei den bilateralen Verhandlungen rang die EU der Schweiz massive Konzessionen beim Landverkehr ab. Noch bevor die Verträge überhaupt in Kraft getreten sind, musste die Schweiz per 1. Januar dieses Jahres die 28-Tonnen-Gewichtslimite für Lastwagen fallen lassen, die sie seinerzeit mit dem selbst finanzierten Bau von zwei Neat-Eisenbahntunneln (Gesamtkosten: 14,7 Milliarden Franken) in die Zukunft hinüberretten wollte. Konsequenz dieser einseitigen Inkraftsetzung: Lastwagenstaus auf der A 2 und Stunk in der Innenpolitik.
Die Deutschen ignorierten die Existenz des Luftfahrtabkommens Schweiz–EU kühl. Die geplanten Beschränkungen seien «rechtlich fragwürdig», urteilt Gutachter Wolfrum. Im Wettbewerb mit den deutschen Hubflughäfen Frankfurt und München werde Zürich «behindert». Die Vorteile, die für die Swissair bilateral mit der EU erkämpft worden sind, werden mit dem Berliner Vertragswerk zum Teil wieder preisgegeben. Selbst ein ehemaliger Bundesrat kann, bei aller Loyalität zur Regierung, nur den Kopf schütteln: «Das wäre mir nicht passiert.»
Für Sion 2006 lancierte der Bundesrat, vom olympischen Feuer ergriffen, einen internationalen Feldzug. Doch für die Interessen der Wirtschaftsmetropole krümmte er keinen Finger. So überliess er das Dossier dem total defensiv operierenden Verkehrsminister. Leuenberger habe eine «klammheimliche Kabinettspolitik» betrieben und die Experten des Zürcher Flughafens auf Distanz gehalten, enerviert sich Unique-Zurich-Airport-Verwaltungsrat Ledergerber. Bern verzichtete auch darauf, in dieser heiklen Causa ein deutsches Anwaltsbüro einzuschalten. Eine vorgeschlagene Kampagne, die bei den Grenzbewohnern in Hohentengen endlich etwas Goodwill schaffen sollte, wurde ebenso abgesagt wie eine gezielte Offensive in den deutschen Medien. Für die deutsche Bundesregierung könnte der Staatsvertrag nämlich durchaus zum innenpolitischen Bumerang werden: Warum wirft sie sich für eine kleine Minderheit fluglärmgeplagter Grenzbewohner in die Schanze, während sie Zehntausende von Anwohnern in den An- und Abflugschneisen der eigenen Grossflughäfen nicht gleichermassen vor Lärm schützt? Wenn die Grünen als Regierungspartei das Zürcher Flugbeschränkungsmodell künftig für deutsche Flughäfen propagieren sollten, haben der wirtschaftsfreundliche Bundeskanzler und sein Verkehrsminister ein Problem.
In dieses Bild passen auch die diplomatischen Fehltritte des mitunter etwas merkwürdig kommunizierenden Verkehrsministers Moritz Leuenberger. Während der Verhandlungen brüskierte er gleich zwei deutsche Spitzenpolitiker: Den baden-württembergischen Vizepräsidenten Walter Döring liess er per Fax wieder ausladen. Der deutsche Wirtschaftsminister Werner Müller, ein erklärter Freund der Schweiz, wiederum versucht schon lange, Energieminister Leuenberger wegen ungeklärter Fragen bei der Öffnung des Strommarktes zu treffen. Bisher sei es ihm nicht gelungen, mit ihm einen gemeinsamen Gesprächstermin zu finden, beklagte sich Müller während seines jüngsten Schweiz-Besuchs im kleinen Kreis. Mokiert sich Christoph Blocher: «Der Bundesrat muss die Leute empfangen, er darf aber nicht selber verhandeln. Heute verhandelt er selber, aber er empfängt sie nicht.»
