«Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.» 1848 setzten Marx und Engels diesen Satz an den Beginn des nach wie vor höchst lesenswerten «Manifests der Kommunistischen Partei». Heute, über 150 Jahre später, heisst das Gespenst Kapitalismus, und es geht besonders in der Schweiz um. Das muss man zumindest meinen, hört man die allgegenwärtige Kapitalismuskritik. Gespeist wird sie zum einen von den auf Empörungsbewirtschaftung ausgerichteten Medien, zum anderen von den Akteuren der Managerlohn- und Ämterkumulationsdebatten, die fleissig Empörungsvorlagen liefern. Die Geschichte begann 1999 mit der Empörung über individuelles Fehlverhalten. Mittlerweile hat die Empörungskommunikation die Systemebene erreicht.

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Das zeigt sich auch, wenn man die zehn in den Medien am meisten diskutierten Themen des letzten Monats betrachtet: Rang 1 und 7 (Nestlé/Brabeck, Kaderlohndebatte) sind Regulierungs-Issues. Solche sind uralt, in der Moderne wurden die Kontrolle der Wirtschaftsbosse und die Stärkung der «Aktionärsdemokratie» immer wieder als Ausgleich patrikularistischer Interessen gefordert. Dieses Thema wird wegen der erheblichen Veränderungen im Aktionariat («Pensionskassenkapitalismus») in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Auch die Ränge 2 und 7 (Bilaterale) finden wir im Manifest. Hier geht es letztlich um die Frage: Wie wächst die Politik der Wirtschaft nach? Rang 3 (Unaxis-Take-over) und Rang 9 (Converium) sind fast schon direkt dem Kommunistischen Manifest entsprungen: Abenteurerkapitalismus eigener und fremder Provenienz führt zum tiefen Fall, zur Zerstückelung und vielleicht zu grossen Profiten. Rang 5 und 9 (IV/KVG) sind die einzigen Geschichten, die die beiden Genossen 1848 noch nicht vorhergesehen haben. Sie verdanken wir der weiterhin bedeutendsten Innovation der Moderne, dem Versuch, soziale Sicherheit im Meer der Unsicherheiten zu produzieren.

Nicht nur die wieder entdeckte «Aktionärsdemokratie», sondern auch die beiden anderen Karriere-Issues fördern die Kapitalismuskritik: Die bevorstehende Anklageerhebung gegen den «Swissair-Versagerrat» wird eine weitere Runde schmerzlicher Vergangenheitsbewältigung nach sich ziehen. Uralt und ebenso brisant ist die Diskussion über «Jobless Growth»: Hohe Gewinne der Schweizer Grosskonzerne bei darbender Schweizer Volkswirtschaft, Lehrstellenmangel (Rang 4) und stagnierendem Arbeitsmarkt. Das war das Thema, dem die alten Genossen den grössten Raum und Marx auch noch das dreibändige «Kapital» widmeten.

Fazit: Die Kapitalismuskritik wird weitergehen, und sie wird zunehmend empörungsgenährt die Systemebene erreichen. Wer wissen will, was noch alles kommt, dem empfehle ich die Lektüre des Kommunistischen Manifests. Nein, ich bin nicht Kommunist! Wo denken Sie hin? Ich bin Soziologe!

Kurt Imhof ist Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie an der Uni Zürich und Leiter des FÖG.

Adwired entwickelt Lösungen für digitale Unternehmenskommunikation und unterstützt börsenkotierte Unternehmen mit Systemen für elektronisches Issue- und Reputation-Management.

Der FÖG der Uni Zürich ist das «Kommunikations-CERN» der Öffentlichkeitsforschung. Er betreibt ein Monitoring von Kommunikationsereignissen u.a. zur Früherkennung gesellschaftlicher Trends.

Die jüngsten Daten finden Sie auf www.bilanz.ch. Hintergründe zum Issues-Barometer auf www.reputation-management.ch.