Die drei islamischen Gelehrten auf der Bühne des Hotels Intercontinental in Istanbul machen einen ernsten Eindruck. Der Einzige des Trios, der keinen Anzug, sondern ein arabisches Gewand trägt, lacht immer wieder und lockert dadurch die etwas angespannte Stimmung ein wenig auf. Auf Arabisch werden die Teilnehmer des 4. International Islamic Finance Forums begrüsst, dann wird in die Konferenzsprache Englisch gewechselt. Mittels PowerPoint werden Koranstellen auf die Wand projiziert und dazu ausführlich erklärt, welche Geldtransaktionen erlaubt und welche verboten sind. Kein leichtes Unterfangen.

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Das islamische Gesetz, die Scharia, verbietet Zinsgeschäfte (siehe Artikel zum Thema «Scharia-konforme Geschäfte: Finanztransaktionen im Rahmen des islamischen Rechts»). Ein nicht unproblematisches Verbot in einem globalen Finanzsystem, das zinsbasiert ist. Um in einem modernen Wirtschaftssystem überhaupt mittun zu können, müssen die Banken Produkte entwickeln, die ähnliche Resultate zeitigen wie konventionelle Finanzprodukte, die aber keine Zinskomponente enthalten. Jedes dieser so gestalteten Produkte muss von einem Gelehr|ten als Scharia-konform abgesegnet werden.

Was erlaubt ist und was nicht, gibt denn auch immer wieder zu Diskussionen Anlass. So auch im Hotel Intercontinental in Istanbul. Nachdem die drei Gelehrten die grundlegenden Fragen diskutiert haben, tritt ein Banker ans Rednerpult. Wortreich führt er aus, wie man Leerkäufe mit dem Gedanken der Scharia vereinbaren kann, eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Banken auch islamische Hedge-Funds betreiben können. In der anschliessenden Pause, als Gelegenheit für «Networking und Getränke» deklariert, kommt es in den proppenvollen Gängen zu einem regen, interkulturellen Austausch von Visitenkarten. Hier diskutiert ein amerikanischer Wirtschaftsanwalt mit einem Manager der Commercial Bank of Qatar. Dort sind Repräsentanten von jungen islamischen Finanzmärkten wie Nigeria und Bosnien-Herzegowina mit Vertretern der Banken HSBC und ABN Amro in angeregte Gespräche vertieft.

Hier ist viel in Bewegung geraten, das ist überall zu spüren. Das islamische Finanzwesen, im achten Jahrhundert entwickelt, in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wieder aufgegriffen und modernisiert, gewinnt laufend an Bedeutung. Jedes Jahr, so schätzen Spezialisten, wächst das so genannte Islam-Banking um etwa 10 bis 15 Prozent. Gemäss den Richtlinien der Scharia dürften je nach Schätzung weltweit bis zu 375 Milliarden Franken verwaltet werden. Parallel dazu expandiert auch das Finanzsystem in den muslimischen Ländern. Das ist nicht zuletzt eine Folge des hohen Zuflusses neuer Anlagemittel. «Der 11. September 2001 brachte Geld zurück in die Region und gab den regionalen Banken einen Schub, die nötigen Dienstleistungen anzubieten», erklärt Referent Majid Dawood vom britischen Finanzhaus Yasaar Limited. Die hohen Ölpreise sorgen für einen zusätzlichen Zufluss an weiteren Mitteln.

Mehr als 300 Teilnehmer und 50 Referenten aus über 50 Ländern sind zum Forum nach Istanbul gekommen, um die Zukunft des islamischen Finanzwesens zu diskutieren und Beziehungen zu knüpfen. Keiner der Referenten kommt aus der Schweiz. Und unter den Zuhörern repräsentierten gerade mal deren drei das wichtige Bankenland, obwohl sich fast 500 Schweizer für E-Mail-Updates beim Veranstalter angemeldet haben. «Schweizer Banken sind sehr zurückhaltend», sagt Konferenzleiter Chris Mullinger. «Sie beteiligen sich nicht, obwohl die Dinge sich verändern.»

In der Schweiz fehlt das Interesse am islamischen Finanzwesen wegen des verschwindend kleinen Retail-Geschäfts. In den meisten Ländern sind es die Einzelkunden, die diese Art des Finanzwesens antreiben. Muslime ziehen ihr Geld aus konventionellen Banken ab und bringen es in ein islamisches Geldhaus. Da der Anteil der muslimische Bevölkerung in der Schweiz sehr klein ist, fällt das Retail-Geschäft im Heimmarkt aus. Eine Bank wie die in England neu lizenzierte Islamic Bank of Britain könnte sich im Schweizer Markt gar nicht erst etablieren. Allerdings verwalten Schweizer Privatbanken Geld aus der ganzen Welt, auch aus muslimischen Ländern. Und was das steuerliche und regulatorische Umfeld der Schweiz angeht, gilt das Land meistens als empfänglich für Scharia-konforme Transaktionen.