Die Schweizer hätten längst gewarnt sein müssen, welche Gewitterfront von Norden her aufzieht. Seit Gerhard Schröder regiert, behandeln uns die Deutschen nicht mehr so pfleglich wie in der Ära von Helmut Kohl, dem Spezi des damaligen Aussenministers Flavio Cotti. Schon vor dem Bundestagswahlkampf drohte der Hannoveraner Machtmensch in Zürich unverhohlen, die kleinen Staaten würden sich noch wundern, wozu die grossen in Europa fähig seien. Den Tatbeweis lieferte der Kanzler mit einer Frontalattacke auf das Schweizer Bankgeheimnis (BILANZ 03/2000). Zwischen Schröder und den Schweizer Genossen ist das Tischtuch ohnehin zerschnitten, seit die SP Schweiz im Wahlkampf 1999 den abtrünnigen Finanzminister und Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine als wahren Verkünder der sozialistischen Lehre hochleben liess. Kommt dazu, dass die Stimme Moritz Leuenbergers im Chor der Sozialistischen Internationale kaum wahrgenommen wird.
Höchst passiv verhielt sich auch das Berner Aussenministerium. Das wirtschaftspolitisch gewichtige Kloten-Dossier wurde untergeordnet als «technische Frage» behandelt. Wenn Aussenminister Joseph Deiss in den letzten Monaten an Deutschland dachte in der Nacht, so wohl an Shawne Fielding, die exzentrische Gattin des Schweizer Botschafters in Berlin.
Die Regierung selber bereitete das Dossier «sehr oberflächlich und zu wenig strategisch vor», wie FDP-Präsident Gerold Bührer argwöhnt. Leuenberger liess den Bundesrat wie so oft über seine präzisen Vorstellungen im Dunkeln. Bevor er nach Berlin reiste, teilte er ihm lediglich mit, die festgefahrene Angelegenheit deblockieren zu wollen. Ein explizites Mandat zum Abschluss der Verhandlungen hatte er nicht. Die andern Departemente erhielten die Unterlagen zudem erst am Vorabend der Bundesratssitzung gegen 21 Uhr – etwas spät, um anderntags eine vertiefte Strategiediskussion zu führen. Als Leuenberger am darauffolgenden Montag kalt geduscht aus Berlin zurückkehrte, hatte die Regierung gar keine andere Wahl, als sich hinter ihn zu stellen. Denn eine Desavouierung des Bundespräsidenten hätte eine mittlere innenpolitische Krise ausgelöst. Kollegin Ruth Metzler, die bisher nicht als Aviatikfachfrau auffiel, gratulierte Leuenberger nicht nur zum Verhandlungsergebnis, sondern machte dies auch noch publik. Damit bewegte sie sich hart an der Grenze zur Lächerlichkeit: Im selben «Weltwoche»-Interview bezeichnete sie den Flughafen Kloten nämlich als wichtigstes Problem, das sich der Schweiz derzeit stellt. Trifft dies zu, so kann nur noch das Parlament die Notbremse ziehen und die Ratifizierung des Vetrages hinauszögern oder ablehnen – die Frage ist, ob die bürgerlichen Bundesratsparteien den Mut haben, ihr angekündigtes Nein auch in die Tat umzusetzen.
Das Debakel von Berlin zeigt nicht nur, wie verletzlich die auf sich allein gestellte Schweiz im härter gewordenen Wettbewerb um nationale Interessen geworden ist. Politische Fehleinschätzungen können, wie schon bei der ausufernden Holocaust-Debatte, fatale Folgen haben. Das hängt mit den schwachen Strukturen zusammen; die sieben praktisch autonom agierenden Departemente sind wie durch Firewalls voneinander getrennt, was eine kohärente Politik erschwert. Moritz Leuenberger ist zudem mit seinen vier «Ministerien» Umwelt, Energie, Verkehr, Medien und einer Vielzahl brisanter Dossiers derzeit schlicht überfordert, zumal er noch als gefragter präsidialer Redner durch das Land reist.
Weshalb sich der ohnehin konfliktscheue Leuenberger in dieser Situation an den Verhandlungstisch setzte, wirft grundsätzliche Fragen auf. Delikate Negoziationen wurden früher von den Topdiplomaten des damaligen Bundesamtes für Aussenwirtschaft (Bawi) geführt, dessen Machtfülle denn auch ein Stein des Anstosses war. Franz Blankart handelte in den Siebzigerjahren ein Abkommen über den grenzüberschreitenden Omnibusverkehr aus, Philippe Lévy in den Achtzigerjahren eines über Strassensteuern. Im heutigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das aus dem einstigen Eliteamt Bawi hervorgegangen ist, mangelt es derzeit an Wirtschaftsdiplomaten vom internationalen Renommee eines Hans Schaffner, Paul Jolles oder David de Pury. Nach alter Ordnung wären Seco-Staatssekretär David Syz zusammen mit André Auer, dem Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, und Michael Ambühl, Chef des Integrationsbüros, ins Feuer geschickt worden. Doch Quereinsteiger Syz fehlt als Unterhändler die nötige Erfahrung.
