BILANZ: Mr. Cavanagh, jahrelang haben Sie gegen die Herrschaft der internationalen Konzerne gewettert, die sich krakenhaft auf dem Globus ausbreiten. Spätestens seit dem Irak-Krieg gilt nun wieder eindeutig das Primat der Politik …
John Cavanagh: … einer ultrakonservativen amerikanischen Politik.
Haben Sie sich auf den falschen Gegner eingeschossen?
(Lacht) Es ist schon atemberaubend, mit welcher Kaltschnäuzigkeit sich die Falken im Weissen Haus derzeit über alles hinwegsetzen, was in den letzten Jahrzehnten in der globalen Politik und Wirtschaft als Konsens galt. Das hat uns wohl genauso überrascht wie viele Ihrer Regierungschefs in Europa, die meisten Diplomaten bei den Vereinten Nationen, selbst die Verantwortlichen der Welthandelsorganisation (WTO) oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) – und nicht zuletzt auch die Topmanager vieler multinationaler Konzerne.
Sitzen Sie plötzlich mit den Big Bosses in einem Boot?
Sehen Sie, es kann dem Chief Executive eines global aufgestellten US-Konzerns doch nicht egal sein, wenn sein Präsident quasi im Wochentakt eminent wichtige Handelspartner wie Deutschland oder Frankreich abwatscht. Einer Schweizer Grossbank kann das im Übrigen auch nicht egal sein. Unter der Oberfläche brodelt es in vielen Chefetagen gewaltig.
Zu Wort gemeldet hat sich von Amerikas Top-Executives aber noch niemand.
Sie können von dem Chef eines Aktienkonzerns nicht verlangen, dass er öffentlich seinen Regierungschef attackiert. Das kann ein Milliardär wie George Soros tun, der sich keinen Deut um irgendwelche Shareholder zu scheren braucht. Ich diskutiere aber häufig mit Leuten aus Amerikas Topmanagement und versichere Ihnen: Im kommenden Wahlkampf wird aus den Reihen der amerikanischen Wirtschaft, einmal abgesehen von der Öl- und der Rüstungsindustrie, massive finanzielle Unterstützung an die Demokraten fliessen.
Machen Sie Witze? Einerseits werfen Sie der Bush-Regierung eine Politik für das Grosskapital vor – und ausgerechnet dieses soll 2004 womöglich einen Sozialreformer wie Joe Lieberman unterstützen?
Täuschen Sie sich da nicht! Amerikas Firmenchefs werden heute ja ganz sentimental, wenn sie an die relative Berechenbarkeit einer Clinton-Administration denken. Was ein Unternehmer braucht, ist ein Umfeld mit soliden Rahmenbedingungen, keine ausser Rand und Band geratene Kamarilla. Wenn die Demokraten es schaffen, sich auf einen veritablen Kandidaten zu einigen – mit Howard Dean, dem früheren Gouverneur von Vermont, den Senatoren John Kerry, John Edwards und Bob Graham oder dem Abgeordneten Dennis Kucinich stehen ja einige ausgezeichnete Leute zur Verfügung –, sehe ich eine riesige Unterstützung aus der Wirtschaft. Das wird nicht mit lautem Tamtam geschehen, dafür umso massiver. Im Übrigen glaube ich, dass George Bush und seine reaktionären Adjutanten Cheney, Rumsfeld und Ashcroft längst auch grosse Teile ihrer eigenen Partei vor den Kopf gestossen haben und so politischen Selbstmord betreiben.
Apropos Affront: WTO-Generaldirektor Supachai Panitchpakdi kann es auch nicht egal sein, wenn die USA an seiner Behörde vorbei munter bilaterale Handelsverträge aushandeln.
Eben, die hitzige Diskussion um die von der US-Regierung angekündigten Schutzzölle auf Stahlimporte hat die Risse ja schon im vergangenen Jahr deutlich gemacht. Das hat nun wirklich nichts mehr mit freiem, fairem Welthandel zu tun hat. Auch bei WTO und IWF erlebe ich, dass man dort kopfschüttelnd die Entwicklungen verfolgt. Das wird Ihnen dort bloss noch niemand offen sagen.
Dabei galten die Bretton-Woods-Institutionen als amerikanische Erfindung. Nicht zuletzt Sie haben IWF, Weltbank und WTO stets als Handlanger Washingtons bezeichnet.
Ich gebe zu, dass diese Institutionen auf Grund ihrer gewissen Künstlichkeit für uns ein ideales Ziel darstellten. Aber momentan ist es ja so, dass das tiefe Misstrauen von Bush und seinen Leuten gegen jegliche internationale Institution selbst vor deren Tür nicht Halt macht.
Für Sie als Kritiker der Globalisierung heisst es demnach nicht mehr «Nord–Süd» oder «Reich–Arm». Müssen auch Sie sich mit dem neuen Dualismus von «Freund–Schurke» anfreunden?
(Lacht) Ja, aber hoffentlich nur bis zum November 2004! Aber im Ernst: Mein Institut arbeitet schon seit Jahren an Gegenentwürfen zu einer vor allem von ökonomischen Motiven getriebenen Globalisierung. Inzwischen haben wir von einigen dieser Projekte Ressourcen abgezogen und für aktuelle Initiativen eingesetzt.
Keine gute Zeit für weit reichende Visionen?
Das ist wohl so. Zunächst gilt es mitzuhelfen, die Cowboys dort drüben im Weissen Haus wieder nach Texas zu befördern.
Erwarten Sie, dass heuer beim G-8-Treffen der Regierungschefs im französischen Evian die Verwerfungen wieder gekittet werden – und Sie damit Ihre alten Feindbilder zurückbekommen?
Es geht nicht um Feindbilder. Es geht darum, dass der Globalkapitalismus den Reichtum vieler gemehrt und den Abstand zu den Ärmsten vergrössert hat. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich kann nicht erkennen, dass Bush derzeit das geringste Bedürfnis verspürt, irgendetwas zu kitten.
Verbinden Sie auch Hoffnung mit dem G-8-Treffen?
Wenn Evian dazu beiträgt, dass wieder darüber geredet wird, dass das Einkommen von 1,6 Milliarden Menschen auf der Welt unter zwei Dollar am Tag liegt, dass 25 Millionen Menschen in Afrika mit Aids infiziert sind und sich niemand um diese Katastrophe kümmert und dass endlich ernsthafte Schritte zur Entschuldung der Dritten Welt unternommen werden müssen, kann ich das nur begrüssen.