Der internationale Handel wird zu 80% über den Seeweg abgewickelt. 46000 Schiffe transportieren jährlich 5,8 Mrd t Waren und Güter in rund 20 Mio Containern. Kontrolliert werden davon jedoch nur rund 2% ein enormes Sicherheitsrisiko. Neue Systeme zur gezielteren Risikoanalyse rücken ins Visier der Forschung und Entwicklung.
Die Übersee-Lieferkette ist eine der umfassendsten überhaupt: Gemäss einer OECD-Studie sind durchschnittlich 25 Akteure an Lieferungen mit Containern beteiligt. Ein Container ist mit bis zu 40 Dokumenten versehen und wird im Durchschnitt pro Reise an einem Dutzend Orten zwischengelagert.
Dass nur rund 2% der Container kontrolliert werden können, liegt zum einen an den hohen Kosten, die eine Kontrolle generiert eine Kontrolle nimmt vier bis fünf Zöllner mindestens drei Stunden in Anspruch , zum anderen liegen keine aussagekräftigen Risikoprofile vor, die gezielte Überprüfungen ermöglichen. Dies hat Folgen: Der Übersee-Handel stellt einen der höchsten Risikofaktoren dar. Nicht nur Container werden für den Transport illegaler Waren, Drogen, Ausrüstungen und Personen verwendet. Auch Piraterie ist nach wie vor ein anhaltendes Problem auf internationalen Gewässern.
Jedem Container ein Profil
Die Verbesserung der Sicherheitskontrollen ist das Ziel verschiedener weltweiter Initiativen, die hauptsächlich durch die US-Behörden, aber auch von US-Unternehmen lanciert werden. Unter anderem wurde die so genannte 24-Stunden-Regel eingeführt. Diese schreibt den Frachtschiff-Reedereien vor, 24 Stunden bevor das Schiff im Ursprungs-Hafen geladen wird, dem amerikanischen Zoll ausführliche Frachtinformationen elektronisch zu melden. Werden die geforderten Informationen nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt, kommt es zu kostspieligen Verzögerungen in der Lieferkette.
Internationale Organisationen und die EU haben ebenfalls reagiert und gesetzliche Bestimmungen zur Verbesserung der Sicherheit erlassen. Dazu gehören verbesserte Prozesse zur Sicherheitsbewertung von Frachtgut durch die Übermittlung von detaillierten Informationen über Container und Inhalt an Hafen- und Zollbehörden. Um die Effizienz der Kontrollen zu erhöhen und gefährliche Containerinhalte verlässlicher aufzuspüren, entwickelt das IBM-Forschungslabor in Rüschlikon derzeit gemeinsam mit IBM On Demand Innovation Services (Odis) dem Beratungsarm der IBM Forschung eine technische Lösung, welche es erlaubt, fundierte Risikoanalysen durchzuführen. Das Konzept umfasst die gesamte Lieferkette und kombiniert innovative Technologie mit den neuen Sicherheitsvorschriften und internationalen Kooperationen.
Kernstück der neuen Lösung ist die Zuordnung eines Profils zu jedem Container, welches alle während des Transportes anfallenden Daten umfasst. Dazu gehören beispielsweise Informationen über Fracht und Route, zu Personen, die mit dem Container in Berührung kommen, sowie Angaben zu sämtlichen Ereignissen während des Transportes.
Technisch machbar ist die Erfassung der Profildaten durch den Einsatz eines mit dem Container fest verbundenen Steuerelements, auch Tamper Resistant Embedded Controller (Trec) genannt. Dies ist ein manipulationssicheres Kontrollelement, an dem diverse Sensoren angeschlossen sind beispielsweise zur Messung von Umweltbedingungen wie Temperatur und Feuchtigkeit oder von mechanischen Faktoren wie Erschütterung. Hochentwickelte Verschlüsselungstechnologien des Steuerelements und der ausschliessliche Einsatz von Sensoren akkreditierter Lieferanten garantieren, dass die technische Lösung nicht für andere Zwecke als die der Überwachung von Containern missbraucht werden kann.
Zudem erlauben intelligente Analysefunktionen des Container-Steuerelements selektive Alarmfunktionen, sollten die Sensoren im Container Werte melden, die ausserhalb der vordefinierten Toleranzgrenzen liegen. Die vom Steuerelement gesammelten und laufend anfallenden Daten werden einem mobilen Endgerät eines Hafenmitarbeiters oder direkt an eine Datenbank übermittelt. Die Datenbank wiederum ist die Grundlage eines so genannten Federated Portals, welches autorisierten Teilnehmern der Lieferkette zur Verfügung steht. Jederzeit können die Daten also von Zugriffsberechtigten abgerufen und ausgewertet sowie für elektronische Dokumente für Behörden und Handel zusammengestellt werden. Der Übertragungssicherheit wird Rechnung getragen, indem mit elektronisch signierten Dokumenten gearbeitet wird. Das Signaturverfahren sichert, dass der letzte Status des Containertransports in der Datenbank authentifiziert werden kann.
Das Ende der Teillösungen
Der Sicherheitsvorteil ist enorm, denn das Profil eines jeden Containers ergibt eine lückenlose Beweiskette vom Herkunfts- bis zum Bestimmungsland. Damit können jederzeit Sicherheitsbewertungen vorgenommen werden. Darüber hinaus können die Grenzkontrollen an den Herkunftsort verlagert werden, dort wo der Container verpackt und versiegelt wird ein gewichtiger Sicherheitsfaktor für die Zielhäfen und -länder.
Innerhalb der Lieferkette haben einige Akteure bereits den Bedarf an umfassenden Lösungen erkannt, welche Herstellern, Spediteuren und Verbrauchern präzise und aktuelle Informationen zum Transportgut liefern. Bisher existieren jedoch nur Lösungen, welche Teilbereiche abdecken und meist auf firmeneigenen Anwendungen basieren. Der Grad des Erfolgs dieser Systeme hängt von der Nutzung ab: Je mehr Akteure der Transportkette sie einsetzen, desto optimaler die Ergebnisse. Genau hier setzt das Konzept von IBM an. Das Federated Portal ist eine Plattform, die auf offenen Standards basiert und von akkreditierten und zugangsberechtigten Teilnehmern der gesamten Lieferkette genutzt werden kann. Über die verbesserte Risikoanalyse und Erhöhung der Sicherheit hinaus bietet das Portal den benutzenden Akteuren ein interessantes Potenzial für Prozessverbesserungen, Qualitätserhöhung von Transportdienstleistungen sowie signifikanten Kostensenkungen in ihren eigenen Unternehmen.
In einem Punkt sind sich Behörden und Industrie einig: Das Hauptziel ist es, die Balance zwischen maximaler Sicherheit einerseits und Verbesserungen betrieblicher Prozesse unter minimaler Beeinträchtigung des Welthandels andererseits zu erreichen. Unter dem Aspekt der neuen rechtlichen Anforderungen sowie der Potenziale zur Verbesserung der Informationsabläufe und betrieblichen Prozesse bringt eine sichere und «intelligente» Transportkette Vorteile für alle Teilnehmer der Lieferkette.
Stefan Reidy, Managing Consultant, IBM On Demand Innovation Services (Odis), und Francois Dolivo, Manager, Pervasive Computing, IBM Forschungslabor Zürich, Rüschlikon.