Obwohl für die Deutschen wenig auf dem Spiel stand, operierten sie bei aller Widersprüchlichkeit professioneller. Sie wussten, dass Leuenberger als Umweltminister dem boomenden Luftverkehr äusserst skeptisch gegenübersteht. Taktisch geschickt liessen sie deshalb die Verhandlungen auf Beamtenstufe ins Leere laufen und verlagerten sie auf die politische Ebene. Nach fünf Stunden hatte Jungminister Bodewig den Schweizer Genossen weich geklopft. Hätte die Schweiz den übermächtigen Nachbarn mit einer unnachgiebigen Haltung dazu gezwungen, die angedrohten Retorsionsmassnahmen in die Praxis umzusetzen, wäre nicht nur dessen zutiefst widersprüchliche Lärmschutzpolitik transparent geworden; in einem «Luftkrieg» mit der Schweiz stünden sie zudem als hässliche Deutsche da.
Dass der Bundesrat ganz anders auftreten kann, beweist das Tandem Kaspar Villiger und Pascal Couchepin beim brisanten Thema Bankgeheimnis. Bisher liess es sich von den Drohgebärden Schröders und seines Finanzministers Hans Eichel nicht beeindrucken. Der selbstbewusste Wirtschaftsminister Couchepin «schert sich nicht um Anfeindungen aus den europäischen Hauptstädten» und habe den Vorwurf, sein Land begünstige die Steuerhinterziehung, «souverän pariert», schreibt das deutsche Wochenblatt «Die Zeit» anerkennend. Jetzt könne die Schweiz sogar die hart erkämpfte EU-Einigung von Feira, die den Anfang vom Ende des Bankgeheimnisses bedeuten würde, «zum Einsturz bringen». Wer hätte das den Schweizern nach dem Kniefall von Berlin zugetraut?
Tatsächlich wird dem Flughafen Kloten gemäss den Eckwerten des Staatsvertrags ein An- und Abflugkorsett verpasst, das ihn in seiner Entwicklung massiv behindert. Die Zahl der Flüge aus dem Norden muss bis im Jahr 2004 von heute 160 000 um mehr als ein Drittel auf unter 100 000 gesenkt werden. An Wochenenden herrscht über den Wipfeln des Südschwarzwaldes künftig von 20 Uhr bis 9 Uhr morgens ausgedehnte Nachtruhe. «Eine solche Kontingentierung gibt es nirgendwo in Europa. Bedenklich stimmen auch die Beschränkungen am Abend und am Wochenende», kritisiert Hannes Ziegler, Sprecher des Verbandes Deutscher Flugleiter. Dabei soll der Luftverkehr europaweit weiter boomen. So schätzt die EU, dass sich die Zahl der Bewegungen im europäischen Luftraum zwischen 2000 und 2010 von 8 auf 11,9 Millionen erhöhen wird. Folgerichtig bauen Zürichs Konkurrenzflughäfen München und Frankfurt ihre Kapazitäten weiter aus.
Im Clinch mit dem «Grossstaat Deutschland» (SVP-Nationalrat Christoph Blocher) hat Bern die Waffen sehr früh gestreckt, wie unveröffentlichte Dokumente belegen. Die Verantwortlichen dachten nie daran, die Verhandlungen über den Staatsvertrag schlimmstenfalls platzen zu lassen und die Auseinandersetzung auf die juristische Ebene zu verlagern. Es sei «unbedingt davon abzusehen, eine internationale Instanz mit dieser Frage zu befassen, da keinerlei Garantie abgegeben werden kann, dass solches mit einem günstigen Spruch enden würde», schrieb die Direktion für Völkerrecht am 14. Februar 2001. Wenn ein Verfahren beim Rat der internationalen Zivilluftorganisation (ICAO), der im internationalen Flugverkehrsrecht vorgesehenen Instanz, angestrengt werde, so bestehe «die Gefahr, dass es sich über lange Zeit hinziehen würde». Mit solchen Allgemeinplätzen präparierten Aussenminister Joseph Deiss’ Experten das Terrain für eine rasche Kapitulation. Die von «helvetischer Duckmäusigkeit» befallene Berner Administration habe sich auf «mediokre Gutachten» gestützt, schimpft Ledergerber. Tatsache ist, dass SVP-Nationalrat Christoph Blocher für einmal einig ist mit dem Zürcher Genossen: «Wir geben überall nach. Das merkt der Gegner sofort.»