Dagegen sehen die meisten Privatbanken keine grosse Nachfrage nach Scharia-konformen Finanzprodukten, weshalb sie kaum solche anbieten. Nur Pictet führt standardisierte Scharia-konforme Anlagefonds im Sortiment. Lombard Odier Darier Hentsch, Bank Vontobel, Bank Leu und Mirabaud betonen, dass die muslimischen Länder keine Kernmärkte für sie sind. In Gesprächen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es diese Häuser tunlichst vermeiden, mit Geschäften in muslimischen Ländern in Verbindung gebracht zu werden. 9/11 scheint da Spuren hinterlassen zu haben.

Sogar das Geldhaus Bordier, dessen verwaltetes Vermögen zu zehn Prozent von muslimischen Kunden stammt, sieht keine Nachfrage für Scharia-konforme Produkte in der Schweiz. Die vermögenden Muslime, die ihr Geld in die Schweiz brächten, seien anspruchsvolle Investoren, die ihre Renditen maximieren wollten. Durch die bei zinslosen Finanztransaktionen nötig werdenden Anpassungen entstehen oft Kosten, die solche Produkte weniger rentabel machen als konventionelle. Nach den Erfahrungen von Radan Statkow, Leiter des Bereichs Unternehmensentwicklung bei Bordier, sind es meistens lediglich 10 bis 20 Prozent des Vermögens, das Wohlhabende gemäss islamischem Recht investiertieren. Und dies geschieht selten in der Schweiz. «Geld Scharia-konform zu investieren, ist im Nahen Osten politisch korrekt geworden», erläutert er. «Die Leute wollen im Heimatmarkt investieren, damit dies auch bemerkt wird.»

Die Habib Bank Zurich und die Arab Bank (Switzlerland), beides Schweizer Institute arabischer Herkunft, haben ebenfalls nur wenige Kunden in der Schweiz, denen sie Scharia-konforme Produkte anbieten. Banque Audi (Suisse) mit libanesischem Ursprung entwickelt gegenwärtig eine Palette solcher Produkte, die sie jedoch nicht von der Schweiz aus, sondern in einem Land mit «einer passenden Jurisdiktion» anbieten wird, meint Generaldirektor Marc Audi. Sogar die Bank Julius Bär, die kürzlich im neuen International Financial Center in Dubai eine Banklizenz erhalten hat, sieht die Nachfrage für Scharia-konforme Produkte eher bei dortigen Banken: «Für das traditionelle Banking gehen die Muslime zu einheimischen Banken», sagt Firmensprecher Jürg Stähelin.

Am Mittagstisch des ersten Forumstages in Istanbul herrscht unter Bankiers, Anwälten und Ökonomen die Meinung vor, die Schweizer seien zu zurückhaltend, was das Geschäft der Privatbanken mit ausländischen Kunden betrifft. «Die Schweizer sind gut in ihrem Geschäft, wenn man zu ihnen geht», sagt ein Teilnehmer. «Aber man sieht sie in Saudi-Arabien und Kuwait nicht von Tür zu Tür gehen. Die Briten dagegen tun das.»

Im islamischen Finanzwesen herrscht ein Mangel an guten Scharia-konformen Produkten. Die global tätigen Schweizer Banken sind gerade bei solch strukturierten Finanzprodukten recht aktiv. UBS ist seit über dreissig Jahren im Nahen Osten tätig und hat langjährige Erfahrung mit Scharia-konformen Produkten. 2002 hat sie in Bahrain die Tochterbank Noriba gegründet, die ausschliesslich solche Produkte anbietet. Credit Suisse, die seit 25 Jahren in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätig ist, verfolgt dagegen eine weniger klare Strategie, was das islamische Finanzwesen angeht. Aber auch sie strukturiert schon seit langem Produkte für Kunden aus diesem Raum und ist daran, ihre Aktivitäten auszubauen. Credit Suisse wird mit einer eigenen Bank im Dubai International Financial Center ihre Präsenz im Nahen Osten stärken.

Die Faisal Finance (Switzerland) sieht in Form von Partnerschaften gute Möglichkeiten im Nahen Osten, auch für kleinere Privatbanken. Die Genfer Finanzfirma unterhält solche Partnerschaften, in denen sie als Berater fungiert und auch Produkte anbietet. Die Firma hat einen klaren Vorteil: Sie ist ein Ableger der Dar Al-Maal Al-Islami, einer der ältesten und grössten islamischen Bankengruppen. Das Management meint aber, dass Schweizer Privatbanken viel Wissen und Erfahrungen besitzen, die sie im Nahen Osten einsetzen könnten.

