Mit einem Federstrich stufte Jianzhong Guan letzte Woche die Bonität der USA von A– auf BBB+ ab. Die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika liegt damit noch knapp über Ramschniveau – und auf dem Niveau von Ländern wie Turkmenistan, Peru und Kolumbien. Der Schuldenberg werde im Zuge der Trump’schen Steuerreform weiter anwachsen, hiess es aus Peking.
Guan ist Kopf und Mehrheitseigner der chinesischen Ratingagentur Dagong. Immer wieder hat er zuletzt die ideologische Diskriminierung Chinas durch die angelsächsischen Bonitätsprüfer gegeisselt und auf die Notwendigkeit einer Alternative hingewiesen – womit er selbstverständlich seine eigene Ratingagentur meinte.
Jetzt sitzt der einflussreiche Mann aus dem nordchinesischen Shanxi im Restaurant «Zum Goldenen Drachen» in Basel. Es ist ein trüber Montagmittag. Draussen wackeln die obligaten roten Lampions in Regen und Wind. Drinnen schwirren die Pressesprecher und Übersetzer um den Manager herum. Obwohl das Lokal fast leer ist, verbreiten sie emsige Betriebsamkeit.
Doch Guan hat keine Lust, über die Verschuldungsproblematik des Westens zu sprechen. Vielmehr ist er da, um vom «revolutionären Ansatz» der Gütermetro Cargo Sous Terrain (siehe Randspalte rechts) zu schwärmen, der seine Unternehmensgruppe gerade mit einer Finanzspritze in Millionenhöhe unter die Arme gegriffen hat. «Ich bin überzeugt, dassCargo Sous Terrain der Logistik eine ganz neue Richtung geben wird» – in der Schweiz, vor allem aber auch in China, prophezeit Guan.
Der Chinese, der als Alter bloss angibt, im Jahr des Pferdes geboren zu sein, ist im Konsortium von Cargo Sous Terrain ein Exot. Klar, da gibt es auch den französischen Investitionsentwickler Meridiam. Doch ansonsten geben die Schwergewichte der Schweizer Wirtschaft den Ton an, die Migros und Coop, die Post und die Swisscom und neuerdings auch die Credit Suisse und Helvetia. Sie alle verfolgen die Vision, den Gütertransport in der Schweiz in ein Tunnelsystem unter die Erde zu verlegen.
Lösung für Millionenmetropolen
Für den Chinesen Guan jedoch ist die Realisierung der Untergrundmetro in der Schweiz höchstens zweitrangiger Natur. Sein Einstieg bei Cargo Sous Terrain verfolgt ein anderes Ziel: das visionäre Schweizer Logistikkonzept in seine Heimat zu bringen – und das möglichst rasch. «China braucht Cargo Sous Terrain dringender als die Schweiz», sagt der Mann.
Nicht weniger als zwanzig Städte zählen dort mehr als zehn Millionen Einwohner. Und alle diese Metropolen bewegen sich am Rande des Verkehrsinfarkts: Verstopfte Strassen, dreckige Luft und Versorgungsprobleme machen Wirtschaft und Bevölkerung gleichermassen zu schaffen. Massgebender Treiber für die Überlastung auf den Strassen ist dabei laut Guan der Umstand, dass immer mehr Waren hin- und hergeschoben werden: Um nicht weniger als 50 Prozent sei das Volumen der Warentransporte in China jeweils jährlich gewachsen – was zu einer Überlastung der Transport- und Verkehrswege in den Städten führe. Als chinesischer Unternehmer fühle er sich verantwortlich, Lösungen für dieses Problem zu erarbeiten. Mit Cargo Sous Terrain liessen sich die wachsenden Warenströme in China bewältigen, ist Guan überzeugt. Deshalb wolle er sich als Investor in das Projekt einbringen – und dieses mit seinem Know-how vorantreiben.