Dabei war das Argumentationsgebäude der Deutschen alles andere als wasserdicht, wie eine Expertise des renommierten Völkerrechtlers Rüdiger Wolfrum, Direktor des Max-Planck-Istituts in Heidelberg, belegt. Das von ihnen angedrohte Flugbeschränkungsgebiet über Süddeutschland sei «völkerrechtswidrig». Die geplanten Regelungen gingen «weit über das Mass hinaus», was an Einschränkungen auf internationalen Flughäfen in Deutschland gelte, und sie seien als aktive Lärmschutzmassnahmen an einem vergleichbaren deutschen Flughafen «wohl unzulässig». Angesichts dieser Doppelbödigkeit platzt selbst Hans-Kaspar Schiesser, Funktionär der grünen Verkehrslobby VCS, der Kragen: «Dass die Deutschen auch noch damit Werbung machen, auf dem Flughafen Köln/Bonn könne praktisch rund um die Uhr gestartet und gelandet werden, ist eine Schweinerei.»
Siegestrunken liess der deutsche Verkehrsminister Kurt Bodewig verlautbaren, er freue sich besonders, dass die süddeutsche Region mit ihren «vielen Heilbädern» entlastet werde. Nur: Bisher hatte Bodewigs Ministerium alle Anträge von deutschen Kurorten, vom Fluglärm ganz oder teilweise befreit zu werden, aus rechtlichen Gründen stets abgelehnt. Nicht zuletzt wegen der Befürchtung, solche Sonderregelungen könnten Schule machen, was zu einer übermässigen Verengung des deutschen Luftraums führen könnte.
Völlig unerklärlich ist, wie leichtfertig unsere Unterhändler ihr wichtigstes Pfand, das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU, aus der Hand gegeben haben. Mit dem Vertrag erhält die Swissair den diskriminierungsfreien Zugang zum liberalisierten europäischen Luftraum. Doch dieses Zugeständnis musste sich die Schweiz sehr teuer erkaufen. Bei den bilateralen Verhandlungen rang die EU der Schweiz massive Konzessionen beim Landverkehr ab. Noch bevor die Verträge überhaupt in Kraft getreten sind, musste die Schweiz per 1. Januar dieses Jahres die 28-Tonnen-Gewichtslimite für Lastwagen fallen lassen, die sie seinerzeit mit dem selbst finanzierten Bau von zwei Neat-Eisenbahntunneln (Gesamtkosten: 14,7 Milliarden Franken) in die Zukunft hinüberretten wollte. Konsequenz dieser einseitigen Inkraftsetzung: Lastwagenstaus auf der A 2 und Stunk in der Innenpolitik.
Die Deutschen ignorierten die Existenz des Luftfahrtabkommens Schweiz–EU kühl. Die geplanten Beschränkungen seien «rechtlich fragwürdig», urteilt Gutachter Wolfrum. Im Wettbewerb mit den deutschen Hubflughäfen Frankfurt und München werde Zürich «behindert». Die Vorteile, die für die Swissair bilateral mit der EU erkämpft worden sind, werden mit dem Berliner Vertragswerk zum Teil wieder preisgegeben. Selbst ein ehemaliger Bundesrat kann, bei aller Loyalität zur Regierung, nur den Kopf schütteln: «Das wäre mir nicht passiert.»