Alexander Theocharides, Direktor des Wealth-Management bei Faisal, weist auf die Wichtigkeit von Beziehungen im Nahen Osten hin. Jemandem gegenüberzustehen sei noch wichtiger als im Westen. Er erzählt vom Kronprinzen von Dubai, der jeden Monat in seinem «Wohnzimmer» eine Sitzung abhält. Hier treffen sich die Geschäftsführer der in Dubai ansässigen Auslandsfirmen. Der Prinz leiht jedem Anwesenden seine Aufmerksamkeit, und jeder CEO kann ihm allfällige Probleme schildern. Der Thronfolger versucht dann, die Probleme auf der Stelle zu lösen.

Persönlicher Kontakt und Vertrauen seien grundlegend für Geschäftsverhandlungen. Und dieses Vertrauen müsse man sich erarbeiten. «Es dauert oft lange, bis jemand von aussen Vertrauen gewinnt. Aber wenn er es hat, gibt es eine starke Loyalität», sagt Theocharides. Wenn Schweizer Bankiers also langfristig in dieser Region tätig sein wollen, müssen sie einen Teil ihrer Zurückhaltung aufgeben.

Gegen Schluss des Forums präsentieren Dubai und Bahrain ihre neuen Finanzzentren. Dubai macht Werbung mit schnellen Lizenzabgaben, guten Steuerkonditionen und der Erlaubnis für hundertprozentigen Auslandsbesitz. Bahrain lenkt die Aufmerksamkeit auf ähnliche Vorteile.

Auch sonst tut sich viel. In Kairo wird es eine arabische Börse geben, an der sich sechs arabische Staaten beteiligen werden. Im Nahen Osten sind bis heute wenig Firmen kotiert, da die Firmeninhaber die rechtliche Form des Privatbesitzes bislang vorgezogen haben. Das ändert sich, wenn auch langsam. Die Börsenbetreiber hoffen, dass mit wettbewerbsfähigen Finanzplätzen und weiteren Investitionsmöglichkeiten mehr Geld in der Region bleiben wird. Bis jetzt melden sie Erfolge. «In letzter Zeit steigern die Vermögenden ihre Investitionen im eigenen Land oder in der Region», sagt Nagib Baroudi, ein Partner bei den Londoner Stonewater Partners. «Dieser Trend wird hauptsächlich durch eine gute Rendite in der Region verstärkt.»

Es gibt noch viel Raum für Verbesserungen. Laut Esam Janahi, Chairman der Bahrain Financial Harbour, investieren die Vermögenden des Nahen Ostens gerade mal 15 Prozent ihres Vermögens im eigenen Land. Es ist unklar, wie viel von diesem Geld Scharia-konform investiert wird. Die meisten Experten rechnen damit, dass das Wachstum der islamischen Finanzen weiter zunehmen wird.

Es lassen sich allerdings auch Stimmen vernehmen, die nicht an eine Fortsetzung des Booms glauben. Die Produkte, die immer mehr an Beliebtheit gewinnen, seien nicht wirklich islamisch, sondern nur islamisiert: Nachahmungen konventioneller Produkte, die derart umfunktioniert würden, bis man die Zinskomponente nicht mehr erkenne. «Es ist eine reine Mogelpackung», sagt Kamel Lazaar, Präsident der Genfer Swicorp Financial Advisory Services. «Ich sehe nicht viel Potenzial für eine zukünftige Entwicklung, wenn die Anleger dies durchschauen.» Wie viele andere glaubt er, dass es einen anderen Weg geben muss, einen Weg, der mehr mit den wirklichen Absichten der Scharia in Einklang steht.

Das islamische Finanzwesen ist ein junges Geschäft, und es wird viele Anpassungen durchlaufen. Unbestritten ist, dass es unter den Muslimen ein Interesse gibt, ihr Geld nach den Richtlinien der Scharia zu investieren. Das ist nicht nur eine Frage des Glaubens, sondern auch der Identität. Die meisten islamischen Länder waren Kolonien und haben als solche das Finanzsystem der Kolonialmächte übernommen. Jetzt wollen viele ein eigenes Finanzsystem. Verschiedene Regierungen wie jene im Iran, in Sudan und Pakistan verankern das Scharia-konforme Finanzwesen in ihren Gesetzen.

Es gibt mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt. Wenn nur ein Bruchteil von ihnen nach den Regeln des islamischen Rechts wirtschaftet, verlangt dies Aufmerksamkeit auch von nicht muslimischen Unternehmen. Die Schweizer Banken müssen aufpassen, dass sie in diesen Märkten nicht plötzlich ins Hintertreffen geraten.