Es dürfte dies mehr sein als nur ein Lippenbekenntnis eines Investors, der für seine Sache Wind machen will. Mit Dagong hat sich Guan nicht nur aufs Kreditrating spezialisiert, sondern auch auf die Beratung von Infrastrukturprojekten. Rund um den Globus ist der Investmentarm der Firmengruppe in entsprechenden Infrastrukturprojekten. Zugleich hat der Unternehmer Guan Skeptiker schon einmal Lügen gestraft. Mit seiner Ratingagentur Dagong trat er vor einigen Jahren an, um den US-Platzhirschen Fitch, Moody’s und Standard & Poor’s die Stirn zu bieten. Er tat dies, indem er ein neues Bewertungssystem entwickelte, das die Offenheit und Demokratie eines Landes weniger stark gewichtet und stattdessen den Fokus stärker auf die Verschuldung und dessen Abbau legt. Den theoretischen Unterbau für das Bewertungsschema à la chinoise lieferte der Ökonom in mehreren Büchern.
Natürlich werden die Bonitätseinschätzungen von Dagong im Westen immer wieder angezweifelt und eine Einflussnahme durch die chinesische Regierung vermutet – so auch gerade die jüngste Herabstufung der USA. Trotzdem gelang es Guan, im Gleichschritt mit der wachsenden Bedeutung des chinesischen Kapitalmarktes den Einfluss von Dagong zu erhöhen.
Auf einer Linie mit Xi Jinping
Das Unternehmen beschäftigt heute über tausend Mitarbeiter, bewertet wird die Kreditwürdigkeit von 110 Ländern aus allen Teil der Welt, hinzu kommen zahlreiche Unternehmen, die meisten davon aus China. Zugleich hat Dagong in den letzten Jahren Filialen in Frankfurt und Mailand eröffnet.
Guan streitet eine staatliche Beteiligung bei seinem Unternehmen, dessen Namen übersetzt «unparteiisch» heisst, stets ab – so auch gegenüber der «Handelszeitung». Dagong sei ein rein privates Unternehmen, dem Guan als Besitzer vorstehe.
Das ändert nichts daran, dass der Aufstieg von Dagong wohl nur dank Guans hervorragenden Kontakten zur politischen Führungsriege Chinas möglich war. Der Manager ist seit seiner frühen Jugend Mitglied der Kommunistischen Partei und berät laut Medienberichten auch heute noch die chinesische Regierung. Nicht nur beim Aufstieg seiner Ratingagentur, auch beim Export von Cargo Sous Terrain dürfte ihm dieses Beziehungsnetz zugute kommen.
Guan betont bloss, dass das zukunftsweisende Logistikprojekt bestens in das Konzept der New Economy passe, das Staatspräsident Xi Jinping letzten Herbst in seiner Rede am Parteikongress skizziert hat. Dieses sieht vor, dass China mittelfristig weg von der Werkbank kommt und immer stärker zum Innovationstreiber der Weltwirtschaft wird.
China ist schneller
Um seine Mission zu erfüllen, kündigt der chinesische Manager an, bei Cargo Sous Terrain aufs Gaspedal zu drücken. Abwarten, bis sich die Schweiz dereinst dazu durchringen könnte, der Gütermetro grünes Licht zu geben? Ausgeschlossen. Die Schweiz und China würden eben ganz unterschiedlich funktionieren. «In der Schweiz dauert es lange, bis ein solches Infrastrukturprojekt umgesetzt werden kann», sagt Guan. In seinem Heimatland dagegen könnten die lokalen Behörden deutlich schneller reagieren. Für ihn steht deshalb schon heute praktisch fest, wo die unterirdische Güterbahn erstmals anrollen wird: In China – und nicht in der Schweiz.
Tunnelsystem: Die Initianten von Cargo Sous Terrain wollen in der Schweiz ein unterirdisches Tunnelsystem bauen und damit viel Güterverkehr unter die Erde bringen (Bild). Voll automatisiert sollen Waren unterirdisch mit 30 km/h von Produzenten an die Kunden transportiert werden.
Kapital: Diese Wochen haben die Initianten von Cargo Sous Terrain ein wichtiges Etappenziel erreicht: 100 Millionen Franken Eigenkapital stehen zur Verfügung, um die Baubewilligung für das erste Teilstück von Härkingen SO nach Zürich zu realisieren.
Spezialgesetz: Diese Summe hatte der Bundesrat gefordert, um das nötige Spezialgesetz für die Güterbahn auszuarbeiten. Jetzt hoffen die Initianten, dass der Bundesrat bis im Sommer eine entsprechende Vernehmlassungsvorlage präsentiert.