Für Sion 2006 lancierte der Bundesrat, vom olympischen Feuer ergriffen, einen internationalen Feldzug. Doch für die Interessen der Wirtschaftsmetropole krümmte er keinen Finger. So überliess er das Dossier dem total defensiv operierenden Verkehrsminister. Leuenberger habe eine «klammheimliche Kabinettspolitik» betrieben und die Experten des Zürcher Flughafens auf Distanz gehalten, enerviert sich Unique-Zurich-Airport-Verwaltungsrat Ledergerber. Bern verzichtete auch darauf, in dieser heiklen Causa ein deutsches Anwaltsbüro einzuschalten. Eine vorgeschlagene Kampagne, die bei den Grenzbewohnern in Hohentengen endlich etwas Goodwill schaffen sollte, wurde ebenso abgesagt wie eine gezielte Offensive in den deutschen Medien. Für die deutsche Bundesregierung könnte der Staatsvertrag nämlich durchaus zum innenpolitischen Bumerang werden: Warum wirft sie sich für eine kleine Minderheit fluglärmgeplagter Grenzbewohner in die Schanze, während sie Zehntausende von Anwohnern in den An- und Abflugschneisen der eigenen Grossflughäfen nicht gleichermassen vor Lärm schützt? Wenn die Grünen als Regierungspartei das Zürcher Flugbeschränkungsmodell künftig für deutsche Flughäfen propagieren sollten, haben der wirtschaftsfreundliche Bundeskanzler und sein Verkehrsminister ein Problem.
In dieses Bild passen auch die diplomatischen Fehltritte des mitunter etwas merkwürdig kommunizierenden Verkehrsministers Moritz Leuenberger. Während der Verhandlungen brüskierte er gleich zwei deutsche Spitzenpolitiker: Den baden-württembergischen Vizepräsidenten Walter Döring liess er per Fax wieder ausladen. Der deutsche Wirtschaftsminister Werner Müller, ein erklärter Freund der Schweiz, wiederum versucht schon lange, Energieminister Leuenberger wegen ungeklärter Fragen bei der Öffnung des Strommarktes zu treffen. Bisher sei es ihm nicht gelungen, mit ihm einen gemeinsamen Gesprächstermin zu finden, beklagte sich Müller während seines jüngsten Schweiz-Besuchs im kleinen Kreis. Mokiert sich Christoph Blocher: «Der Bundesrat muss die Leute empfangen, er darf aber nicht selber verhandeln. Heute verhandelt er selber, aber er empfängt sie nicht.»
Die Schweizer hätten längst gewarnt sein müssen, welche Gewitterfront von Norden her aufzieht. Seit Gerhard Schröder regiert, behandeln uns die Deutschen nicht mehr so pfleglich wie in der Ära von Helmut Kohl, dem Spezi des damaligen Aussenministers Flavio Cotti. Schon vor dem Bundestagswahlkampf drohte der Hannoveraner Machtmensch in Zürich unverhohlen, die kleinen Staaten würden sich noch wundern, wozu die grossen in Europa fähig seien. Den Tatbeweis lieferte der Kanzler mit einer Frontalattacke auf das Schweizer Bankgeheimnis (BILANZ 03/2000). Zwischen Schröder und den Schweizer Genossen ist das Tischtuch ohnehin zerschnitten, seit die SP Schweiz im Wahlkampf 1999 den abtrünnigen Finanzminister und Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine als wahren Verkünder der sozialistischen Lehre hochleben liess. Kommt dazu, dass die Stimme Moritz Leuenbergers im Chor der Sozialistischen Internationale kaum wahrgenommen wird.
Höchst passiv verhielt sich auch das Berner Aussenministerium. Das wirtschaftspolitisch gewichtige Kloten-Dossier wurde untergeordnet als «technische Frage» behandelt. Wenn Aussenminister Joseph Deiss in den letzten Monaten an Deutschland dachte in der Nacht, so wohl an Shawne Fielding, die exzentrische Gattin des Schweizer Botschafters in Berlin.
Die Regierung selber bereitete das Dossier «sehr oberflächlich und zu wenig strategisch vor», wie FDP-Präsident Gerold Bührer argwöhnt. Leuenberger liess den Bundesrat wie so oft über seine präzisen Vorstellungen im Dunkeln. Bevor er nach Berlin reiste, teilte er ihm lediglich mit, die festgefahrene Angelegenheit deblockieren zu wollen. Ein explizites Mandat zum Abschluss der Verhandlungen hatte er nicht. Die andern Departemente erhielten die Unterlagen zudem erst am Vorabend der Bundesratssitzung gegen 21 Uhr – etwas spät, um anderntags eine vertiefte Strategiediskussion zu führen. Als Leuenberger am darauffolgenden Montag kalt geduscht aus Berlin zurückkehrte, hatte die Regierung gar keine andere Wahl, als sich hinter ihn zu stellen. Denn eine Desavouierung des Bundespräsidenten hätte eine mittlere innenpolitische Krise ausgelöst. Kollegin Ruth Metzler, die bisher nicht als Aviatikfachfrau auffiel, gratulierte Leuenberger nicht nur zum Verhandlungsergebnis, sondern machte dies auch noch publik. Damit bewegte sie sich hart an der Grenze zur Lächerlichkeit: Im selben «Weltwoche»-Interview bezeichnete sie den Flughafen Kloten nämlich als wichtigstes Problem, das sich der Schweiz derzeit stellt. Trifft dies zu, so kann nur noch das Parlament die Notbremse ziehen und die Ratifizierung des Vetrages hinauszögern oder ablehnen – die Frage ist, ob die bürgerlichen Bundesratsparteien den Mut haben, ihr angekündigtes Nein auch in die Tat umzusetzen.
Das Debakel von Berlin zeigt nicht nur, wie verletzlich die auf sich allein gestellte Schweiz im härter gewordenen Wettbewerb um nationale Interessen geworden ist. Politische Fehleinschätzungen können, wie schon bei der ausufernden Holocaust-Debatte, fatale Folgen haben. Das hängt mit den schwachen Strukturen zusammen; die sieben praktisch autonom agierenden Departemente sind wie durch Firewalls voneinander getrennt, was eine kohärente Politik erschwert. Moritz Leuenberger ist zudem mit seinen vier «Ministerien» Umwelt, Energie, Verkehr, Medien und einer Vielzahl brisanter Dossiers derzeit schlicht überfordert, zumal er noch als gefragter präsidialer Redner durch das Land reist.
Weshalb sich der ohnehin konfliktscheue Leuenberger in dieser Situation an den Verhandlungstisch setzte, wirft grundsätzliche Fragen auf. Delikate Negoziationen wurden früher von den Topdiplomaten des damaligen Bundesamtes für Aussenwirtschaft (Bawi) geführt, dessen Machtfülle denn auch ein Stein des Anstosses war. Franz Blankart handelte in den Siebzigerjahren ein Abkommen über den grenzüberschreitenden Omnibusverkehr aus, Philippe Lévy in den Achtzigerjahren eines über Strassensteuern. Im heutigen Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das aus dem einstigen Eliteamt Bawi hervorgegangen ist, mangelt es derzeit an Wirtschaftsdiplomaten vom internationalen Renommee eines Hans Schaffner, Paul Jolles oder David de Pury. Nach alter Ordnung wären Seco-Staatssekretär David Syz zusammen mit André Auer, dem Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, und Michael Ambühl, Chef des Integrationsbüros, ins Feuer geschickt worden. Doch Quereinsteiger Syz fehlt als Unterhändler die nötige Erfahrung.
Obwohl für die Deutschen wenig auf dem Spiel stand, operierten sie bei aller Widersprüchlichkeit professioneller. Sie wussten, dass Leuenberger als Umweltminister dem boomenden Luftverkehr äusserst skeptisch gegenübersteht. Taktisch geschickt liessen sie deshalb die Verhandlungen auf Beamtenstufe ins Leere laufen und verlagerten sie auf die politische Ebene. Nach fünf Stunden hatte Jungminister Bodewig den Schweizer Genossen weich geklopft. Hätte die Schweiz den übermächtigen Nachbarn mit einer unnachgiebigen Haltung dazu gezwungen, die angedrohten Retorsionsmassnahmen in die Praxis umzusetzen, wäre nicht nur dessen zutiefst widersprüchliche Lärmschutzpolitik transparent geworden; in einem «Luftkrieg» mit der Schweiz stünden sie zudem als hässliche Deutsche da.
Dass der Bundesrat ganz anders auftreten kann, beweist das Tandem Kaspar Villiger und Pascal Couchepin beim brisanten Thema Bankgeheimnis. Bisher liess es sich von den Drohgebärden Schröders und seines Finanzministers Hans Eichel nicht beeindrucken. Der selbstbewusste Wirtschaftsminister Couchepin «schert sich nicht um Anfeindungen aus den europäischen Hauptstädten» und habe den Vorwurf, sein Land begünstige die Steuerhinterziehung, «souverän pariert», schreibt das deutsche Wochenblatt «Die Zeit» anerkennend. Jetzt könne die Schweiz sogar die hart erkämpfte EU-Einigung von Feira, die den Anfang vom Ende des Bankgeheimnisses bedeuten würde, «zum Einsturz bringen». Wer hätte das den Schweizern nach dem Kniefall von Berlin zugetraut?
Partner-Inhalte